Tokarczuk oder Handke? Wie Political Correctness als Männerquote fungiert

Ich interessiere mich nicht wirklich für Nobelpreise, ich finde diese Zuspitzung von Qualität auf „einen Sieger“ nicht angemessen, in keinem Gebiet, aber erst recht nicht auf dem Gebiet der Literatur zum Beispiel. Nicht nur wegen dem Medien- und Kommerz-Zirkus, der auf solchen „Events“ zwangsläufig liegt, sondern auch, weil es ein symbolisch völlig falsches Framing setzt. Qualität ist kein objektiver Maßstab, sondern hängt von den jeweiligen Beziehungen ab, vom Begehren. Im ABC des guten Lebens schreiben wir dazu:

Qualität ist etwas Unverfügbares, das entstehen kann, wenn Menschen, die sich an ihrem Begehren ausrichten, durch immer wieder neue Praktiken bemüht sind, Veränderungen zu erreichen, um dem näherkommen, was sie sich für ihr Leben und die gemeinsame Welt wünschen.

Worüber Nobelpreise etwas aussagen ist nicht die Qualität der Werke der Geehrten, sondern der „Zeitgeist“, also das, was in einem diskursiven Hauptstrom jeweils als wichtig gilt und was nicht. Beim diesmaligen Literaturnobelpreis wurde im Vorfeld viel über die demografischen Kriterien diskutiert: Müssen es Frauen sein, müssen es Personen aus nicht-westlichen Weltregionen sein, LGBTQI-Menschen, People of Color, whatever – also Menschen, die als „divers“ gelten, weil sie keine weißen Männer sind.

Groß war dann das Trallala, als mit Peter Handke doch ein weißer Mann ausgezeichnet wurde, zusammen allerdings mit Olga Tokarczuk, einer Frau. Ich finde die Dynamik interessant, und vermutlich wäre es für die Akademie tatsächlich schwierig gewesen, jemandem wie Handke den Preis zu geben, wenn sie nur einen Preis hätte vergeben können. Aber die Schwedische Akademie war ja dieses Jahr in der glücklichen Lage, zwei Preise vergeben zu können.

Wer war nun also der Hauptpreis und wer der Nebenpreis? Wer wurde wegen seines Werkes genommen, und wer nur wegen dem Proporz?

Die Tendenz der Medien war klar. Zunächst schrieben alle nur über Handke, Tokarczuk war Nebensache. Die Welt brachte es dann so auf den Punkt:

Nachdem der Literaturnobelpreis im letzten Jahr wegen eines Skandals ausfiel, wurden in diesem Jahr gleich zwei Preisträger ausgezeichnet. Neben dem Österreicher Peter Handke wurde die polnische Autorin Olga Tokarczuk gekürt.

Handke ist der Preisträger, Tokarczuk ist „daneben“. Der ganze Artikel handelt dann davon, wie gut Tokarczuk die Wahl Handkes ergänze, einmal weil sie ihm den Preis durch ihr Frausein überhaupt ermöglicht habe – unter anderem ihres Geschlechts wegens sei sie eine ideale Kombination gewesen, steht da allen Ernstes. Aber auch inhaltlich ergänze sie Handke perfekt (das wird dann ausgeführt und man erfährt tatsächlich noch einiges zu ihrer Person).

Ich habe mich beim Lesen gefragt, ob es wirklich so war, dass „neben Handke“ noch eine Frau ausgewählt wurde, weil zwei Männer heute zeitgeistmäßig nicht mehr durchgehen. Ich glaube, die Dynamik ist inzwischen längst eine ganz andere: „Neben Tokarczuk“, so behaupte ich, musste noch ein weißer Mann ausgewählt werden, damit sich die Akademie nicht dem Vorwurf aussetzt, vor der „Politischen Korrektheit“ kapituliert zu haben.

Die Behauptung, Frauen (und andere „Andere“) müssten heutzutage immer irgendwie vorkommen, verschleiert nämlich die Tatsache, dass die Werke von Frauen oder von anderen Anderen häufig einfach interessanter sind als das, was die weißen Männer so schreiben. Nicht weil sie qua Geschlecht oder Hautfarbe oder kulturellem Hintergrund besser oder wertvoller wären, sondern weil sie als „Andere“ einfach Perspektiven und Erfahrungen haben, die den weißen Männern fehlen. Nämlich die Erfahrung eines Andersseins, das nicht aus der eigenen Individualität herrührt (weiße Männer sind groß darin, sich persönlich „anders“ zu fühlen als die ganze Welt), sondern aus einer Zuschreibung von außen, der man ausgeliefert ist. Eine solche Erfahrung des Andersseins, die daher rührt, gegen den eigenen Willen in eine demografische Schublade gesteckt zu werden („die Frauen“, „die Muslime“). Die Erfahrung des Andersseins, die eine Folge des „Othering“ als gesellschaftlichem Prozess ist.

In einer Kultur, in der die Hegemonie einer demografischen Gruppe nicht mehr plausibel ist, weil Pluralität angesagt ist, weil sich niemand mehr sicher sein kann, in der Mehrheit zu bleiben, sind Erzählungen und Reflektionen aus Sicht derer, die „zu anderen gemacht wurden“ einfach interessant und wertvoll, weil sie die Herausforderungen unserer Zeit behandeln. Aber genau dazu können die weißen Männer nicht viel beitragen, weil sie eben die Erfahrung, zu anderen gemacht zu werden, kaum kennen. Wenn viele ihrer Werke heute antiquiert und langweilig und oft auch ein bisschen peinlich wirken, dann ist es also nicht nur ihre jeweils persönliche Schuld, sondern auch ein Phänomen unserer Epoche, nämlich jener, in der das Patriarchat zu Ende geht. Damit Personen, die (wenn überhaupt) immer nur aufgrund ihrer individuellen Person angegriffen und ausgegrenzt wurden, aber niemals allein deshalb, weil sie zu einer Gruppe von „Anderen“ gemacht wurden, etwas für die heutige Zeit Relevantes schreiben können, müssten sie genau diese Tatsache reflektieren. Aber dazu sind viele weiße Männer irgendwie nicht bereit oder nicht in der Lage.

Der Verweis auf die „politische Korrektheit“ von Entscheidungen wie die der Schwedischen Akademie, so meine These, fungiert deshalb heute quasi als Quote, die weißen Männern (also den ehemals „Normalen“) weiterhin die Chance einräumt, Preise zu gewinnen, obwohl das, was sie zu sagen haben, durch die ihnen inhärente privilegierte Verzerrung, wenn man so will, häufig nicht auf die Herausforderungen unserer Zeit antwortet und dadurch eben ein bisschen uninteressant geworden ist.

Die Warnung vor einer angeblichen „Politische Korrektheit“ garantiert, dass weiße Männer weiterhin Preise gewinnen. Sie ist heutzutage quasi das Quotenargument, das sicher stellen soll, dass Frauen und andere „Andere“ immer nur „neben“ ihnen stehen bleiben dürfen aber Bitteschön niemals das Ruder übernehmen dürfen.

Allerdings wäre genau das eigentlich bitter nötig.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

Ein Gedanke zu “Tokarczuk oder Handke? Wie Political Correctness als Männerquote fungiert

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