Bahnfahren

Ich sitze grade hier und plane meine Zugreise nach Eschwege. Zugreisen sind ja eine sehr komplexe Angelegenheit heute. Man kann ja nicht einfach die Bahnapp öffnen und eine vorgeschlagene Verbindung nehmen. Man muss gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit kalkulieren, mit der man einen Anschluss verpasst, und die dann gegenrechnen gegen die Umständlichkeit möglicher Alternativen und dann noch die Dauer von Regionalzug-Verbindungen einkalkulieren, auf denen es wahrscheinlich keine Toiletten geben wird, und so weiter.

Auf die Alternativen, die die Bahn-App vorschlägt, darf man sich auf keinen Fall ungeprüft einlassen, denn dann landet man womöglich mit einer Umstiegszeit von 5 Minuten auf Pusemuckel, wo man dann, wenn der Anschluss nicht klappt, vier Stunden festsitzen würde.

Ausgestattet mit den besten Varianten muss man dann ein bs zwei Stunden vorher nochmal die aktuelle Verspätungs- und Ausfall-Lage checken und sich auf eine Möglichkeit festlegen. Und eine Fahrkarte sollte man sich sowieso erst kaufen, wenn man im Zug ist und der fährt los. Zumindest als Deutschlandticket-Inhaberin, denn es wäre ja doof, das ICE-Ticket zu bezahlen und dann doch auf einen Regionalzug umsteigen zu müssen, weil der ICE leider im letzten Augenblick doch nicht kommt.

Achja, und was man natürlich auch noch einkalkulieren muss, sind überfüllte Züge aufgrund von ausgefallenen anderen Zügen oder halbierter Zuglänge.

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn man auch noch auf Einstiegshilfen oder funktionierende Rolli-gerechte WCs angewiesen wäre. Beziehungsweise ist es leicht, sich das vorzustellen: Man kann dann praktisch nicht Bahnfahren, jedenfalls nicht, wenn man irgendwo verlässlich ankommen muss.

PS: Ich frage mich, ob die desolate Situation der Bahn überhaupt nur deshalb eintreten konnte, weil wir inzwischen mobile Navigator haben? Ohne dies wäre es schlichtweg unmöglich, heutzutage mit der Bahn irgendwo hin zu kommen.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

7 Gedanken zu “Bahnfahren

  1. Wir schleppen bei der Bahn 30 Jahre verpasste und verbaselte Anpassungen mit, sowohl technisch als auch organisatorisch, logistisch und politisch. Das merkt man fast monatlich immer mehr.

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  2. Ich bewundere Jede*n, die das schaffen. Ich hätte dafür nicht die Nerven und bin darum seit Jahren nicht mit der Bahn gefahren. Klingt, als wäre jede Reise ein Überlebenstraining. Und natürlich ist das politisch, Menschen angemessene Mobilität zu verweigern. Das Bahnfahren ist ja nicht nur voller Hürden, es ist ja auch noch immer zu teuer.

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  3. Also einmal aus Deutschland rausfahren und dann in einem anderen Land weiter mit der Bahn reisen, das macht wirklich Spaß! in kleiner Stadt zu kommen mit dreimal umsteigen im selben Bundesland ist indes eine Qual.

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  4. Irgendwie nervt es mich mittlerweile, wie die Bahn schlecht geredet wird. Ich sehe die Probleme, möchte aber mal die umgekehrte Rechnung aufmachen: Bei einer Verbindung ohne Umstieg, wie Berlin – Frankfurt oder Berlin – München, kann ich in der Regel auf die Viertelstunde genau voraussehen, wann ich ankomme. Das schafft kein anderes Verkehrsmittel. Was die Umstiege angeht, lässt sich in der App genau angeben, wie viel Umsteigezeit man zugrundelegen möchte. So kompliziert, wie hier getan wird, ist es also weißgott nicht.
    Das soll nicht heißen, dass es mich nicht auch nervt, wie sehr die Bahn kaputtgespart wurde.

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  5. Ich fühle mich an Zeiten erinnert, in denen ich voll Bewunderung auf Leute schaute, die das Kursbuch der Bahn 1. besaßen, 2. lesen konnten, und die ihre Reisen damit planten (gerade gecheckt: gab es noch bis 2008 in gedruckter Form). Diese Form komplexen Spezialwissens wurde lediglich durch eine andere Form abgelöst.

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  6. Das Reisen mit der Bahn ist doch noch immer meine bevorzugte Fortbewegungsmöglichkeit für alles, wo ich nicht zu Fuß oder auf dem Fahrrad hinkomme. So nervig es mit der Bahn auch immer wieder ist.

    Aber die anderen Möglichkeiten (PKW, Reisebus, Flugzeug) sind für mich nur anders nervig. Und die meisten natürlich auch ökologisch schlechter.

    Das ist jedoch keine Entschuldigung für die Bahn: DB, ihr könntet noch viel besser und attraktiver sein. Bessert Euch!

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  7. Ich bin wohl ca. 20 Jahre nicht mehr Bahn gefahren. Also längere Strecken. Ich habe kein Handy. Ich gehe also zum Bahnhof und stelle fest, daß es keinen Fahrkartenschalter mehr gibt.
    Würde sicher lustig. –
    Früher konnte ich eine Fahrkarte nach xy lösen. Wann und mit welchem Zug ich fahre war meine spontahe Entscheidung. Gerne Bummelzüge, die an jeder Milchkanne halten, man will doch was von der Fahrt haben!

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