Diskurse am Rande: Über Relevanz und Weltveränderung

Gestern war ich bei der Frankfurter Buchmesse und hörte einen Talk mit Jakob Augstein über die Frage, ob und wie Blogs den Journalismus verändern.

Kurz zusammengefasst seine These: Gar nicht sehr, denn die klassischen Medien bestimmen weiterhin den Diskurs, und das kann angesichts ihrer Professionalität, ihrer finanziellen Ressourcen und ihrer Reichweite auch gar nicht anders sein. Unterm Strich seien Blogs und Internetdiskussionen eigentlich nur Resonanzverstärker für die Themen, die von den großen Zeitungen gesetzt werden, letzten Endes nützen sie diesen höchstens zur Verbesserung ihrer Qualität und dienen damit dem weiteren Ausbau ihres Machtvorsprungs.

Verbloggen möchte ich aber nicht so sehr dieses Thema, sondern vielmehr das starke Gefühl von Fremdheit, das ich bei dieser Veranstaltung empfand. Der spontane Impuls entsprang dabei sicherlich dem Umstand, dass Augstein von Habitus und Körpersprache her ziemlich exakt jenen Typus von Männlichkeit verkörpert, den ich vor einigen Jahren schon am Beispiel von Frank Schirrmacher analysiert habe. Dieser Gestus einer inszenierten „Virilität“ ist etwas, das mir immer seltsamer erscheint, je länger ich weiß, dass er mit mir – einer Frau – aber auch gar nichts zu tun hat.

Dieses starke Erleben von „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ formuliere ich dabei ausdrücklich nicht stellvertretend für andere Frauen, und ich will betonen, dass ich es in der Begegnung mit vielen Männern auch überhaupt nicht habe. Aber ich bin sicher, dass die Tatsache, dass ich eine Frau bin, und Augstein ein Mann, dabei nicht unerheblich ist.

Es bekam gestern jedoch über den Habitus hinaus noch eine inhaltliche Erweiterung. Während ich zuhörte, ging mir permanent durch den Kopf: „Ich verstehe, was er sagt, und ich glaube sogar, dass er recht hat, aber es hat für mich persönlich keinerlei Bedeutung.“

Relevanz zum Beispiel bemaß Augstein ausschließlich nach Kriterien der Macht, bis dahin, dass er „dezentralen“ Debatten, wie sie zum Beispiel in Blogs geführt werden, die Qualität, ein öffentlicher Diskurs zu sein, gänzlich absprach. Öffentliche Diskurse, so formulierte er es, könnten nur „zentral“ stattfinden, dies sei seit der antiken „Agora“ so: Worüber nicht wirklich alle sprechen, das verbleibe sozusagen im Privaten, selbst wenn es, wie im Internet, öffentlich zugänglich ist. Woraus dann natürlich zutreffenderweise folgt, dass wirklich öffentliche Debatten allein und ausschließlich von solchen Medien geführt werden, die aufgrund ihrer Machtposition Themen so pushen können, dass letztendlich alle darüber reden.

Eine Rolle spielt bei meiner Distanz zu dieser Art Denken sicherlich die Auseinandersetzung mit dem Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, denn derzeit höre ich den Begriff „Macht“ immer auf diesem Hintergrund. Das heißt nicht, dass Augsteins Analyse nicht zutreffend wäre, das ist sie in der Tat, wenn man – wie er – in der griechischen Polis den Ursprung dessen sieht, was „Politik“ ist. Aber ich, eine Frau, kann diesen Ursprung nicht akzeptieren, denn er ist ja gleichbedeutend mit dem Ausschluss von meinesgleichen aus eben dieser Politik.

Ich weiß hingegen – unter anderem Dank dem Feminismus – dass Relevanz für die Allgemeinheit und Relevanz für mich selbst nicht einfach zwei verschiedene Dinge sind, die sich analog zur Unterscheidung von „Privat“ und „Öffentlich“ verhalten (der Tod meiner Großmutter ist für mich „privat“ relevant, aber nicht für die Allgemeinheit). Vielmehr weiß ich – weil ich es in vielerlei Hinsicht erlebt habe – dass die Bedeutung, die ich persönlich den Dingen beimesse, einen realen Einfluss in der Welt hat, auch wenn dieser nicht spektakulär in Erscheinung tritt.

