Kürzlich hatte ich ein Interview mit einer TV-Redakteurin, die längerfristig für eine Reportage über Leihmutterschaft recherchiert. Die Vorbereitung auf ihre Fragen setze ich mal hier rein, für den Fall, dass jemand wissen will, was ich über Leihmutterschaft denke.
Frau Schrupp, Sie setzen sich seit langem mit dem Thema Leihmutterschaft auseinander. Wie kam es dazu, und wie hat sich Ihre Haltung im Lauf der Zeit entwickelt?
Ich habe mich als Politikwissenschaftlerin für mein Buch „Schwangerwerdenkönnen“ mit der reproduktiven Differenz beschäftigt, also damit, welche politischen Herausforderungen in dem Umstand liegen, dass nicht alle Menschen schwanger werden und Kinder zur Welt bringen können. Früher war das in Form der heterosexuellen patriarchalen Ehe geregelt: Männer, also Menschen, die nicht schwanger werden können, hatten Macht und Kontrolle über ihre Ehefrauen und deren Kinder. Das waren sozusagen klare Verhältnisse, aber die wollen wir heute nicht mehr, Frauen sind gleichberechtigt, Ehen können geschieden werden, auch homosexuelle Paare können heiraten, und so weiter. Wir müssen also die Frage neu stellen, was Elternschaft bedeutet und wie sie zustande kommt, und wie eben auch Menschen, die nicht selbst gebären können, Eltern werden können. Das betrifft nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die das aus irgendwelchen Gründen nicht schwanger werden können können. Damit kam ich dann eben auch zum Thema Leihmutterschaft.
Sie sehen insbesondere eine altruistische Leihmutterschaft als gerechtfertigt an. Wie denken Sie über Modelle, bei denen finanzielle Interessen im Vordergrund stehen?
Ich finde den Begriff der altruistischen Leihmutterschaft problematisch, denn es ist ja nicht so, dass in diesen Fällen mit dem Kinderwunsch kein Geld verdient wird. Die Ärzte, die Agenturen, die Reproduktionskliniken verdienen sehr gut dabei, nur die Schwangere, die Leihmutter, bekommt kein Geld. Das finde ich nicht besonders plausibel. Ich bin allerdings der Meinung, dass wir die Möglichkeit der Leihmutterschaft erstmal unabhängig von ihrer Profitabilität diskutieren sollten. Ökonomische Aspekte dürfen bei der ethischen Bewertung nicht im Vordergrund stehen, sondern die Frage, ob unter welchen Umständen eine Frau, die ein Kind gebiert und nicht selbst die Mutter sein will, dies in die elterliche Verantwortung anderer Erwachsener übergibt, und unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen.
Leihmutterschaft wird oft als Alternative zur Adoption betrachtet. Wie würden Sie Leihmutterschaft im Vergleich zur Adoption bewerten – gerade aus ethischer Perspektive?
Adoption und Leihmutterschaft sind letztlich zwei Varianten derselben Sache: Ein Kind wird nach der Geburt in die Obhut anderer Erwachsener gegeben, die es nicht geboren haben. Nur dass bei der Adoption die Schwangerschaft zuerst da ist, und bei der Leihmutterschaft der Kinderwunsch. Ich würde in der Tat eine politische Regelung befürworten, die das beides zusammenführt. Zum Beispiel finde ich es nicht richtig, dass die Frau, die das Kind zur Welt bringt, keinerlei Möglichkeit hat, bei der Bestimmung der künftigen Eltern mitzureden. Derzeit muss sie die Entscheidung völlig an die Behörden abgeben. Hingegen gefällt mir bei der derzeitigen Regelung von Adoption gut, dass die endgültige Entscheidung über die Elternschaft erst nach der Geburt gefällt werden muss. Die Gebärende kann es sich bis acht Wochen nach der Geburt noch überlegen, ob sie nicht selbst doch die Mutter sein möchte. Erst danach wird die Adoption rechtskräftig. Ich fände eine ähnliche Frist auch für Leihmutterschaften gut. Es kann nicht sein, dass Dritte schon vor der Geburt eines Kindes ein Recht darauf haben, auch gegen den Willen der Schwangeren. Zu einem ähnlichen Schluss ist übrigens auch die Kommission aus Fachleuten gekommen, die sich im Auftrag der vorigen Bundesregierung mit dem Thema beschäftigt hat.
