
Noch immer geht mir eine Podiumsdiskussion im Kopf herum, die ich Ende September in Gießen moderiert habe. Feministinnen verschiedener Generationen sollten miteinander ins Gespräch kommen, die „jüngeren“ waren Stephanie Mayfield (24) und Barbara Streidl (37), beide unter anderem Bloggerinnen bei der Mädchenmannschaft, die „älteren“ waren Heike Faber (48), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Pädagogischen Institut und Gleichstellungsbeauftragte an der Uni Gießen und Ursula Müller (66), eine der Mitgründerinnen der autonomen Frauenbewegung in Gießen. Das Publikum bestand überwiegend aus „Altfeministinnen“, was daran lag, dass der Anlass der Veranstaltung die Verabschiedung von Ursula Passarge als Frauenbeauftragte in Gießen war, die nach Jahrzehnten in diesem Amt in Ruhestand ging.
Wir hatten uns vorgenommen, an diesem Abend die inhaltlichen Differenzen zwischen älteren und jüngeren Feministinnen konstruktiv auf den Tisch zu bringen und zu besprechen – und vielleicht sogar gemeinsam zu überlegen, wie es „nach vorne“ weitergehen könnte. Wir dachten, die Chancen stünden auch ganz gut, weil wir das Podium absichtlich nicht als kontrovers konzipiert hatten, also keine Differenzen „inszenieren“ wollten, weil wir auch explizit nicht „Frauengenerationen“ eingeladen hatten, sondern solche Frauen, die sich als Feministinnen verstehen (und die ja in jeder Generation eine Minderheit darstellen), und weil wir auch nicht „alt“ und „jung“ hatten, sondern vier Frauen im Abstand von 10-15 Jahren jeweils.
Trotzdem zeigten sich an diesem Abend Verständigungsschwierigkeiten zwischen den „Feminismus-Generationen“, die fast unüberwindbar waren. Das hatte ich in dieser deutlichen Form nicht erwartet. Ich war überrascht, wie schwer es war, die jeweils anderen zu verstehen beziehungsweise ihnen vermitteln zu können, was das eigene Anliegen ist. In meiner Wahrnehmung – und irgendwie auch zu meiner Schande als Moderatorin – sind wir gar nicht wirklich an den Punkt gekommen, inhaltliche Differenzen zu diskutieren. Wir sind über weite Strecken schon daran gescheitert, überhaupt zu verstehen, worum es der anderen geht.
Ich habe darüber nachgedacht, woran das liegen könnte. Diese Gedanken schreibe ich hier mal relativ unsortiert in Thesenform auf (wobei dieses Podium aber nur der Anlass war, meine Thesen beziehen sich auf vielerlei Beobachtungen auch anderswo).
1. Zu wenig direkte Beziehungen
Es gibt wenig direkte Gespräche und Beziehungen zwischen „Altfeministinnen“ und „Jungfeministinnen“. Das führt dazu, dass das Wissen jeweils übereinander zu einem Großteil medial vermittelt ist. Ein Symptom dafür ist auf Seiten der „Jüngeren“, dass sie „Altfeminismus“ oft mit Alice Schwarzer und Emma identifizieren, die jedoch in den 1970ern keineswegs eine so dominante Rolle hatte, wie es heute scheint oder in den Medien dargestellt wurde. Ein Symptom auf Seiten der „Älteren“ ist, dass sie das Phänomen des „neuen Feminismus“ auch nur aus den Feuilleton-Seiten kennen und nicht aus eigener Anschauung. Sie haben dann leicht das Klischee, den jungen Feministinnen gehe es nur um Karrierechancen, aber nicht um Politik.