„Wenn ich mein Verhältnis zur Welt verändere, verändert sich die Welt“, hat Chiara Zamboni das einmal formuliert. Die Veränderung, die zum Beispiel durch eine neue Idee, eine neue Erkenntnis, eine neue Bedeutung, die im Gespräch zwischen wenigen gefunden wird, entsteht, ist ganz radikal und ganz unscheinbar zugleich. Das Neue kommt nicht mit Pauken und Trompeten in die Welt, es wird meist von den Vielen, vom Mainstream, eine ganze Weile lang übersehen. Aber dennoch ist es da und nicht mehr aus der Welt zu schaffen: Dadurch, dass jetzt denkbar ist, was vorher noch undenkbar war, ist alles grundlegend anders geworden.

Vielleicht versuche ich es an einem Beispiel zu verdeutlichen: In dem Moment, wo ich einen Begriff von weiblicher Freiheit gefunden hatte (ermöglicht durch das Denken und das Engagement anderer Frauen, von denen ich lernte), war die Welt nicht mehr dieselbe. Die Welt war zwar noch immer geprägt von patriarchalen Strukturen, aber sie hatten mich nicht mehr in gleicher Weise im Griff: Ich hatte einen anderen Maßstab gefunden, an dem ich mich orientieren konnte, und das hatte ganz unmittelbare und reale Konsequenzen auf mein Leben, auf das, was ich tat, auf die Beziehungen, die ich einging, und auf diejenigen, die ich löste. Damit war es nicht mehr nur von privater Bedeutung, sondern auch von Bedeutung für die Welt.

Revolutionen vollziehen sich nicht so, wie die Männer es sich in ihren bisherigen politischen Theorien ausgemalt haben: Dass mit einem großen, heroischen Bruch die alten Könige vom Thron gestoßen werden und andere die Macht übernehmen – dass zum Beispiel, um beim Thema des gestrigen Talks zu bleiben, die Blogger den traditionellen Zeitungen auf spektakuläre Weise die Diskursmacht entreißen. Diana Sartori hat diesen Irrtum (dem übrigens auch Frauen aufsitzen können) in einem Video sehr schön beschrieben.

Man kann natürlich in den Randdiskursen (die übrigens nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal vorwiegend im Internet stattfinden, aber doch dadurch eine andere Dynamik und potenzielle Reichweite bekommen) lediglich einen Resonanzboden für den auf Macht basierenden Diskurs sehen. Man kann es aber auch andersherum wenden: Auch wenn das Neue, das an den Rändern und im „Pseudoprivaten“ entsteht, zunächst unspektakulär wirkt, so entfaltet es doch Wirkung und prägt die Realität. Und irgendwann können sich dann auch die Mainstreamdiskurse diesem Neuen nicht länger verschließen – in Wirklichkeit sind sie der Resonanzboden, der dann in großen Lettern hinausruft, was in Wirklichkeit schon längst bekannt ist.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

22 Gedanken zu “Diskurse am Rande: Über Relevanz und Weltveränderung

  1. Ganz besonders dem letzten Absatz stimme ich in vollem Umfang zu. 🙂
    Und selbst wenn es so wäre, wie Augstein sich das anscheinend vorstellt: In keiner noch so rigiden Hierarchie gibt es ‚unbewegte Beweger‘. Die ‚ganz oben‘ sind und bleiben von denen ‚ganz unten‘ ebenso abhängig darin, was sie wahrnehmen, fühlen, denken und entscheiden wie umgekehrt.

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  2. Ich freue mich in diesem Fall einfach über einen für mich neuen Gedanken wie: Das ist wahr, aber total egal. Das ging mir in letzter Zeit bei vielem so, wie bei der Diskussion über Assange (da will ich aber hier nicht anfangen). Aber da war für mich auch klar: Ein Teil der Debatte spiegelt bestimmt die Wahrheit wieder, aber er ist mir viel mehr egal als der andere.