In einigen Ländern ist Leihmutterschaft bereits erlaubt – unter bestimmten Bedingungen. Könnten Sie ein oder zwei Länder nennen, in denen Leihmutterschaft erlaubt ist? Welche Regeln gelten dort?
Zwei wichtige Länder sind die Ukraine und einige Bundesstaaten in den USA. Die Regelungen in der Ukraine sind sehr auf Profit und also auf die Wünsche der Auftraggeber*innen ausgerichtet. Daran finde ich einiges problematisch, vor allem, weil die schwangeren Frauen kaum Rechte haben, die Föten in ihrem Bauch sind quasi schon Eigentum von anderen. Manche Kliniken bieten auch an, das Geschlecht des Kindes auszuwählen und bekommt eine Gesundheitsgarantie. Das geht meiner Meinung nach gar nicht. Es ist eine regelrechte Industrie, und sie ist durch recht niedrige Preise attraktiv – so 50.000 Euro berechnen die Kliniken. Es bedeutet allerdings auch Einkommensmöglichkeiten für die Frauen, die anders nicht zu Geld kommen würden, was natürlich auf einen größeren Kontext von wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten verweist. Aber da gibt es noch viel Luft nach oben, das besser zu regeln. In den USA ist es dreimal so teuer, dafür läuft der Kontakt mit den Leihmüttern oft besser, allerdings sind sie auch dort vertraglich sehr gegängelt. Eine wirklich gute Regelung, die die Menschenwürde der Schwangeren so schützt, wie ich mir das wünschen würde, gibt es derzeit nirgends.
Könnten Sie sich ein solches Modell auch hierzulande vorstellen – und wie müsste es Ihrer Meinung nach gestaltet sein?
Ich würde mich da dem Bericht der von der vorigen Bundesregierung eingesetzten Kommission anschließen: Leihmutterschaft findet nur in zugelassenen Zentren statt, die Selbstbestimmung der Schwangeren über ihren Körper ist in allen Stadien der Schwangerschaft selbstverständlich, also keine vorgeschriebenen medizinischen Tests oder dergleichen, Recht des Kindes auf Kenntnis der Umstände seiner Geburt, die Möglichkeit der Schwangeren, sich nach der Geburt für eine eigene Elternschaft zu entscheiden, ihr Recht, auch später Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes zu erhalten, und eine angemessene Aufwandsentschädigung für sie, die über die tatsächlichen finanziellen Aufwendungen hinausgeht.
Wie lassen sich solche Gesetze tatsächlich kontrollieren? Können sie in der Praxis wirksam sein?
Wenn das Verfahren in zugelassenen Zentren stattfindet, könnte das ja leicht kontrolliert werden. In Konfliktfällen würden eben Gerichte entscheiden.
Ein häufiger Kritikpunkt ist die potenzielle Ausbeutung der austragenden Frauen.
Wenn das Austragen eines Kindes zur Einnahmequelle wird – bewegen wir uns dann nicht schnell in den Bereich der Ausbeutung?
Wenn wirtschaftliche Verhältnisse prekär sind, ist immer mit der Möglichkeit von Ausbeutung zu rechnen. Dagegen hilft aber nur, für mehr ökonomische Gerechtigkeit einzutreten und dafür zu sorgen, das Frauen anderweitig materiell abgesichert sind, sodass sie diese Art von Einnahmen nicht nötig haben. Ansonsten ist eben wichtig, dass ihre Rechte festgeschrieben sind und sie sich ggfs. gerichtlich wehren können.
Wie könnte man sicherstellen, dass Leihmütter – gerade auch in Ländern, in denen es erlaubt ist – nicht wirtschaftlich oder emotional ausgebeutet werden?
Das kann man nicht sicherstellen, weil wir ja keinen Einfluss darauf haben, was in anderen Ländern geschieht. Aus meiner Sicht ist das aber ein Argument für eine Legalisierung in Deutschland, denn dann haben Menschen, die ethisch unbedenklich eine Leihmutter beauftragen möchten, dafür eine Möglichkeit.
