Fundamentalismus – was ist das?

Beim Kirchentag in Berlin war ich auf einem Podium der feministisch-theologischen Basisfakultät zum Thema „Feminist*innen aller Länder, vereinigt euch“ und hielt einen Kurzvortrag zu der Frage, was Fundamentalismus eigentlich ist.

Falls euch das auch interessiert: Hier ist der Audiofile zum Nachhören.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

11 Gedanken zu “Fundamentalismus – was ist das?

  1. Sehr guter Vortrag. Sehr gut deshalb, weil deine Position sowie die Art der Ausführung Räume öffnet.

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  2. Du führst aus, dass Fundamentalisten beanspruchen zu wissen, was Gott will und bezeichnest das als Gotteslästerung. Was sind dann die positiven Aussagen, die gläubige Menschen über Gott machen, wenn diese z.B . sagen: Gott will den Frieden, Gott will, dass wir einander helfen……?

    Mir gefällt, was du über „Frömmigkeit“ sagst, nämlich, dass diese immer unsicher ist.
    Vielleicht beginnt Fundamentalismus da, wo Menschen ihre Unsicherheiten mit „letzten Wahrheiten“ austreiben wollen?

    Zur Unterscheidung von positivem/negativem Fundamentalismus könnte folgende biblische Aussage hilfreich sein: „An ihren Taten (Früchten) werdet ihr sie (die falschen Propheten) erkennen.“

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  3. @Ute Plass – Eigentlich sage ich, dass die Gotteslästerung dort anfängt, wo man aus dem, was man für den Willen Gottes hält, das Recht ableitet, daraus politische Forderungen abzuleiten und diese anderen Menschen mit Macht (physische Gewalt oder Gesetze) aufzuzwingen. Keine Gotteslästerung ist es, wenn man das, was man für den Willen Gottes hält, anderen argumentativ zu vermitteln versucht (also „missioniert“). Und natürlich ist es erst recht keine Gotteslästerung, wenn man sich selbst entsprechend verhält und danach handelst. Damit korrespondiert die Einsicht, sich nie 100% sicher sein zu können, dass man Gottes Willen wirklich richtig verstanden hat, also offen zu bleiben für neue Einsichten und interessiert an Kritik.

    Ja, klar, das mit den Früchten ist natürlich nach wie vor ein grandioses Kriterium!

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  4. Danke, Antje, für die Erläuterung. So gesehen ist mir der Begriff der „Gotteslästerung“ einsichtig.

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  5. „dass die Gotteslästerung dort anfängt, wo man aus dem, was man für den Willen Gottes hält, das Recht ableitet, daraus politische Forderungen abzuleiten und diese anderen Menschen mit Macht (physische Gewalt oder Gesetze) aufzuzwingen.“

    also zum Beispiel, wenn man die politische Forderung aufstellt, dass an Karfreitag ein Tanzverbot verhängt wird?

    „An ihren Taten (Früchten) werdet ihr sie (die falschen Propheten) erkennen.“
    Die Taten müssen aber auch erst einmal interpretiert werden. Ein fundamentalistischer Christ in den USA könnte z. B. einen Abtreibungsarzt erschießen. Dies würden manche als gute Tat sehen, da er ja nun nicht mehr abtreibt und andere evtl. aufhören abzutreiben. (dass hier getötet wird, um Abtreibungen zu verhindern, ist für die kein Widerspruch, da das ungeborene Leben hilflos und somit schützenswerter sei als das Leben eines selbstverantwortlich handelnden Arztes sei)
    Das ist förmlich eine Einladung zum Zirkelschluss: ein Glaube ist gut, und das weiß ich, weil ich die Taten gut finde, die daraus erwachsen. Und die Taten sind gut, weil sie meinem Glauben entsprechen. Sonst würde ich sie ja nicht gut finden. Es ist logisch nicht denkbar, dass man damit jemals zu einem anderen Ergebnis kommt als sich selbst zu bestätigen.