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  3. Zustimmung, sehe ich genauso. Weltveränderung geschieht durchs Erkennen und ist radikal und unscheinbar (obwohl sie in meinem Kopf/Herz sofort bereits heftige „Wirkung“ zeigen kann). Nur am Ende möchte ich hinzusetzen; das Neue kann auch wieder versickern und seine Wirkung wieder verlieren, bei mir und für die „Welt“. Nicht immer schaffen es „Neuigkeiten“ bis zum Mainstream. Manchmal schlecht, manchmal auch gut 😉

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  4. @Matthias Jung – Ja, das ist mir inzwischen auch noch aufgefallen, dass hier noch etwas fehlt, nämlich was die Qualität von „Neuem“ eigentlich ausmacht. Ich vermute, dass die Frage, ob es Wirkung entfaltet oder wieder „versickert“ nicht ganz zufällig ist, sondern damit zusammenhängt, ob das Neue nur so eine Idee ist oder ob es eine wirkliche „Antwort“ auf reale Fragen bietet. Die Italienerinnen unterscheiden zwischen „Realität“ (die Strukturen und symbolischen Ordnungen, die wir vorfinden) und dem „Realen“ (sozusagen das, was wirklich „wahr“ ist in der Welt). Die These wäre sozusagen, dass das Neue dann die Kraft hat, die Realität zu verändern, wenn es mit dem „Realen“ korrespondiert. Und wenn nicht, versickert es wieder, auch wenn es vielleicht gut gemeint war.

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  5. Ich möchte mal auf den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen ‚Revolution‘ und ‚Evolution‘ hinweisen. Nenn mich männlich, aber das Charakteristische an Revolutionen ist eben, dass sie Altes überwerfen und durch Neues ersetzen. Der langsame, schleichende Vorgang ist Evolution.

    Wenn Du allerdings die subjektive Weltsicht nimmst, dann ist jede Erkenntnis oder jeder Perspektivwechsel eine Revolution — eine private, subjektive Revolution vielleicht, aber eine Revolution. Und die daraus resultierenden Änderungen des Ichs haben durchaus das Potential, das Subjekt zum Revolutionär und damit zum Ärgernis des Establishments zu machen.

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  6. Was an Augstein, wie du ihn schilderst (ich hab ihn nie gesehen, aber sein Gartenbuch angelesen und weggelegt) irritiert: ihn interessiert offenbar nur die Macht. WER die Agenda setzt etc.

    Diese Sicht der Dinge ist so unglaublich öd, so hohl und ziellos… MACHT sollte doch nie Selbstzweck sein, sondern allenfalls Mittel, um konkrete Ziele zu verwirklichen – im besten Fall, um Ideale vom guten Leben für alle in lebendige Praxis umzusetzen.

    Ob die richtige Antwort auf ein drängendes Problem dann von einem Kind, einer etablierten Politikerin, einem Blogger oder vom derzeitigen Wetten-das-Moderator kommt, sollte stinke-egal sein! Vor allem der PRESSE, die doch eigentlich einen KODEX hat, in dem allerlei Sinnvolles drin steht…. ihre 4.Gewalt ist nicht einfach so da, sondern verliehen zu bestimmten Bedingungen und Zwecken.

    Wenn die Presse nurmehr die eigene Macht als obersten Wert ansieht, hat sie ihre Legitimation verfehlt!

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  7. patriarchat, zentralismus, machtkrankheit, das sind so vokabeln, die den feind des menschen umreißen. augstein redet so, wie er denken muss aufgrund seines seins, das ja bekanntlich eher das bewusstsein macht als umgekehrt.
    etwas ähnliches ist die sache mit dem mehrheitsprinzip. nach der majestät nimmt die majorität das zepter. und nun die nähe zu deinem gedanken: wenn einer wie einstein einen richtigen gedanken fasst, so kann der durch widrige umstände zwar zeitweilig oder für immer untergehn, seine richtig- und wichtigkeit verliert er dadurch nicht. wenn dagegen eine große menge leute einem wahn zum opfer fallen, wird das immer wahn bleiben, egal wie groß die mitziehende meute ist.

