
Wenn Sachen allzu oft wiederholt werden, regt sich bei mir oft irgendwann Widerspruch. Heute war das wieder mal so, als ich im Freitag einen Artikel von Chloe Angel las, einer US-amerikanischen Feministin, die sich darüber beklagt, dass so viele junge Frauen sich nicht gerne Feministin nennen. Mit dieser Diagnose steht sie nicht alleine. Ich werde öfter zu Vorträgen über den Feminismus eingeladen, und in zwei von drei Fällen beginnen die Veranstalterinnen ihre Anfrage mit eben dieser Bemerkung: Sie kennen so viele Frauen, die keine Feministinnen sein wollen, und da müsse man doch mal etwas dagegen unternehmen…
Das klingt mir alles ein bisschen zu sehr nach moralischem Appell. „Feministin zu sein, ist harte Arbeit“ beginnt zum Beispiel der Artikel von Chloe Angel. Wenn ich meine eigenen Erfahrungen zu dem Thema einmal zum Ausgangspunkt nehme, dann kann ich das eigentlich nicht bestätigen. Sicher, es gibt blöde Antifeministen, sicher, es gibt immer noch Unverbesserliche, die Feminismus mit Alice Schwarzer und sonst nichts gleichsetzen. Aber unter’m Strich muss ich sagen, ist das Feministin sein weder ein heroischer Kraftakt, noch führt es zu gesellschaftlicher Stigmatisierung. Viele Leute sind interessiert, wenn ich mich als Feministin „oute“, sind neugierig, stellen Fragen, wollen mehr darüber wissen. Junge und Alte gleichermaßen (unter den älteren Frauen gibt es ja ebenfalls viele, die sich nicht Feministinnen nennen).
Deshalb überzeugt mich die These nicht so recht, die jungen Frauen wären zwar inhaltlich Feministinnen (sie sind für die Gleichberechtigung und schätzen die Errungenschaften der Emanzipation), würden das F-Wort aber vermeiden, weil sie sich irgendwie nicht trauen, weil sie Angst haben, dadurch irgendwie stigmatisiert zu werden. Das mag es auch geben, aber einen so wirklich ängstlichen Eindruck machen mir die meisten jungen Frauen heutzutage eigentlich nicht.
Deshalb setze ich jetzt mal eine Gegenthese in den Raum: Die Frauen, die so reden („Klar bin ich emanzipiert, aber ich bin keine Feministin“) schätzen die Lage durchaus richtig ein. Emanzipation und Feminismus sind nämlich nicht dasselbe. Emanzipation begnügt sich mit der Forderung nach gleichen Rechten für Frauen innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Es geht um Gleichstellung mit den Männern, darum, dass Frauen all das auch zustehen soll, was Männern zusteht. Ein Programm, das heute ja in auch nicht mehr sonderlich revolutionär ist, schließlich wird es längst Top-Down mit Hilfe von Regierungsmaßnahmen implementiert, wenn auch nicht immer konsequent genug.
Feminismus hingegen ist eine politsche Praxis, die generell für mehr weibliche Freiheit eintritt, die sich dafür einsetzt, dass Frauen mit ihrem Wünschen und Wollen sich in der Welt zu Wort melden und Einfluss gewinnen – und zwar auch und gerade dann, wenn sie die Selbstverständlichkeiten der gegebenen Ordnung in Frage stellen. Feminismus will mehr, als nur die Frauen mit den Männern gleichstellen, nämlich die Welt und ihre von Männern erfundene symbolische Ordnung grundsätzlich und radikal in Frage stellen.
Dass viele, eigentlich fast alle, jungen (und alten) Frauen heute die Errungenschaften der Emanzipation für selbstverständlich halten, macht sie also noch lange nicht zu Feministinnen. (Ausführlicher dazu hier: „Was kommt nach der Gleichstellung?“)
Ich kenne übrigens auch noch andere Frauen, die das F-Wort nicht gerne benutzen, obwohl sie aus einer Perspektive der weiblichen Freiheit heraus die gegebene Ordnung durchaus radikal in Frage stellen. Meine Freundin Ina Praetorius zum Beispiel nennt sich lieber „postpatriarchale Denkerin“. Und zwar aus genau diesem Grund: Sie will damit deutlich machen, dass es nicht um einen bloßen Lobbyismus für Fraueninteressen geht, sondern um eine Neugestaltung der gesamten Welt.
Anders als Ina benutze ich selber das Label „Feminismus“ gerne und offensiv, weil ich meine, wenn erst einmal viele postpatriarchale Denkerinnen sich selbst so nennen, dann ändert sich irgendwann auch das Image des Feminismus, dann wird sichtbar und öffentlich, dass wir eine breite Bewegung sind, die sich nicht auf die paar Klischees reduzieren lässt, die über uns immer und immer wieder nachgebetet werden. Aber eigentlich liegt mir an dem Label nicht so viel: Eine postpatriarchale Denkerin, die sich nicht Feministin nennt, ist mir lieber als eine Feministin, die sich mit der Emanzipation zufrieden gibt und keine weitergehenden Ambitionen hat.
Wenn wir aber wollen, dass mehr Frauen sich Feministinnen nennen (und ich will das auch), dann ist es aus meiner Sicht kein guter Weg, dauernd hervorzuheben, wie hart und anstrengend das Leben einer Feministin doch angeblich ist. Es ist nämlich gar nicht anstrengend – jedenfalls nicht hier bei uns in den westlichen Ländern, anderswo auf der Welt natürlich schon, leider. Aber was hat eine Feministin denn hier groß zu befürchten? Sicher, ihr wird nicht unbedingt der rote Teppich ausgerollt. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn man die Selbstverständlichkeiten derer mit dem roten Teppich bestreitet.
Eine Hauptpraxis der Frauenbewegung war es, das eigene Beziehungsnetz zu überprüfen und neu zu sortieren. Deshalb kennen Feministinnen oft viele andere unkonventionelle Frauen. Sie orientieren sich an ihren eigenen Kriterien und Maßstäben und nicht an denen der Männer oder des Mainstreams. Das macht das Leben enorm leichter!
Sicherlich gibt es Hindernisse und Widrigkeiten, aber die sind für eine Feministin eben genau das – Hindernisse und Widrigkeiten – und nicht mehr. Zum Beispiel sind sie kein Grund mehr, sich dauernd mit Selbstzweifeln und dem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit herumzuquälen: Wenn ich die Anerkennung bestimmter Leute nicht mehr suche, dann bin ich von dieser Anerkennung auch relativ unabhängig.
Aus meiner Erfahrung heraus kann ich jedenfalls nur sagen, dass es enorm viele Vorteile hat, Feministin zu sein. Wenn wir andere für diese Lebensform begeistern wollen, dann wäre es, so vermute ich, hilfreicher, diese Vorteile herauszustellen, anstatt immer wieder zu betonen, wie anstrengend und „harte Arbeit“ das ist.
Nein, Feministin zu sein ist keine moralische Verpflichtung, es ist nicht mühsam, und es ist auch nicht wirklich gefährlich. Es ist eher so etwas wie das natürliche Lebensgefühl einer Frau, die ihre Freiheit und die Freiheit der anderen liebt.

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