Ob wir noch Journalismus brauchen? Wo wir doch jetzt das Internet haben? Das war die Frage bei einem Panel der Medientage München, an dem ich gestern teilgenommen habe. Aus diesem Anlass habe ich nochmal etwas systematischer über diese Frage nachgedacht.
Und bin zu dem Schluss gekommen: Ja, wir brauchen Journalismus. Stellt sich nur die Frage, was genau Journalismus ist.
Journalismus, so würde ich es definieren, ist in erster Linie professionelle Recherche, die zu dem Zweck betrieben wird, Informationen der Allgemeinheit zugänglich und verfügbar zu machen. Das ist aus einer gesellschaftlichen Perspektive wünschenswert, weil politische Debatten darauf angewiesen sind, alle für ein bestimmtes Thema relevanten Informationen zur Verfügung zu haben.
Leider wird Journalismus häufig mit Schreiben verwechselt. Geschrieben wird aber viel, es gibt ja nicht nur journalistische Texte (Videos und Audios subsumiere ich der Einfachheit halber mal). Es gibt viele Gründe zu schreiben, Journalismus ist nur einer davon. Und es gibt viele Textformate, journalistische Texte sind nur ein Teil davon.
Zu dieser Verwechslung konnte es kommen, weil früher, vor dem Internet, ein Großteil der in den klassischen Medien – Zeitungen, Radio, Fernsehen – veröffentlichten Texte journalistische Texte waren. Die Veränderung, die das Internet mit sich brachte, ist die, dass jetzt jede Art von Geschriebenem publiziert wird. Es gibt im Internet alle möglichen Arten von Content. Persönliche Betrachtungen, Briefe, Tagebucheinträge, Gespräche, Meinungsäußerungen aller Art, Forschungsergebnisse, Pressemitteilungen – alles wird veröffentlicht, und zwar direkt von denen, die diese Texte produzieren.
Mir ist klar, dass Definitionen und Differenzierungen immer eine Unschärfe haben und sich in der Realität die Dinge oft vermischen und Grauzonen aufweisen, aber um die Dinge durchschauen zu können, ist es doch wichtig, Unterscheidungen zu ziehen und zu sehen, wo die Grenzen verlaufen – und wo nicht.
Die Grenze zwischen journalistischem und nicht-journalistischem Content hängt zum Beispiel nicht mit dem Medium zusammen, über das der Content verbreitet wird: Sowohl auf Blogs als auch in Zeitungen oder im Fernsehen können journalistische ebenso wie nicht journalistische Inhalte verbreitet werden. Höchstens aus den genannten historischen Gründen gibt es in Blogs oder in sozialen Netzwerken mehr nicht-journalistischen als journalistischen Inhalt. Aber einem Text ist es erstmal egal, ob er als Webseite oder als Print verbreitet wird. Es gibt inzwischen viele Blogs mit journalistischem Inhalt, und vieles, was in Zeitungen steht oder im Fernsehen gesendet wird, hat mit Journalismus nichts zu tun.
Es geht auch nicht um Qualität als solche. Beide Textformen, journalistische wie auch nicht-journalistische, haben eine jeweils eigene Qualität.
Ich schlage vor, den Unterschied folgendermaßen zu fassen: Nicht-journalistische Texte (oder Audios oder Videos), so meine These, sind solche, die nicht auf Recherchen beruhen, die eigens für die Veröffentlichung vorgenommen wurden. Die meisten Blogger_innen zum Beispiel geben Wissen, Einsichten und Erfahrungen weiter, die sie ohnehin haben, die sie auch hätten, wenn sie nicht bloggen würden. Sie wurden also nicht extra für die Publikation recherchiert.
Das bedeutet nicht, dass ihr Content deshalb weniger fundiert, weniger relevant, weniger verlässlich wäre als klassischer Journalismus – ganz im Gegenteil: Oft schreiben Menschen ja über Themen, mit denen sie sich sehr gut auskennen, meist sogar besser als entsprechende Fachjournalist_innen. Ganz einfach deshalb, weil es ihre Leib- und Magen-Themen sind, weil sie sich mit ihnen aus persönlichem Interesse beschäftigen. Oder weil sie ohnehin gerade anwesend waren, als etwas Interessantes passierte.