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  8. @AntjeSchrupp:

    Wo finde ich eigentlich die Theorie(n), dass sich Revolutionen mit einem plötzlichen Bruch, aus dem Nichts heraus, vollziehen, wieder?

    Das kommt mir so naiv und seltsam vor, das ich kaum glauben kann, dass es Leute ( Männer ) gibt, die so etwas formuliert haben.

    Persönlich kenne ich nur solche Theorien von Revolutionen, die ganz im Gegenteil Vorbedingungen bis in ferne Vergangenheiten untersuchen – vor kurzem erst las ich einen Text, der z.B. eine Entwicklungslinie vom Gang nach Canossa zur europäischen Aufklärung und deren Revolutionen zieht.

    Und noch eine andere Frage – Du schreibst, Augstein hätte Recht, aber sein Recht-haben sei für Dich ohne Belang, konstruierst aber dann doch relativ lang eine Begründung dafür, dass er eben nicht Recht hat.

    Also entweder ist Bloggen der Beginn von etwas Neuem, welches auf Grund seiner inneren Überzeugungskraft auf Dauer ältere Präsentationsformen von Information ablösen oder zur Reform zwingen wird, oder aber dem ist nicht so.

    Das ist in meinen Augen eine Ja-Nein-Entscheidung – dagegen empfinde ich das, was Du formulierst, als arg ambivalent.

    Was mich dann auch wiederum zu dem Mann-Frau-Thema bringt – Augstein mag falsch liegen, aber seine „männliche Attitüde“ besteht imho genau darin, dass er in keinster Weise ambivalent ist, und genau dies ist die Vorbedingung dafür, dass er Autorität beansprucht. Ich kann mich nun hinstellen und sagen, Augstein redet Quatsch ( weil er offensichtlich falsch argumentiert, seine Entscheidungen unter Informationsmangel trifft, den man erst beheben muss/kann usw. usf. ).

    Aber was bezweckt man mit einer ambivalenten Haltung? Vorausgesetzt, ich liege mit der Einschätzung nicht falsch, natürlich …

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  9. Interessante Betrachtungsweise – aber: So ungern ich es auch zugebe – Augstein hat Recht, was seine Betrachtung betrifft. Um dies zu erkennen, reicht ein Blick in die Statistiken großer Bloganbieter oder auch in Portal-Blogs wie freitag.de. Natürlich ist es gut, wenn Menschen (Blogger) sich mit Geschehnissen auseinander setzen, natürlich verändert sich dadurch etwas – vornehmlich bei ihnen selbst, natürlich werden so verschiedene Sichtweisen publiziert. Aber: Die Reichweite ist verhältnismäßig gering und so kann – rein technisch betrachtet – kein wirklicher öffentlicher Diskurs entstehen. Das geschieht nicht einmal in Blog-Bereichen wie innerhalb des Freitag, da die Blogs mehrheitlich genutzt werden, um sich innerhalb der Diskussion selbst zu positionieren, nicht aber, um über das Thema zu streiten – typisches Community-Verhalten eben. Ein weiteres Problem ist inhaltlicher Natur und damit auch ein Problem der Finanzierung. Nur wenige Blogs können hier etwas Relevantes leisten – entweder, weil sie über Werbung/Spenden finanziert werden oder weil der Blogger selbst (so ist es in meinem Fall) aus beruflichen Gründen über das notwendige Equipment und Zugänge zur Information verfügt. Der Rest schreibt Hörensagen auf und pusht es in die sozialen Netze. Das aber hat mit Journalismus nicht das Geringste zu tun, es handelt sich einfach nur um das Publizieren der eigenen Meinung, um Stammtisch eben. Das an sich ist nichts Verkehrtes, nur sollte man das Ergebnis nicht mit dem verwechseln, was wir Journalismus nennen. Um in diesem Sinne wirklich tätig zu sein, nennenswertes Feedback/Aufmerksamkeit zu erhalten, sind einfach Investments notwendig – die von der überwiegenden Mehrheit der Blogger nicht getätigt werden (können). Sie sind und bleiben Zweit- oder Drittverwerter, für die es schon problematisch ist, Artikel umfassend zu recherchieren, geschweige angemessen zu bebildern. Die derzeitige Diskussion um Urheberrechte und Abmahnungen zeigt das deutlich. Bedenklich finde ich eher, dass fast die gesamte deutsche Journalie die Vielschichtigkeit des Betrachtens durch die Blogsphere immer noch nicht aufnimmt und für sich weiterentwickelt sondern nach wie vor und immer mehr Pressemitteilungen paraphrasiert und glaubt, dies sei nun Qualitätsjournalismus. Und nein, das ist es eben auch nicht.

