Die Macht der Commons


Buchtipp: Silke Helfrich und David Boller: Frei, Fair und Lebendig. Die Macht der Commons. Transcript Verlag 2019, unter Creativ Commons Lizenz lizensiert

Oh, ja, das Wirtschaftssystem. Einerseits wissen wir alle, dass kleine Veränderungen an einzelnen Stellschrauben nicht ausreichen, andererseits aber sieht es auch nicht nach Revolution oder einer bald bevorstehenden Abschaffung des Kapitalismus aus.

Auf einer guten Schwelle zwischen Realismus und Radikalismus befindet sich dieses Buch. Schon dass es fast ganz ohne Marxzitate auskommt, ist ein gutes Zeichen (in theoretischer Hinsicht stützt es sich überwiegend auf Elinor Ostrom, im Anhang findet sich eine kurze Zusammenfassung der „Design Prinzipien für Commons-Institutionen nach Elinor Ostrom“).

Die Autor*in entwirft eine un-kapitalistische Vision von Ökonomie, schwebt dabei aber nicht in abstrakten Gedankenspielen, sondern schildert das anhand von Beispielen aus dem richtigen, real existierenden Leben.

Es geht um Commons, also um gemeinschaftliches Wirtschaften, und darum, was sich aus bestehenden Commons-Organisationen, Projekten und Theorien schließen und lernen lässt. Anhand einer Handvoll konkreter Beispielen wird erklärt, was Commons überhaupt sind und welche Bedingungen zu einer Verbreitung beitragen könnten. Dabei stellt sich allerdings heraus, dass die existierenden Commons so unterschiedlich sind, dass diese Erklärung nur teilweise gelingen kann.

Dass es so schwer ist, „Commons“ zu erklären oder auch zu verstehen, liegt im Umstand, dass sie nicht nach der Logik herkömmlicher Denkweisen funktionieren, bei denen immer das Privateigentum als Grundlage der Ökonomie angesehen wird. Die „Triade des Commoning“, die das Buch herausarbeitet, besteht hingegen aus sozialem Miteinander, Selbstorganisation durch Gleichrangige sowie sorgendem und selbstbestimmtem Wirtschaften.

Ein Problem ist, dass der heutige Kapitalismus mit seinen Rechtsnormen zum Eigentum nicht so recht zur Logik der Commons passt. Aber auch alle „linken“ Ansätze, die auf einen Ausbau des Staates als Vehikel für positive Veränderungen setzen, schaden dem Anliegen der Commons.

Bevor ich hier einen kurzen inhaltlichen Überblick gebe, noch kurz der Hinweise, dass das Buch leider auf einem sehr schweren Papier gedruckt ist. Man hat den Eindruck, ein Stück Blei herumzuschleppen, wenn man damit unterwegs ist. Es lohnt sich aber.

Teil 1 Commons-Grundagen

Zunächst wird der Begriffs Commons von anderen Begriffen (Gemeingüter, Gemeinressourcen, Gemeineigentum, Gemeinwohl, Common Wealth) abgegrenzt. Da jedes Commons einzigartig ist, wird eine Beschreibung über Beispiele versucht:
– ein selbstorganisiertes Flüchtlingslager in Jordanien mit 85.000 geflüchteten Syrer*innen
– eine Pflegeorganisation in den Niederlanden mit 10.000 Pflegekräfte in kleinen selbstverwalteten Teams  – Solidarische Landwirtschaft in Deutschland oder USA
– WLAN-Versorgung in Barcelona …

Resümee: Jedes Commons beruht auf natürlichen Ressourcen, jedes Commons ist gemeinschaftliches Wissen, jedes Commons ist ein sozialer Prozess.

Dann geht es um die Wichtigkeit von Frames (Narrativen) als oft verborgene Dimension der Politik. Bei Commons geht es um Beziehungen und Bezogenheit und um Pluralität (statt Kollektivismsu). Commons werden als große „Intra-Aktionssysteme“ verstanden, als „soziale Phänomene, die Sinnhaftes und Wertvolles erzeugen, die Wirklichkeit werden, wenn Menschen zusammenkommen, um gemeinsam Probleme zu lösen oder Neues kreieren und dabei Regeln verhandeln, Konflikte anpacken und eine Kultur bewusster Selbstorganisation entwickeln.“

Auch die Sprache spielt eine wichtige Rolle, da Commons-basierte Ökonomie eben ein Paradigmenwechsel ist. Zunächst wird eine Liste von „Schlüsselwörtern einer verklingenden Ära“ und „irreführender Dichotomien“ geboten, die in die falsche Richtung weisen (zum Beispiel die Unterschiedung in Konsument*innen und Produzent*innen), während dann ein „Vokabular commons-freundlicher Begriffe“ folgt (zum Beispiel „Crowdfunding“)

Teil 2 Commons verstehen und leben

These: Gemeinsam sind den Commons eher „Muster“ (gemeinsame Essenz) als „Prinzipien“ (universelle Behauptungen).