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  6. Über etwas nicht zu diskutieren, macht eine nicht zur Fundamentalistin. Wenn es für mich nicht verhandelbar ist, dass Frauen frei sind (Sie sagten Männer und Frauen gleichberechtigt), dann diskutiere ich nicht, weil eine Diskussion eine Ansichtenänderung auf beiden Seiten möglich macht. Ich weiß aber, dass auf meiner Seite da nichts möglich ist. Also, warum den anderen verarschen? Ich muss ihm ja nicht meine Überzeugung per Gesetz aufdrücken, aber ich kann weggehen. Nicht alle müssen mit allen in enger Beziehung stehen. Diese Haltung hat mich schon bei den EU-Werbe-Plakaten gestört. Wir sollten Trennungen und heilsames Weggehen wieder lernen.

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  7. @Wilhelm – Ja, logisch abstrakt mag das Diktum mit den Früchten nicht funktionieren. Intuitiv aber schon. Also in der Realität.

    Zu der Frage mit dem Tanzverbot: Wenn es mir gelingt, meine Ansichten und Gesetzesvorschläge, die aus Glaubensüberzeugungen hervorgehen, politisch so zu vermitteln, dass sie auf demokratische Weise mehrheitsfähig wird und dann entsprechend umgesetzt wird, halte ich das für kein Problem. Es sind ja auch viele nicht christliche Menschen für Tanzverbote an Karfreitag oder für Gesetze zur Sonntagsruhe. Man muss nicht gläubig sein, um in diesen Gesetzen einen Sinn zu sehen. Fundamtentalistisch ist es, wenn diese Gesetze „durchgedrüctkt“ werden. In Demokratien ist dieser Unterschied natürlich etwas tricky zu machen.

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  8. @Illin – Ja, das stimmt, ich wollte auch nicht sagen, dass man über alles diskutieren muss. Wenn man allerdings nicht sowieso in der Mehrheit ist, aber trotzdem will, dass die eigene Meinung sich zum Beispiel in Gesetzen usw. niederschlägt, dann muss ich doch diskutieren. Fundamentalistin bin ich, wenn ich dann nicht diskutiere, sondern Gewalt anwende.

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  9. Zu den Früchten: nun, ich habe ja versucht ein Beispiel zu liefern, dass man damit immer seinen Glauben rechtfertigen kann. Der Abtreibungsgegner fühlt intuitiv, dass es richtig oder zumindest verzeihlich ist, in Abtreibungskliniken Leute zu töten. Intuition ist für mich so etwas wie der gefühlsmäßige Ausdruck einer unbewussten Logik, d. h. wenn es auf logischer Ebene nicht funktioniert, kann es auch intuitiv nicht funktionieren.
    Oder geht es wieder darum, dass Intuition/Subjektivität die Realität sei? Dann bleibt aber immer noch das Problem, dass alle anderen „Intuitionen“ genauso gültig sind, also auch evangelikale, islamistische etc.

    Zum Karfreitag: Selbst wenn es eine Mehrheit für ein Tanzverbot gäbe, ist das nicht unbedingt ein Argument dafür, dass es legitim ist. Die Idee unserer Demokratie ist ja, dass es gerade Bereiche gibt, die nicht zur Abstimmung stehen, nämlich Grundrechte. Der Gesetzgeber (als Repräsentant der Mehrheit) hat dort verfassungsrechtliche Grenzen seines Gestaltungsspielraums. Jetzt kann man darüber streiten, ob das Tanzverbot Grundrechte verletzt, z. B. die allgemeine Handlungsfreiheit oder die Berufsfreiheit. Der Eingriff ist eher gering (die Rechtfertigung ist allerdings auch dünn), aber es gab schon Urteile, dass z. B. das Tanzverbot der Versammlungsfreiheit/“Demonstrationsrecht“ weichen muss (Leute wollten gegen das Tanzverbot durch Tanzen demonstrieren)

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  10. @wilhelm

    „also zum Beispiel, wenn man die politische Forderung aufstellt, dass an Karfreitag ein Tanzverbot verhängt wird?“

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EKD oder die katholische Kirche das Tanzverbot am Karfreitag damit begündet das Gott das befohlen hat.