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  10. Augstein sprach nun aber von den klassischen Medien, nicht nur vom Journalismus, und dies hier ist ja auch kein journalistischer Blog, sondern einer, der die „sexuelle Differenz“ im Sinne der „Liebe zur Freiheit“ untersuchen soll und den Anspruch erhebt, sozusagen feministische „Spitzenforschung“ zu repräsentieren.

    Allerdings akzeptiert ja AntjeSchrupp doch auch im Großen und Ganzen Augsteins Relevanzkriterium, nur dass sie es eben um die Beobachtung erweitert, dass das, was heute den die großen Medien thematisieren und was damit den öffentlichen Diskurs prägt, gestern eben noch ein Nischenthema war, welches vielleicht nur an irgendeinem Stammtisch besprochen wurde.

    Ist ja auch ein sehr christliches Thema … „ein paar Fischer haben der Menschheit mehr gegeben als alle Cäsaren zusammen ….usw. usf.“ ( Kiergegaard war doch gar keine Frau *erstaunt tu* ). Wobei es natürlich sicher zigtausende Beispiele hierfür gibt, als nun gerade nur dieses …

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  11. PS. Wobei man nun natürlicherweise darauf hinweisen muss, dass nun nicht jedes Fischers Idee mal mit den Taten der Cäsaren konkurrieren kann und wohl auch nicht jedes Blog-Thema mal den Mainstreamdiskurs prägen wird.

    Was wiederum zu der Frage führt, was die erfolgreichen von den weniger erfolgreiche Fischern unterscheidet ( die erfolgreichen sind jedenfalls nicht ambivalent, auch wenn sie sich alle Möglichkeiten offen halten? )

    Eine mögliche fast schon tautologische Anwort lautet, dass die erfolgreichen Fischer einen massenhaften Bedarf decken, den die Cäsaren vernachlässigt haben oder strukturell nicht abdecken können. Leider taugt diese Antwort nun nicht zur Fischers-zukünftiger-Marktwert-Prognose. There is no crystal ball.

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  12. @metropolenmond

    Du scheibst:

    Interessante Betrachtungsweise – aber: So ungern ich es auch zugebe – Augstein hat Recht, was seine Betrachtung betrifft. Um dies zu erkennen, reicht ein Blick in die Statistiken großer Bloganbieter oder auch in Portal-Blogs wie freitag.de. Natürlich ist es gut, wenn Menschen (Blogger) sich mit Geschehnissen auseinander setzen, natürlich verändert sich dadurch etwas – vornehmlich bei ihnen selbst, natürlich werden so verschiedene Sichtweisen publiziert. Aber: Die Reichweite ist verhältnismäßig gering und so kann – rein technisch betrachtet – kein wirklicher öffentlicher Diskurs entstehen. Das geschieht nicht einmal in Blog-Bereichen wie innerhalb des Freitag, da die Blogs mehrheitlich genutzt werden, um sich innerhalb der Diskussion selbst zu positionieren, nicht aber, um über das Thema zu streiten – typisches Community-Verhalten eben. Ein weiteres Problem ist inhaltlicher Natur und damit auch ein Problem der Finanzierung. Nur wenige Blogs können hier etwas Relevantes leisten – entweder, weil sie über Werbung/Spenden finanziert werden oder weil der Blogger selbst (so ist es in meinem Fall) aus beruflichen Gründen über das notwendige Equipment und Zugänge zur Information verfügt. Der Rest schreibt Hörensagen auf und pusht es in die sozialen Netze. Das aber hat mit Journalismus nicht das Geringste zu tun, es handelt sich einfach nur um das Publizieren der eigenen Meinung, um Stammtisch eben. Das an sich ist nichts Verkehrtes, nur sollte man das Ergebnis nicht mit dem verwechseln, was wir Journalismus nennen. Um in diesem Sinne wirklich tätig zu sein, nennenswertes Feedback/Aufmerksamkeit zu erhalten, sind einfach Investments notwendig – die von der überwiegenden Mehrheit der Blogger nicht getätigt werden (können). Sie sind und bleiben Zweit- oder Drittverwerter, für die es schon problematisch ist, Artikel umfassend zu recherchieren, geschweige angemessen zu bebildern. Die derzeitige Diskussion um Urheberrechte und Abmahnungen zeigt das deutlich. Bedenklich finde ich eher, dass fast die gesamte deutsche Journalie die Vielschichtigkeit des Betrachtens durch die Blogsphere immer noch nicht aufnimmt und für sich weiterentwickelt sondern nach wie vor und immer mehr Pressemitteilungen paraphrasiert und glaubt, dies sei nun Qualitätsjournalismus. Und nein, das ist es eben auch nicht.

    Kommentar:

    M.E. ist richtig, dass die „klassischen Medien“ ein extrem viel grösseres Publikum erreichen und somit bei der Funktion der Meinungsbildung dominieren und natürlich so etwas wie Öffentlichkeit herstellen; aber: natürlich hat nicht jeder Blog hohe Zugriffszahlen, nur gibt es eben wohl auch quantitativ viel mehr Blogs als klassische Medien und das kann sich dann auch wieder zu einer beträchtlichen Quanität summieren; aber durch diese Vielfalt kann auf einem einzelnen Blog auch kein „öffentlicher“ Diskurs entstehen.

    Es ist auch richtig, dass die einzelnen Blogs vielfach zuwenig Zeit, Kapital/Ressourcen etc. haben, um eigentlich die Funktion zu übernehmen, die dem klassischen Journalismus angestammt ist. Aber: auch hier müsste man schauen: Wie viel eigene Recherche haben wir überhaupt bei den klassischen Medien. Wie viel Prozent der Information kommt aus Nachrichtenagenturen, wo also einfach das übernommen wird, was die Narichtenagentur an x-andere Medien auch verkauft? Und wie viel eigene Recherche haben wir bei den Nachrichtenagenturen selbst?? Und zudem kann gefragt werden: Wenn klassische Medien Informationen verbreiten, wie viel beruht auf Sachinformationen und wie viel ist eigentlich auch nur Kommentierung, Bewertung, Einschätzung der Sachinformation?
    Soll heissen: Auch ein wesentlicher Teil des Journalismus ist Zweit- oder Drittverwerter und angereichert mit subjektiven Einschätzungen, Kommentaren, Bewertungen. Auch die klassischen Medien oder der Journalismus sind vielfach angewiesen eben auf Narichtenagenturen, spezialiserte Medien, wissenschaftliche Studien etc. Und sollte ein Blogger in seinem Spezialgebiet gerade viel Wissen und sonstige Ressourcen besitzen, dann kann er eben einem Journalisten auf diesem, seinem ureigensten Spezialgebiet um Längen überlegen sein und fundiertere Informationen abgeben.