Beim Sozialen Miteinander geht es darum, gemeinsame Ansichten und Werte zu kultivieren, Rituale des Miteinanders zu etablieren, es wird ohne Zwänge gearbeitet, Gegenseitigkeit behutsam ausgeübt (Tausch auf Gegenseitigkeit mit Gefühl der Fairness bei Geben und Nehmen), situiertem Wissen vertrauet (Vor Ort wissen sie besser Bescheid), Naturverbundenheit zu vertiefen, Konflikte beziehungswahrend zu bearbeiten (Respekt, Wertschätzung, dabei die Körpersprache einbeziehen), die eigene Governance zu reflektieren.

In Bezug auf Selbstorganisation durch Gleichrangige geht es darum, sich in Vielfalt gemeinsam auszurichten, „halbdurchlässige Membrane“ zu etablieren (offen sein, aber nicht für Jedes und Jeden), Vertrauen und Transparenz, Wissen grosszügig weiterzugeben, gemeinsame Entscheidungsprozesse (zum Beispiel Soziokratie), Heterarchien statt Hierarchien, Regeleinhaltung commons-intern beobachten und stufenweise sanktionieren (gegen Trittbrettfahrer*innen und Trolle), Commons und Kommerz auseinander zu halten (Bezahlung unterminiert Arbeitsmotivation, die Logik des Wettbewerbs und der Effizienz drängt leicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit), Commons-Produktion zu finanzieren.

Sorgendes und selbstbestimmtes Wirtschaften schließlich bedeutet (Für-)Sorge leisten und Arbeit dem Markt entziehen (wobei Care nicht als Ergebnis von Commoning verstanden wird, sondern als eine der Triebkräfte für Commoning), das Produktionsrisiko gemeinsam tragen (aber nicht zu gleichen Anteilen),    Beitragen und Weitergeben, und diverse andere „Techniken“.

Teil 3: Das Commonsversum

Eigentum wird als „Verdinglichung von Sozialbeziehungen“ angesehen, da soziale Beziehungen aber fluid sind, erzeugt der heutige statische Rechts-Status des Eigentums Probleme. Ein wichtiger Begriff des Commoning ist die Nichtveräußerbarkeit (wobei es Dinge, mit denen kein Handel betrieben wird, schon im römischen Recht gibt, etwa Theater, Straßen, Flüsse etc.).

Es folgen fünf Beispielen für „andere Möglichkeiten des Habens“ (u.a. Lizensierung von Software mittels General Public License, was gerade eine kostenlose Nutzung und Weiterverbreitung ermöglicht, Food Coops (nur Mitglieder dürfen einkaufen). Es werden auch gescheiterte Versuche geschildert – ein Hauptgrund für das Scheitern scheint zu sein, wenn Projekte zu sehr von einigen engagierten Mitgliedern abhängig waren. Positiv wieder: Wikis, Mietshäuser-Syndikat: Das Grundprinzip liegt in der rechtlichen Struktur. Durch eine geschickte Konstruktion von GmbHs und (nicht eingetragenen) Vereinen wird quasi das Eigentumsrecht ausgehebelt.

Frage: Gibt es Commons-basierte Ökonomie im Markt-Staat? These: „Reform und Revolution zeigen sich als Kinder des traditionellen Marxismus: Sie können die politische Machtergreifung und die staatliche Neugestaltung denken, nicht jedoch den Aufbau einer freien Gesellschaft“ und: „Die Veränderung beginnt damit, die Revolution zu sein anstatt sie zu machen. Wobei aber doch einige Möglichkeiten staatlicher Unterstützung identifiziert werden, etwa wenn Inhalte, bei deren Erarbeitung öffentliche Gelder beitragen, frei lizensiert werden, Infrastruktur bereitgestellt wird, passende Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

3 Gedanken zu “Die Macht der Commons

  1. Dass ein Buch „fast ganz ohne Marxzitate auskommt“ ist weder ein „gutes Zeichen“ noch ein schlechtes noch eine Qualitätszuschreibung überhaupt, gelegentlich auch ein Mangel oder sogar eine Anmassung.

    Das sage ich als jemand, der sich von geselschaftsorientierenden (!! – nicht den kapitalismusbeschreibenden) Marx-Zuschreibungen längst verabschiedet hat, da die zugrunde liegenden Sinnbilder vor 150 Jahren leider in keiner Weise taugen, unsere heutige Gegenwart oder Zukunft zu bewerten.

    Nach Lektüre der 401 Seiten dieses Buches (pdf) ist durchweg der schätzenswerte Versuch erkennbar, sich irgendwie (!!) an Elinor zu orientieren, eben irgendwie, wobei diese das den nach ihr Lebenden gewiss nicht einfach gwemacht hat …
    Auch ist der (ebenfalls schätzenswerte) konsequente Drang zur Lösung mit unkapitalistischen und unsozialistischen Denkweisen samt der Darstellung der Notwendigkeit der Erzeugung neuer Begriffswelten spürbar, was wie auch immer nur auf einen (!) „dritten Weg“ oder derer mehrere hinausläuft.

