In meinem letzten Post schrieb ich, dass der Kern des Journalismus im Recherchieren bislang nicht verfügbarer Informationen liege, und dass ich deshalb der Meinung bin, Journalismus sei gesellschaftlich nützlich und solle aus allgemeinen Ressourcen ermöglicht werden. Haha, wie naiv.
Kurz darauf kam nämlich dieser Link herein, ein Text von Henry Farrell, der sagt, die Bedeutung von Medienjournalismus liege überhaupt nicht darin, Informationen zugänglich zu machen, sondern vielmehr darin, Informationen in Wissen zu verwandeln. Dass eine Information öffentlich bekannt ist, sei nämlich vollkommen unerheblich. Wichtig werde das erst, wenn man sie auch für eine wichtige Information hält. Und welche von den vielen vorhandenen Informationen wichtig sind, das entscheiden die Medien. Sie sagen uns, was wir wissen müssen (weil „man“ darüber eben spricht), und was wir getrost ignorieren dürfen.
Tja, leider hat er ja recht. Allerdings: Schön ist das nicht.
Wenn ich hier im Blog öfter von „Mainstream“-Medien spreche, dann meine ich genau das: Dass es eine, vielleicht sogar inzwischen tatsächlich die einzige Funktion großer Medien ist, durch die Art und Weise ihrer Berichterstattung darüber zu entscheiden, was als relevant zu gelten hat und was nicht.
Auf diese Weise haben die Medien und die darin einflussreichen Journalist_innen eine sehr große politische Macht. Vermutlich ist das auch der Grund, warum so viele von ihnen derzeit behaupten, die Zukunft des Journalismus liege im Kuratieren und Gewichten von Informationen.
Als ich dies in meinem vorigen Blogpost zurückwies, vermutete ich noch, diese Einschätzung könne daran liegen, dass die Dynamik sozialer Medien falsch eingeschätzt wird (die nämlich so eine Arbeit tendenziell überflüssig machen). Aber vermutlich liegt es eher an der Eitelkeit der Medienmacher_innen. Denn wenn sie mit ihrer Kuratiererei darüber entscheiden, was für wichtig zu gelten hat und was nicht (und wenn das von der Allgemeinheit auch als ihre genuine Aufgabe angesehen und bejubelt wird) dann sind sie selber eben SUPERWICHTIGWICHTIG. Klar, dass ihnen das gefällt.
Nur: Gesellschaftlich nützlich sind sie dann leider nicht mehr. Sondern im Gegenteil: schädlich.
Denn eine solche Dynamik führt zur Mainstreamisierung und Normatierung im politischen Handeln, wo Differenzierung und Komplexitätsbewusstsein notwendig wäre. Sie leitet politische Debatten in einseitige Bahnen, unterdrückt abweichende Ansichten, verdrängt und marginalisiert Perspektiven, die nicht Mainstream sind.
Man kann wohl kaum bestreiten, dass genau das gegenwärtig in den Medien passiert. Die Frage ist: Finden wir das gut? Bejubeln wir diese Entwicklung als Rettung für den ach so gesellschaftlich bedeutsamen Berufszweig Journalismus? Oder müsste uns dieser Trend nicht vielmehr Anlass zur Besorgnis sein?
Wenn wir uns als politische Wesen verstehen wollen, dann, finde ich jedenfalls, müsste der Prozess der Transformation von Informationen in Wissen von jeder Person selbst geleistet werden. Um eine politisch Handelnde zu sein (und nicht bloß Teil einer Herde, die nachplappert, was grade im Brennpunkt gesendet wird), muss ich selber zu einem Urteil finden und auch dazu stehen. Muss ich selber entscheiden, welche Relevanz ich welchen Informationen zuspreche und wie ich sie verstehen, interpretieren, in meine Weltanschauung einpassen will. Natürlich nicht einsam am Schreibtisch, sondern im Austausch und im Gespräch mit anderen. Aber urteilen muss ich selbst, und dieses Urteil dann auch wieder in der Debatte anderen gegenüber vertreten. Das und nichts anderes ist Politik.
Wenn wir hingegen die Anstrengung, Informationen in Wissen zu transformieren, an irgendwelche Leute in Redaktionsstuben abgeben, dann sind wir keine politischen Wesen mehr. Dann gestalten wir nicht mehr in Freiheit unsere Welt, sondern begnügen uns damit, zwischen Joghurt mit Vanille- und Erdbeergeschmack zu wählen, aber dass es auf jeden Fall Joghurt gibt, das haben andere für uns bereits entschieden.
Und wenn man in diesem Zusammenhang dann noch einmal auf die Tatsache zurückkommen will, dass diese Medienwelt zu über 80 Prozent die Ideen und Ansichten von weißen, bildungsbürgerlichen Männern wiedergibt, wird das ganze Ausmaß des Desasters noch deutlicher.
Nein, so einen Journalismus brauchen wir nicht.
(Foto: mkorsakov/Flickr.com)

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