    Ich würde es also so sagen: Ein Blogger, der auf seinem Blogg nicht einfach über „Gott und die Welt“ schreibt, sondern Spezialist auf einem Gebiet ist, kann m.E. sehr wohl viel fundiertere Informationen verfassen, als dies die meisten Journalisten können.
    Aber: Damit schafft ein solcher Spezialist natürlich nicht den öffentlichen Diskurs, wie ihn z.B. Jürgen Habermas in seiner Habilitation „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ dargetan hat. Aber: Indem die klassischen Medien solche Diskurse wieder aufgreifen, besteht eben die Möglichkeit, dass Blogs diese Öffentlichkeit doch beeinflussen.

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  13. Und zur Frage der Relevanz von Blogs ist die aktuelle Debatte über Neoparadise auch interessant: Es war nämlich zunächst nur ein Blog – und nicht mal ein sehr frequentierter – der das aufgegriffen hat, dann sind andere Bloggerinnen aufgesprungen, und zwei Tage später nun steht es auch in allen etablierten Zeitungen.

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  14. Meinungsmacht entsteht durch Kompression. Dafür braucht man allerdings ein Zentrum, sonst hat man nur viele zerzauste Einzelmeinungen, die mehr oder weniger in eine Richtung tendieren. Kompression erfordert Organisation und konzentrierten Output, was genau durch mächtige NGOs, Parteien und Medienkonzerne praktiziert wird. Ein bisschen bloggen reicht da nicht.Facebook reicht vom arabischen Frühling bis hin zum Cybermobbing und dazwischen tauschen sich Leute über die neusten Frisuren ihrer Hündchen aus. Politische Blogs in Russland dagegen haben reale politische Macht mobilisieren können und stellen derzeit die Opposition in Russland. Nawalny ist so ein Beispiel. Wo gehen die Leute hin, um Macht zu erzeugen? Nach Moskau auf den Roten Platz! Da ist die Polis. Bei uns wäre es das Berliner Regierungsviertel, mit oder ohne Erlaubnis. Aber Blogger, die zuhause sitzen bleiben und hoffen, dass sie irgendwann von den Leitmedien entdeckt werden, entfalten natürlich keine Macht.
    Für uns stellt sich die Frage, wer in der politischen Blogger-Szene ist „signal“ und wer „noise“? Die Piraten haben Akzente gesetzt und stellen deshalb ein politisches Signal in die Landschaft. Sie leiden aber darunter, dass sie zuviel noise (Hintergrundrauschen) produzieren und ihre Signale nicht ausreichend komprimieren und dann nach vorne bringen. Dafür müssen sie erstmal bereit sein, nach der Macht zu greifen. Der Wille zur Macht ist überhaupt der Schlüssel, um gesellschaftlich wirksam zu werden.In diesem Falle geht es darum, Türen aufzubrechen und nicht aufzuschließen. Im nächsten Jahr wird sich zeigen, ob wir die Blogger-Szene ins Parlament bekommen. Den Sinn darin kann ich wohl erkennen, aber die Kämpfer sehe ich noch nicht!

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  15. @Sönke Paulsen – „Der Wille zur Macht ist überhaupt der Schlüssel, um gesellschaftlich wirksam zu werden“: Genau das bestreite ich. Der Wille zur Macht führt im Gegenteil zur Anpassung an die bestehenden Verhältnisse. Wer nach Macht strebt, verändert grade nichts, sondern läuft vielmehr Gefahr (oder ist ständig in Versuchung) das Inhaltliche dem Erringen der Macht unterzuordnen.

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  16. Macht ist doch kein Selbstzweck! Macht ist dazu da, etwas (inhaltliches) durchzusetzen. Mich ärgert das. Wir haben eine linke Mehrheit in der Republik und werden von einem konservativ-neoliberalen Drittel dominiert, dem längst die Argumente ausgegangen sind, aber nicht die Macht. Was bitte soll man dagegen setzen? Blogger, die sich nicht an dem Virus der Macht infizieren wollen?

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  17. Lieber @Sönke,

    Ihr Text:

    Wir haben eine linke Mehrheit in der Republik und werden von einem konservativ-neoliberalen Drittel dominiert, dem längst die Argumente ausgegangen sind, aber nicht die Macht.