    Üblicherweise lautet die Argumentation so: Für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ist Ostern so wichtig, dass der Rest der Bevölkerung auch mal einen Tag auf Tanzen verzichten kann damit man den Tag feierlich begehen kann.

    Und da stimme ich ja zu, müsste nicht sein. Problem das ich nur sehe: Da ich bei denjenigen die das Tanzverbot bekämpfen eine unterschwellige Feindschaft gegenüber allem religiösen Wahrnehme würde eine Aufhebung nicht viel nützen: Vermutlich würden sie dann am Karfreitag eine „Freiheit von Religionen“ Tanzparty auf der Domplatte anmelden und ich könnte nicht mehr ungestört Gottesdienst feiern.

    @Antje Schrupp

    Bei ethischen Fragen ist jeder irgendwie Fundamentalist (auch Atheisten) weil ethische Fragen meiner Meinung nach nicht begründet werden können. Deswegen kann man nicht ernsthaft mit Peter Singer darüber diskutieren ob man Säuglinge unter 35 tagen einfach töten dürfen soll oder mit christlichen Fundamentalisten ob man Homosexuelle oder Frauen diskriminieren sollte.
    Ist ja nicht so, dass es gute oder schlechte Argumente gibt. Ich finde Argumente gut oder schlecht.
    Und Gott nützt als Argument in dem Punkt wirklich gar nichts. Dient eher als Ausrede dafür keine Verantwortung für den eigenen Standpunkt zu übernehmen.

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  11. @skeptischerchrist
    „Üblicherweise lautet die Argumentation so: Für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ist Ostern so wichtig, dass der Rest der Bevölkerung auch mal einen Tag auf Tanzen verzichten kann damit man den Tag feierlich begehen kann.“

    In Bayern vielleicht. Ansonsten bin ich mir da nicht so sicher. Außerdem ist es kein Argument, da man ja auch so Karfreitag feierlich begehen kann. Allen zu verbieten, sich frei zu entfalten, ist da schlicht unverhältnismäßig. Dass man sich vom Anblick fröhlicher Leute gestört fühlt, reicht da nicht aus, um jemandem etwas zu verbieten. Das ganze Land soll zum ultimativen Safe-Space werden. Das wird der Situation nicht gerecht. Es muss ein Interessenausgleich gefunden werden.

    Im Übrigen geht es auch nicht um Verbote von Gott, sondern Verbote, die darauf beruhen zu wissen, was Gott will. Vielleicht möchte Gott ja, dass Leute an Karfreitag tanzen? Nein? Dann beruht das Verbot letztlich doch auf diesem unterstellten Willen nach dem Motto: „Gott hat es nicht verboten, aber er will es nicht, also verbiete zumindest ich es.“

    „Da ich bei denjenigen die das Tanzverbot bekämpfen eine unterschwellige Feindschaft gegenüber allem religiösen Wahrnehme “
    Feindschaft gegenüber Religiösem nur, soweit es Sonderrechte beansprucht, als da wären politischer Einfluss, Deutungshoheit und besonderer Schutz vor Kritik. Eine Religion ist auch nur eine Überzeugung von vielen. Der Maßstab für Kritik ist daher derselbe wie bei allen anderen Weltanschauungen und politischen Überzeugungen. Wenn man also die FDP verspotten darf, dann darf man genauso auch Religionen verspotten. Ob eine Demo „Freiheit von Religion“ möglich wäre, denke ich weniger. Ich wüsste auch nicht, dass es vor Kirchen „Demos gegen Weihnachten“ gibt etc. Sobald es kein Tanzverbot mehr gibt, wird auch niemand mehr dagegen demonstrieren, und wenn doch gibt es noch andere Schutzmöglichkeiten. Irgendwas mit öffentlicher Friede wird der Stadtverwaltung schon einfallen, dann müssten die halt woanders demonstrieren (also Dämonen anbeten, weil Atheisten sind ja Satanisten, habe ich neulich gehört. Kleines Wortspiel am Rande)

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