Der Unterschied, auf den ich hinaus will, ist nicht einer der Qualität, sondern der Perspektive: Blogger_innen teilen ihr Wissen mit der Öffentlichkeit, aber dieses Wissen hätten sie auch, wenn sie es nicht teilen würden. Zum Beispiel rezensiere ich hier im Blog Bücher oder Filme, berichte über Veranstaltungen oder schreibe Meinungsartikel zu gesellschaftlichen Debatten. Der Punkt ist: Diese Bücher würde ich auch lesen, diese Veranstaltungen auch besuchen und diese Meinungen auch haben, wenn ich nicht bloggen würde.
Das ist auch der Grund, warum Blogger_innen keine Bezahlung für ihre Texte verlangen: Sie haben keinen zusätzlichen Rechercheaufwand, der Aufwand des Bloggens besteht lediglich darin, das in Worte zu fassen, was man ohnehin schon weiß. Man veröffentlicht das, weil man darin ein persönliches Anliegen sieht, weil man die eigenen Ansichten und das eigene Wissen in den allgemeinen Diskurs einspeisen möchte, weil man Einfluss nehmen möchte, oder weil es wenig Aufwand ist, ein Foto, das man sowieso gemacht hat, dann auch noch rasch zu veröffentlichen und somit der Allgemeinheit zugänglich zu machen.
Ganz anders steht es aber um den professionellen Fotografen, der extra irgendwo hinfahren muss, um ein Foto zu machen. Oder die Journalistin, die den Auftrag bekommt, über ein Thema zu schreiben und dann erst einmal aufwändig recherchieren muss, um die notwendigen Inhalte in Erfahrung zu bringen. Wenn ich journalistisch schreibe, dann beschäftige ich mich aus professionellen Gründen mit einem Thema, mit dem ich mich ansonsten nicht beschäftigen würde. Weil ich dafür bezahlt werde, zum Beispiel.
Der Unterschied zwischen journalistischem und nicht-journalistischem Content hängt also am Zustandekommen des Wissens: Ist dafür eine Recherche notwendig, die eigens betrieben wird, um etwas für das Publizieren herauszufinden? Oder ist es ein aufgrund persönlicher Interessen oder anderweitiger beruflicher Expertise erworbenes Wissen, das dann auch noch publiziert wird, quasi als Nebenprodukt?
Wichtig ist mir dieser Unterschied, weil er aus meiner Sicht entscheidend ist, um die Notwendigkeit von Journalismus zu begründen: Denn ich behaupte, wenn wir keinen Journalismus hätten, wenn also nur das publiziert würde, was irgendjemand ohnehin schon weiß, würden wichtige Dinge unbekannt bleiben, würden Informationen, die für eine gesellschaftliche Debatte wichtig sind, nicht verfügbar sein.
Es ist nämlich ein Irrtum, zu glauben, dass sich alles googeln ließe. Es gibt sehr viele Dinge, die man nicht googeln kann. Sei es, dass jemand die entsprechenden Informationen geheim halten will – dafür braucht man dann investigativen Journalismus. Oder sei es, dass wirklich noch niemand die entsprechenden Informationen zusammengetragen hat, dass sich niemand aus persönlichen Gründen so sehr dafür interessiert, um es freiwillig zu recherchieren. Oder sei es, dass diejenigen, die sich dafür interessieren würden, nicht die notwendigen Ressourcen, nicht die Zeit, nicht das Know-How haben, um es zu recherchieren.
Und genau diese Lücke kann nur professioneller Journalismus füllen. Journalist_innen, so könnte man also sagen, sind notwendig, um Wissen googlebar zu machen, das ohne ihre Arbeit nicht googlebar wäre. Sie recherchieren Dinge, die niemand freiwillig ins Netz stellt, die aber dennoch wichtig sind oder vielleicht in einem späteren Kontext einmal wichtig werden könnten.