    Wo bitte verorten Sie denn eine linke Mehrheit?? Woran macht man so etwas denn fest? An den Kommentaren von einigen wenigen in den Medien im Internet? An den Blogs im Internet?

    Ich fürchte das dies eine Behauptung ist, durch die Medien suggeriert, die aber so nicht stimmt! Wenn es an den eigenen Wohlstand geht, sind die meißten nicht mehr links, geschweige denn sozial. Da das Geld Götze ist und eine sehr gute Ideologie, um Massen zu manipulieren bzw. zu unterdrücken.

    Ich stimme Antje Schrupp vollkommen zu!

    Macht kann natürlich durchaus positiv sein und deswegen auch für „Gute“ Änderungen zum Wohle der Allgemeinheit gewollt. Da der Mensch aber nunmal käuflich ist, verkehrt sich Macht ganz schnell ins Gegenteil und schadet mehr der Masse als sie ihr nützt. Dafür gibts in der Psychologie genug Beweise! In der Zeitschrift GEO gab es vor langer Zeit mal einen sehr guten Artikel über die Macht. Kein Politiker, der wirklich links ist, wird jemals zur Macht gelangen. Da Machtmenschen immer einen ziemlichen Egoismus an den Tag legen müssen. Siehe Jakob Augstein, der dies sogar (den Egoismus) auf dem dFreitag zugegeben hat! Übrigens wurde mir gegenüber sehr gut Macht seitens dFreitags demonstriert. Da ich dort bereits 3 mal gesperrt wurde :-)….Aufklärer sind auf dem Freitag auch nicht unbedingt erwünscht. Frauen sowieso (meine Meinung). Jedenfalls Frauen, die auch eine eigene feste Meinung vertreten und Klartext reden. Es haben sich sehr viele gute (auch linke) Blogger von der Community distanziert! Warum kann sich jeder denken, der die Community aufmerksam verfolgte.

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  18. Zitat von Antje:

    @Sönke Paulsen – “Der Wille zur Macht ist überhaupt der Schlüssel, um gesellschaftlich wirksam zu werden”: Genau das bestreite ich. Der Wille zur Macht führt im Gegenteil zur Anpassung an die bestehenden Verhältnisse. Wer nach Macht strebt, verändert grade nichts, sondern läuft vielmehr Gefahr (oder ist ständig in Versuchung) das Inhaltliche dem Erringen der Macht unterzuordnen.

    Dem stimme ich vollkommen zu!! Frauen sind eben doch intelligenter ;-)…auch empirisch bewiesen durch Tests, was das Soziale jedenfalls.betrifft 🙂 Frauen können sehr gut ohne Mann überleben…Männer dagegen ohne Frauen nur schwer 🙂

    http://www.psychologie-heute.de/archiv/detailansicht/news/frauen_die_besseren_lebenskuenstler/

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  19. Verbloggen möchte ich aber nicht so sehr dieses Thema, sondern vielmehr das starke Gefühl von Fremdheit, das ich bei dieser Veranstaltung empfand.

    Das hatte ich heute abend (mal wieder) bei Niggemeiers Blogeintrag zur Kachelmann-Runde am Sonntag im Ersten. Es waren nicht die von Niggemeier aufgeführten Fakten oder Argumente, sondern der pastorale Ton und der belehrende oder mahnende Zeigefinger und am Ende noch irgendein „ich habe es damals schon gesagt“.

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  20. einverstanden, karin lucassen. der wille zur macht ist eine krankheit, leider auch ansteckend. die machtkrankheit zieht den blutroten faden durch die geschichte.
    macht oder gewalt zu sammeln, zu konzentrieren in einer hand, ist jeden tag zu beobachten, sei es wirtschaftliche oder parteipolitische macht. montesquieu aber hat seine lehre zur demokratie oder besser: weg vom ancien régime mit der forderung nach der gewaltenteilung begründet. das dürfen wir niemals vergessen, wie es alle die machtkranken tun, die genau das gegenteil anstreben, die starke konzentration der macht oder gewalt.
    schließlich hängt die macht an der person. die sache bleibt nebensache.

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