    Grundsätzliches fehlt jedoch und sollte bei nächster Gelegenheit intensiv in diese Problematik eingearbeitet werden (ohne sich wie andere im Common-Bereich das gern mal ausblenden wollen), dass es sich bei der Befassung mit der sozialen Welt um viele unterschiedliche aber konkrete ganzheitliche bio-soziale Individuen, Lebewesen, handelt, deren grundsätzliches Daseinsprinzip dem des gesamten Universums und im Besonderen als Grundlage der Entstehung von Leben und damit Sozialität überhaupt entspricht – nicht entsprechen muss oder soll oder kann, sondern entspricht:
    Es ist die Einbeziehung der UNTERSCHIEDE als Quelle jeder Bewegung, jeder Veränderung, jeder Gestaltung, sowohl in jedem Menschen wie auch zwischen den Menschen.
    Commons strebt in der Regel nach Gleichwertigkeit im Leben der Menschen, nicht nach der illusorischen weil falschen Gleichheit, die es nie gab und nicht geben kann. Dies zu erreichen, heisst den UNTERSCHIED grundsätzlich als Quelle jeder Entwicklung anzuerkennen und DAMIT zu gestalten.

    Wenn ich Elinor richtig verstanden habe (soviel Raum nahmen ihre Theorien bei mir noch nicht ein), verwies auch sie indirekt auf diesen Fakt UNTERSCHIED, indem sie darauf hinwies, dass es viele lokale wie übergeordnete unterschiedliche Gemeinschaftsanliegen (Almende, Projekte) geben sollte.

    Bei den Commons geht es ausschliesslich um ORGANisation von Gesellschaft, es muss sich also handeln um das Gestalten sich selbst tragender unterschiedlichster Teile eines jeweils übergeordneten GANZEN (SYSTEM), und zwar um ein in sich jeweils systemisch(organisch ineinandergreifend) stimmendes, funktionierendes.
    Das Geheimnis der sich selbst tragenden Entitäten ist das korrekte Erkennen und Erfassen sowie Bearbeiten der jeweiligen Unterschiede (immer wieder neu), die damit zu den INFORMATIONEN werden, die das Ganze sichern und erhalten, lokal wie darüber.

    Beim Lesen des Buches fällt auf, dass über diesen Aspekt hinweg gegangen wird, als ob Gesellschaft beliebig kreirbar wäre, nicht gebunden an die realen Existenzparameter, die Handeln von Menschen, und zwar von jedem Menschen, entscheidend mitprägen.

    Darüber hinaus eine lobenswerte Sammlung sicher hilfreicher Common-Überlegungen, wenn auch leicht abgehoben von dem, was uns umgibt und damit Ausgangsbasis für das zusein hat, was Common erreichen will.
    Danke, dass du das Thema mit diesem Titel hier aufgegriffen hast.

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  2. Ach ja:
    Niemandem ist es bisher derart tief und breit und damit intensiv gelungen, das Wesen des Kapitalismus so zu enthüllen, zu beschreiben, wie seinerzeit Karl Marx.
    Die Folge davon ist, dass sich noch 150 Jahre später alle, aber auch ausnahmslos alle Kapitalismuskritiker auf die Marxschen Wesensmerkmale berufen, berufen müssen, da es nichts Qualifizierteres dazu gibt.
    So ist auch für alle Common-Denker dieser Teil des Marxismus zwangsläufig Grundlage ihres Antriebes.
    Dies zu ignorieren, hiesse keine verwendbare Kapitalismuskritik zu zelebrieren.

    Auch die Commons sind somit gewachsen auf dem Haufen, den uns Marx hinterliess, in dem er leider nur Lösungswege seiner Zeitepoche entwickelte, worunter z.B. auch der Klassenkampf als letztlich nur sozialer Rassenkampf, als angeblich ewig den Menschengruppen willkürlich angeheftete Zuordnung mit unversöhnlicher Ablehnung jeglicher Andersartigkeit, im Geiste als gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit, gehört.
    Im Common wurde genau dies inzwischen wohl deutlich erkannt.

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  3. puh, das klingt ja schlimm. Erst einmal ist Eigentum keine Verdinglichung von Beziehungen, sondern Verdinglichung der Erfüllung für Bedürfnisse anderer Menschen: Ich erfülle einer anderen Person ein Bedürfnis und dafür gibt sie mir etwas von ihrem Eigentum.

    Das andere Problem, das ich mit einer Verbindung von Wirtschaft und Beziehungen habe, ist die Gefahr der völligen Ausgrenzung. Wenn dich deine Mitmenschen hassen, sei es aus Diskriminierung oder weil du aus Versehen ein großes Unglück angerichtet hast oder was auch immer, dann kannst du nach jetzigem Stand immer noch am Wkirtsschaftsleben teilnehmen. Dein Geld ist schließlich immer noch genauso viel Wert wie vorher. Aber wenn du ausgegrenzt wirst und die Wirtschaft auf sozialen Beziehungen beruht, dann kannst du dir nicht einmal mehr ein Brot kaufen.

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