Es gibt Verträge, in denen Wunscheltern Kinder ohne jegliche Beeinträchtigung zugesichert werden. Ist das ethisch überhaupt vertretbar? Und was passiert mit Kindern, die diesen Erwartungen nicht entsprechen?
Das ist aus meiner Sicht ethisch ganz und gar nicht vertretbar, ich halte solche Abmachungen für Verstöße gegen die Menschenwürde und zwar sowohl der Schwangeren als auch des Babies. Inwiefern es die Möglichkeit gibt, das zu verbieten und so ein Verbot international durchzusetzen, kann ich nicht beurteilen.
Wie kann sichergestellt werden, dass bei einer Leihmutterschaft wirklich das Wohl und die Rechte des Kindes im Mittelpunkt stehen?
Es ist bei diesen Diskussionen schnell so, dass das Kindeswohl instrumentalisiert wird, um die eigene Position zu untergraben. Von daher bin ich vorsichtig. Aber es scheint mir klar zu sein, dass es dem Kindeswohl dient, wenn es Eltern hat, die es sich gewünscht haben. Wichtig ist auch die Transparenz, also dass das Kind über seine Herkunft nicht belogen wird. Ansonsten hängt das Kindeswohl nicht davon ab, wie eine Elternschaft zustande gekommen ist, sondern daran, wie die Familie ihren Alltag lebt, also ob das Kind gefördert wird, materiell und emotional sicher lebt, ob es sich entfalten kann und so weiter
Inwiefern glauben Sie, dass Leihmutterschaft soziale Ungleichheiten abbauen kann – oder besteht nicht eher die Gefahr, dass sie bestehende Ungleichheiten noch verstärkt?
Ich denke, es ist nicht die Aufgabe von Leihmutterschaft, soziale Ungleichheiten abzubauen. Wenn wir das wollen, müssen wir unsere Wirtschaftspolitik anschauen.
Wer sollte Ihrer Meinung nach darüber entscheiden, ob eine Leihmutterschaft ethisch vertretbar ist? Der Staat, Ethikräte, medizinisches Fachpersonal – oder allein die beteiligten Personen?
Ich halte das für eine gesellschaftliche Frage, die wir politisch diskutieren müssen. Wir brauchen die Expertise von Fachleuten, wie müssen die Meinung von Betroffenen hören, wir müssen als Gesellschaft darüber diskutieren und dann müssen die politischen Gremien entsprechend entscheiden. Wie gesagt, das ist ja auch schon geschehen. Es gibt den sehr fachkundigen Bericht einer Expertenkommission, der sollte nun herangezogen und zur Grundlage des weiteren Vorgehens gemacht werden.
Mich interessiert auch Ihre persönliche Perspektive: Gab es für Sie Momente, in denen Sie selbst Zweifel oder ethische Bedenken im Zusammenhang mit Leihmutterschaft hatten?
Nein, da ich nie persönlich vor der Frage stand und auch niemand in meinem engeren Bekanntenkreis, habe ich mich dem Thema sozusagen nur aus professionellem, politischem Interesse gewidmet.
Glauben Sie, dass Leihmutterschaft in Deutschland eines Tages erlaubt sein wird – und wenn ja, unter welchen Bedingungen sollte das geschehen?
Das kann ich nicht vorhersagen. Momentan bewegt sich die politische Landschaft sehr stark nach rechts, aber da ist die Haltung nicht eindeutig. Einerseits werden traditionelle Familienvorstellungen von Vater-Mutter-Kind mit eindeutig biologischen Zuschreibungen wieder stark gemacht, da passt Leihmutterschaft nicht so ganz hinein. Andererseits sind es vor allem wohlhabende, bürgerliche, weiße Menschen, die Leihmutterschaft nachfragen und sich leisten können. Ich weiß nicht, welche Position sich da durchsetzen wird. Das was aus meiner Sicht am Schlechtesten wäre, wenn Leihmutterschaft offiziell illegal wäre, aber sich ein Schwarzmarkt etabliert, der den Reichen den Zugang dennoch ermöglicht. Dann hätten die Leihmütter nämlich gar keine Rechte und es gäbe auch keinerlei ethische Kontrollen oder Skrupel.

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