So, nun ist es aufgeklärt – es waren nicht die „linken Frauen“, die in der Schweiz für ein Minarettverbot gestimmt haben, wie nach dem überraschenden Abstimmungsergebnis von einigen Seiten gemutmaßt worden war. Wie der Schweizer Tagesanzeiger berichtet, war es, was auch nicht weiter verwunderlich ist, vor allem eine Links-Rechts-Entscheidung (die Linken stimmten gegen die Initiative, die Rechten dafür). Ebenso deutlich ist eine Korrelation zum Bildungsgrad festzustellen: Menschen mit weniger Bildung stimmten für das Minarettverbot, Menschen mit mehr Bildung dagegen.
Was speziell die linken Frauen betrifft, so waren sie in ihrer Ablehnung der Initiative sogar viel klarer als ihre männlichen Pendants: Nur 16 Prozent der „linken Frauen“ stimmten mit Ja, dafür aber 21 Prozent der „linken Männer“.
Also – ist das Thema damit durch? Keineswegs. Denn hinter der Debatte steckt durchaus ein Muster: Dass man es nämlich den Frauen, zumal den „linken“ Frauen, wenig verzeiht, wenn sie etwas „falsch“ machen. Es ist nämlich kein Zufall, dass die Aufregung hier überproportional größer ist, als wenn sich „linke“ Männer in zweifelhafte und politisch möglicherweise „unkorrekte“ Gefilde verlaufen.
Mich hat das Ganze an eine Diskussion erinnert, die wir in den 1980er Jahren in den Kirchen geführt haben: Und zwar die Diskussion über den Vorwurf, die feministische Theologie sei „antijudaistisch“. Dieser Vorwurf war damals von jüdischen Theologinnen gegenüber christlichen Theologinnen erhoben worden, und zwar nicht zu Unrecht. Denn es gab damals unter kirchlich engagierten Frauen eine gewisse Sehnsucht danach, Jesus als einen „neuen Mann“ darzustellen, der die alten patriarchalen Strukturen seiner Zeit bereits überwunden habe. Das Problem an diesem Denken war bloß, dass vor diesem wunderbar „frauenfreundlichen“ Jesus (der sich so gut als Kronzeuge für die eigenen feministischen Reformwünsche geeignet hätte) das alte, verknöcherte Judentum umso düsterer zurückblieb – kein Wunder, dass die Jüdinnen „not amused“ reagierten.
Sie legten damit den Finger in eine Wunde, die sich zwar an einem Streit unter Frauen – den Christinnen und den Jüdinnen – entzündete, der aber in Wahrheit viel größere Dimensionen hatte. Denn der Vorwurf des Antijudaismus traf ja keineswegs nur die feministische Theologie, sondern die christliche Theologie generell: Die christlichen Männer, so stellte sich rasch heraus, waren im Schnitt noch weitaus antijudaistischer in ihrer Argumentation als die christlichen Frauen. Der Antijudaismus war seit Anbeginn eine Grundkonstante in christlichen Argumentationen gewesen. Nur dass sich darüber bislang niemand sonderlich aufgeregt hatte. Zu einem regelrechten Skandal wurde es erst, als auch die Frauen, und auch noch Feministinnen, in dieses Schema gerieten.
In der Tat – es war ein Lapsus. Aber einer, den die feministische Theologie sehr schnell und sehr ernsthaft bearbeitete. Die Frauen stritten sich, revidierten ihre Theorien, veranstalteten Workshops und Tagungen, auf denen Jüdinnen und Christinnen sich austauschten. Mit anderern Worten: Sie initiierten einen Diskurs, der das Verhältnis von Judentum und Christentum neu aufrollte und im Lauf der Zeit zu einem Umdenken und Dazulernen führte. Bei den feministischen Theologinnen zuerst, bei den konventionellen Theologen etwas später.
Daher bin ich zuversichtlich, dass der Streit zwischen „anti-islamischen“ Feministinnen (etwa Alice Schwarzer in der Emma) und jenen, die sie kritisieren (etwa Birgit Rommelspacher in der taz), ähnlich wegweisend für eine gesamtgesellschaftliche Debatte im Bezug auf das Verhältnis von „westlicher Aufklärung“ und „Islam“ werden könnte.
Dass es keinen prinzipiellen Antagonismus zwischen Islam und weiblicher Freiheit gibt, habe ich bereits in einem anderen Blogbeitrag beschrieben. Und natürlich freue ich mich auch über diese neuen Zahlen, die belegen, dass „linke Frauen“ offenbar noch diejenigen sind, die am wenigsten anfällig für rechtsdumpfen Populismus sind. Doch das ist kein Grund, sich jetzt zurückzulehnen und auf die Rechten oder die Männer zu zeigen und zu sagen: euer Problem.
Vielmehr könnte es Ansporn sein, die Debatte nun erst recht zu führen: Denn erstens einmal sind 16 Prozent „linke Frauen“, die antiislamische Ressentiments pflegen, auch nicht grade gar nichts (wenn auch sehr weit davon entfernt, feministischer Mainstream zu sein). Und zweitens gibt es hier ganz offenbar noch vieles zu klären und auszudiskutieren. Und in der Hinsicht traue ich „uns“, den „linken Frauen“ (egal welche Haltung zum Islam sie derzeit haben) unter’m Strich mehr zu, als dem gesellschaftlichen Mainstream.
Wenn man es positiv sieht, könnte man die gesellschaftliche Aufregung gerade auch in „linken“ Kreisen über eine angebliche (oder befürchtete) Affinität des Feminismus zu einer populistischen Islamfeindlichkeich sogar als Auftrag verstehen, das mal gründlich aufzuarbeiten. Stellvertretend für die Gesellschaft insgesamt, die dann vielleicht irgendwann nachzieht und von unseren Diskussionen etwas lernt.

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