Nein, das neue Buch von Bascha Mika kann ich nicht fertig lesen. Angeblich soll es hier um das Älterwerden gehen, und die kulturellen Unterschiede, die dabei für Frauen und Männer eine Rolle spielen. Das Thema interessiert mich, wirklich, es interessiert mich sehr. Weil ich selber dieses Jahr fünfzig werde (und damit gerade mitten drin sein müsste in dem Prozess, den Mika mit „Unsichtbarwerden der Frauen“ beschreibt), und weil ich mich schon länger mit dem demografischen Wandel und speziell der Rolle, die Frauen dabei spielen, beschäftige.
Aber dieses Buch ist, ich kann es nicht freundlicher ausdrücken, einfach unerträglich. Bis ungefähr zur Seite 100 (wo ich jetzt bin) geht es NUR um weiße, bürgerliche Frauen und NUR darum, dass sie sexuell keine Aufmerksamkeit mehr erregen, und zwar NUR darum, dass sie bei Männern keine sexuelle Aufmerksamkeit mehr erregen.
Ich habe ehrlich keine Ahnung, ob mir früher Bauarbeiter je hinterhergepfiffen haben (gibt es eigentlich ein abgegriffeneres Klischee?), aber wenn es jemals so gewesen sein sollte und jetzt nicht mehr so sein sollte, dann ist es mir total egal. Nein, ich habe auch keine Angst davor, dass mich mein Mann wegen einer zwanzig Jahre Jüngeren verlässt, und wenn es trotzdem so kommen sollte, müsste ich mir höchstens Gedanken über die Parameter meiner Partnerwahl machen. Denn offenbar war sie dann ein Griff ins Klo. Für einen Mann, der mit mir nichts mehr anfangen kann, weil eine Jüngere einen strafferen Busen hat, hätte ich nichts als Verachtung übrig. Tränen hinterherweinen oder von Selbstzweifeln überfallen werden würde ich jedenfalls nicht.
Mindestens so sehr wie die Frage, ob Männer mir wegen meiner atemberaubenden Sexyness hinterherschauen, interessiert mich, ob sie mir zuhören, oder ob mir Frauen hinterherschauen und mir zuhören, und noch mehr interessiert mich, wem ich selber hinterherschaue und zuhöre und warum. Von all dem war aber auf diesen ersten hundert Seiten nicht auch nur in einem Halbsatz die Rede.
Ich kenne so viele interessante und (für mich) attraktive Frauen, die älter sind als ich, und die ich mir zum Vorbild nehmen kann, dass mir vor dem Älterwerden überhaupt nicht bange ist. Naja, ich will nicht sagen, überhaupt nicht. Aber nicht wesentlich mehr als in der Natur der Sache liegt. Die symbolische Wende, die Bascha Mika einfordert, ist nämlich bereits passiert. Jedenfalls dort, wo ich lebe. Ältere Frauen sind nicht mehr unsichtbar.
Jedenfalls nicht im wirklichen Leben, man muss einfach nur mal vor die Tür gehen und sie sich alle anschauen, diese vielen Frauen über Fünfzig, die da überall herumlaufen und wichtige Dinge tun.
Natürlich darf man dafür nicht den Fernseher anschalten. Die Medienindustrie, die aussterbende, und vielleicht auch noch der sich selbst für hip haltende Kulturbetrieb, ja, da herrscht noch der Jugendzwang für Frauen, aber was interessiert mich der? Das ist doch kein Maßstab!
Ganz abgesehen davon, dass ja keineswegs nur ältere Frauen unter dieser sexualisierenden Bewertung von Frauenkörpern leiden, ganz im Gegenteil. Manchmal habe ich den Eindruck, dass jüngere Frauen heute vielleicht sogar noch mehr darunter leiden, dass für sie der Druck, einen „Normkörper“ vorzuweisen, sehr viel größer ist als für Frauen meines Alters. Wahrscheinlich ist gerade das überhaupt keine Altersfrage sondern wäre vielmehr ein lohnendes Thema für einen feministischen Inter-Generationenaustausch. Und wenn wir dann auch noch Kategorien wie Herkunft, Hautfarbe, soziale Schicht, sexuelle Orientierung dazunehmen, das könnte spannend werden!
Vielleicht hätte ich das Buch halbwegs erträglich gefunden, wenn Mika nicht ständig pauschalisierend über „die Frauen“ sprechen würde, wenn sie nicht ständig von sich (und dem speziellen Frauensegment, das sie offenbar vor Augen hat) auf uns alle schließen würde. Wenn nicht wir, die Feministinnen und überhaupt all jene, die seit dreißig, vierzig Jahren bereits an einer neuen symbolischen Ordnung arbeiten, von ihr so penetrant ÜBERSEHEN werden würden. (So ging es mir nämlich bei dem Buch von Eva Illouz, die ebenfalls nur das weiß-mittelständische Milieu analysiert, aber das zumindest reflektiert).
Im übrigen kenne ich auch sehr viele interessierte und aufgeschlossene Männer, ältere, gleichaltrige und jüngere, die mir (und anderen älteren Frauen) Aufmerksamkeit entgegenbringen, die mir zuhören, wenn ich etwas sage. Sicher, ich will nicht ausschließen, dass die Mehrzahl von ihnen nicht sofort mit mir ins Bett springen will, aber hallo: Was für eine Welt ist das denn, wo es darauf ankommt?
Ich will nicht bestreiten, dass es noch Segmente auf dieser Welt gibt, in denen die Mechanismen, die Bascha Mika beschreibt, gültig sind. Aber es ist nicht meine Welt, es ist keine Welt, auf deren Anerkennung ich Wert lege. Es ist mir völlig egal, wie sexuell oder sonstwie attraktiv mich irgendwelche Männer finden, von denen ich schon lange nicht mehr erwarte, dass sie die Welt retten, seien sie nun Bauarbeiter, Medienschaffende oder am Ende noch KFMs.
Es ist mir egal, weil ich es kann. Weil es genügend andere Orte gibt, an denen ich mich stattdessen aufhalten kann. Mit Leuten – Frauen und Männern jeglichen Alters – deren Urteil mir wirklich wichtig ist. Ich will natürlich nicht bestreiten, dass in punkto weibliches Altern auch dort, jenseits der medial abgefeierten Schicki-und-Schischi-Kultur, noch vieles im Argen liegt. Aber die Probleme, über die Bascha Mika schreibt, die sind aus einem anderen Jahrhundert. Jedenfalls in meinem Universum.
Okay, dieses Urteil betrifft jetzt nur die ersten hundert Seiten. Vielleicht wird es ja späterhin noch spannend. Sollte das der Fall sein, bin ich für Hinweise in den Kommentaren dankbar. Ich lass das Buch noch eine Weile bei mir herumstehen, nur für den Fall. Aber zu Ende lesen werde ich es nicht.
Schließlich bin ich fast fünfzig, da muss ich mir gut überlegen, womit ich meine restliche Lebenszeit verbringen will.
Bascha Mika: Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden. C. Bertelsmann, 17.99 Euro.

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