Ich sag es gleich, ich bin ein Fan von Tarantino, und auch von seinem neuesten Film The Hateful Eight. Ich fand den besser als Django Unchained, dessen klares Gut gegen Böse mir nicht gefallen hat.
Tarantino zeigt in The Hateful Eight ein Kammerspiel über die zerstörerische Kraft des zu Ende gehenden Patriarchats. Auf die Idee brachte mich eine Bekannte, die sagte: Genau wie im wirklichen Leben ist die eigentliche Zivilisation, die dem Ganzen zugrunde liegt, im Film weitgehend unsichtbar, wird nur nebenbei erwähnt. Es ist die auf „Care“ gründende Umtriebigkeit des Alltagslebens, die sich in Maggie’s Haberdashery zeigt: ein Ort, wo gekocht, geputzt, geredet und gelacht wird, wo Feuer brennt und Kaffee auf dem Herd steht, wo Frauen und Männer, Schwarze und Weiße, Alte und Junge ihren Platz haben. Ein Ort mit Tischen und Stühlen, mit einem Dach über dem Kopf – und einem imposanten Bett in der Mitte (was für eine großartige Idee!).
Maggie und ihr Haberdashery (ein tolles Wort, ich hab’s gegoogelt, es heißt Kurzwarenladen) verkörpern genau das, was wir in unserem ABC des guten Lebens „Wirtinschaft“ nennen.
Maggie ist (Achtung, jetzt kommen Spoiler!) allerdings bereits tot, als der Film beginnt; die von ihr und ihrem „öffentlichen Haushalt“ verkörperte Zivilisation wird nur kurz in einer Rückblende gezeigt. Die „Hateful Eight“, die letzten Ausläufer eines ausgestorbenen Patriarchats beziehungsweise eher die marodierenden Brüder eines entfesselten Fratriarchats, sind gewaltsam eingedrungen. Wie grandios die filmische Idee, sie immer und immer wieder die Tür zum Haberdashery eintreten zu lassen, um sie dann jedes Mal wieder zu vernageln!
Der Film inszeniert detailreich, wie diese Typen über die von anderen wohnlich gemachte Welt herfallen und wie Parasiten von dem leben, was andere aufgebaut haben. Aufwändig wird zum Beispiel thematisiert, dass sie das Stew, das sie essen, nicht selbst gekocht haben, sondern es noch von Maggie stammt. Sie bringen nur vergifteten Kaffee zustande. Wundervoll auch, wie sie den alten Patriarchen – den General – noch gnädigerweise und zu ihren Bedingungen eine Weile im Lehnstuhl sitzen lassen, aber als es brenzlig wird, ist er der erste, der dran glauben muss. Das Ende des Patriarchats ist banal.
Besonders schön hat mir auch die Szene gefallen, wo der eine Typ von seiner Mutter erzählt, die er über Weihnachten besuchen will. Das ist gelogen, wie sich später herausstellt (und wir auch schon vermutet hatten), aber man spürt doch die hilflose Sehnsucht im Gespräch dieser beiden Männer: Sie wissen, was gut und richtig wäre, aber sie sind schon zu weit davon entfernt, und vermutlich auch zu feige, um es zu tun.
Das alles und noch viel mehr wird in liebevoll komponierten Dialogen wunderbar ausgearbeitet (allerdings weiß ich nicht, wie gut die Übersetzung ist, ich habe den Film auf Englisch gesehen). Erst gegen Ende des Films geht es dann so richtig mit tarantinteskem Splatter los, mir persönlich reichte das auch. Denn auch das ist angemessen: Die männliche Ordnung besteht nicht in erster Linie aus gewaltvollen Taten, sondern aus Worten. Und sie wird hier daher auch vor allem sprechend „dekonstruiert“, und zwar in genau den drei Säulen, auf die das untergehende Patriarchat sich stützte: Militarismus, Justiz und Rassismus. Übrig bleiben nur Kopfgeldjäger und Banditen, also letztlich der Kapitalismus.
Ich muss ehrlich sagen, dass mir sehr gut gefällt, wie Tarantino diese Geschichte inszeniert. Mir gefällt, dass auf der Seite der Zivilisation zwar mehr Frauen als Männer sind, und dass Schwarze Frauen dabei die maßgebliche Rolle spielen, denn so ist es ja auch. Aber es ist auch klar, dass das Angebot, zivilisiert zu leben und ein gemeinsames gutes Leben zu führen, für alle Menschen gilt. Und analog ist richtig, dass auf Seiten des zerstörerischen, parasitären Fratriarchats überwiegend Männer sind, aber eben nicht nur, denn auch Frauen „können genauso Banditen sein wie Männer“. Und wenn sie es, wie Daisy Domergue, richtig anstellen, wenn sie ordentlich einstecken und austeilen können, dann dürfen sie sogar „Führungspositionen übernehmen“.
Am Ende sind alle tot, und das konnte im Film auch gar nicht anders kommen, weil die Grundlagen der Zivilisation ja bereits zerstört waren, bevor die Geschichte überhaupt anfing. Aber wir, wir leben in einer Welt, in der das eine oder andere Haberdashery noch in Betrieb ist und funktioniert. Das ist die gute Nachricht.
PPS: Mir gefiel auch die Idee, einen Film über das Patriarchat zu machen, in dem (fast) die ganze Zeit nur gelabert wird 🙂
PS: Man ruft mir auf Twitter grade zu, es heiße DIE Haberdashery (die Haberdasherei). Aber irgendwie klingt das…

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