Wo ich hingegen langfristig keine Zukunft für den Journalismus sehe, auch wenn das derzeit häufig behauptet wird, ist im Kuratieren und Aufbereiten bereits vorhandenen Wissens. Momentan mag es noch einen gesellschaftlichen Nutzen haben, wenn Leute die Fülle der vorhandenen Informationen ordnen, sortieren, evaluieren, verifizieren und häppchenweise aufbereiten. Aber ich glaube, das werden wir alle zunehmend selber machen. Die entsprechenden Tools gibt es bereit, es bilden sich entsprechende Mechanismen heraus. Woran es momentan noch fehlt, ist die dafür notwendige Medienkompetenz, die noch nicht bei allen vorausgesetzt werden kann. Aber das wird kommen. Das Kuratieren von Informationen durch Redaktionen mag ein Modell sein für den Journalismus der nächsten fünf, zehn Jahre, aber nicht auf Dauer.
Bleibt natürlich die Frage, wer Journalismus in Zukunft bezahlen soll. Meiner Meinung nach werden das nicht die User sein. Denn ein anderer häufig genannter Zusammenhang ist ebenfalls ein Irrtum: der zwischen Relevanz und Reichweite. Beides hat nichts miteinander zu tun.
Die Relevanz eines Contents lässt sich NICHT daran ablesen, wie viele Leute sich dafür interessieren. Ich sage nur: NSU versus Königshochzeiten. Die Menschen interessieren sich im Alltag für Buntes, Skandalöses, Emotionales und nicht unbedingt für die „wirklich wichtigen“ Dinge, und ich finde, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Das geht mir auch selber oft so.
Nicht aus einer individuellen, sondern lediglich aus einer gesellschaftlichen Perspektive heraus ist es wichtig, dass möglichst viele Dinge recherchiert und veröffentlicht werden. Damit sie im Fall des Falles vorhanden und referenzierbar sind. Aber diese Rechercheergebnisse sind keine massenverkaufbare Ware. Und deshalb ist klar, dass die Finanzierung von Journalismus in Zukunft weder über Nutzergebüren, noch über Werbung laufen kann (die ja in direktem Zusammenhang mit Reichweite und Quoten steht).
Leider befinden sich die traditionellen Medien derzeit in der Falle, dass sie sich auf der Suche nach Reichweite und damit nach Einnahmen immer weiter von genuin journalistischem Content entfernen, weil mit solchem Content eben nicht dieselben Reichweiten und Renditen erzielt werden können wie mit nicht-journalistischem Content, also mit Unterhaltung und PR. Unterhaltung (wozu auch Skandalberichterstattung gehört) erzielt Reichweiten und generiert Einnahmen. PR wiederum kostet wenig und rentiert sich daher auch bei geringeren Reichweiten, was etwa das Geschäftsmodell der Huffingtonpost ist (warum die Huffingtonpost nicht Journalismus, sondern PR ist, hat Michael Pantelouris grade auf Carta erklärt, full ack. meinerseits).
Das heißt, die Frage nach der Zukunft des Journalismus ist eine gesellschaftspolitische Frage, die nicht auf marktwirtschaftliche Weise gelöst werden kann. Angesichts der Vielzahl von anderem Content, der kostenlos verfügbar ist und das Interesse der Menschen in der Masse mehr trifft als die Ergebnisse fundierter journalistischer Recherche, werden die Leute nicht in relevantem Ausmaß dafür bezahlen. Vielleicht bei einzelnen Crowdfunding-Projekten, doch dass werden immer nur kleine Nischen sein.
Wenn der professionelle Journalismus erhalten bleiben soll, wird das meiner Ansicht nach nur über gesellschaftliche Mittel wie Kulturflatrate oder Stiftungen oder ähnliches funktionieren.
Sicher wird es auch in Zukunft noch Geschäftsmodelle für Medienangebote geben, die sich über Nutzungsgebüren oder Werbung finanzieren, aber das werden meiner Ansicht nach keine genuin journalistischen Inhalte sein, sondern in erster Linie Unterhaltung. So, wie es ein Großteil des Contents im Fernsehen oder in Zeitschriften ja jetzt schon ist.
Soweit erstmal meine Überlegungen zum Thema. Das Panel bei den Medientagen wird Anfang November auch noch ausgestrahlt (dann reiche ich den Link nach). Bereits online steht ein Interview dazu, das der BR vor dem Panel mit mir gemacht hat (das Foto ist ein Screenshot daraus).

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