2. Unkenntnis der jeweiligen Denkansätze
Damit in Zusammenhang steht, dass die maßgebliche Literatur und Theorie der „anderen“ nicht bekannt ist. Junge Feministinnen haben oft nur wenig gelesen von dem, was die zweite Frauenbewegung an Theorien und Forschungsrichtungen hervorgebracht hat. Ich habe manchmal den Eindruck, ihr theoretisches Interesse fängt eigentlich erst mit Judith Butler an, und sie halten alles, was davor gedacht wurde, für veraltet und nur von historischem Interesse.
Die alten Feministinnen hingegen sind etwa zur gleichen Zeit aus der Theorie ausgestiegen, weil sie inhaltlich nicht einverstanden waren mit der Richtung, den die dekonstruktivistischen akademischen Gendertheorien in Deutschland genommen haben. In gewisser Weise entwickelten sich so feministische „Parallelwelten“, oft entlang der Linie innerhalb der Uni – außerhalb der Uni, aber eben auch entlang von Altersgrenzen. Die heute jungen Feministinnen kommen oft gar nicht auf die Idee, dass man eventuell die Abschaffung der Geschlechter gar nicht erstrebenswert finden könnte, während die älteren Feministinnen oft nicht einmal wissen, was mit Begriffen wie „Queer“ oder „Dekonstruktivismus“ überhaupt gemeint ist.
3. Es gibt zu wenig Bereitschaft, die Orte der anderen aufzusuchen
Die Entwicklung der Medien und speziell die Erfindung des Internet haben diesen „Graben“ noch verstärkt. Denn sie führten dazu, dass die verschiedenen Generationen sehr unterschiedliche Vorstellungen von Politik und Öffentlichkeit haben. Besonders krass kam das in Gießen zum Vorschein, als eine Frau aus dem Publikum den „Jüngeren“ vorwarf, sie würden ihre Ideen ja gar nicht in die Öffentlichkeit bringen, sondern nur ins Internet schreiben.
Da können wir jetzt drüber lachen, aber das wäre zu billig. Let’s face it: Die große Mehrzahl älterer Frauen, und auch der älteren Feministinnen, ist nicht im Internet, und wenn, dann nur sporadisch oder passiv-lesend. Das kann man schlecht und falsch finden, aber nicht einfach ignorieren. Es schwächt die Politik der Frauen, wenn sie auf die Ressourcen und Lebenserfahrungen der älteren verzichten, bloß weil die das Internet nicht als relevanten öffentlichen Ort betrachten. Deshalb müssten die „Jungfeministinnen“ vielleicht ab und zu auch mal dahin gehen, wo die „Altfeministinnen“ sind (in die altmodischen Frauenzentren, zu den Vortragsreihen, in die Bildungsinstitute). Natürlich gilt andersrum auch, dass die „Altfeministinnen“ dringend „ins Internet“ müssen – denn das ist eben der Ort, an dem Öffentlichkeit heute spielt. Wer da nicht mitmacht, braucht sich nicht wundern, nicht gehört zu werden.
Ich denke, wenn Altfeministinnen und Jungfeministinnen gemeinsam politisch für eine bessere Welt eintreten wollen, ist es notwendig, dass sie den Graben zwischen sich überwinden. Dass sie sich füreinander interessieren und sich denkerisch öffnen für die „falschen“ Ansichten der anderen. Und das geht nur, wenn man aufhört, übereinander zu lesen, und anfängt, miteinander zu sprechen.
Vielleicht gar nicht mal am besten auf solchen Veranstaltungen und einschlägigen Podien, sondern eher im konkreten persönlichen Alltag: Suchen wir unsere Denkfreundinnen doch nicht nur in der eigenen Generation, sondern auch in anderen Generationen. Das Denken ändert am liebsten dann die Richtung und entwickelt sich weiter, wenn man inhaltlich herausgefordert wird von einer, die man mag – obwohl man inhaltlich mit ihr nicht einer Meinung ist.
Update: Stephanie Mayfield bietet vom 12.-14. November ein Seminar über „Die 3. Welle des Feminismus“ an. Eingeladen sind insbesondere Frauen aus der 2. Frauenbewegung. Infos hier


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