Es passiert immer mal wieder, aber jetzt zum Jahreswechsel ist es gleich zweimal passiert: Facebook-Freundinnen haben sich aus dem Netzwerk verabschiedet. Und ich bin darüber ein bisschen traurig.
Ja, sie haben ihre Post- und E-Mail-Adressen hinterlassen, und ich könnte ihnen schreiben, aber derart war unsere Beziehung eigentlich nicht. Wir kannten uns nicht wirklich gut, sondern nur „aus dem Internet“. Ich freute mich über ihre gelegentlichen Kommentare zu meinen Postings. Ein Jahr oder sogar etwas länger hatte ich ein kleines bisschen Anteil an ihrem Leben und Denken, nichts arg Intensives, aber ausreichend, um einen Eindruck von ihnen als Personen, als Menschen zu haben. Ja, sie waren mir ein bisschen ans Herz gewachsen.
Und jetzt sind sie weg.
Und ich merke, wie die sozialen Netzwerke mich eingesponnen haben in ein Beziehungsgewebe, das es vorher so nicht gegeben hat. Denn wären die beiden „wirkliche“ Freundinnen gewesen, also Menschen, mit denen ich sowieso und unabhängig vom Internet eine Beziehung habe, dann wäre ich über ihren Abschied aus Facebook nicht sonderlich traurig. Dann würde ich sie ja nicht aus den Augen verlieren, dann blieben uns ja die anderen Kontexte, in denen wir uns ohnehin begegnen. Ich schätze mal, neun von zehn Menschen, die in meinem Leben eine Rolle spielen, sind ohnehin nicht bei Facebook oder sonstwo im Internet, da kommt es auf eine mehr oder weniger auch nicht an.
(Obwohl auch diese Beziehungen sich je nach Mediennutzung verändern. Jeder neuer Kommunikationsweg, so meine Beobachtung, verändert auch die Beziehungsstrukturen, das habe ich zumindest auch bei der Einführung der E-Mail beobachtet. Dadurch intensivierte sich der Kontakt mit einigen, weil sie schon früh E-Mail benutzten, und er lockerte sich zu anderen, die lange Zeit nicht mailten. Davon hat sich eine ganze Reihe dieser Beziehungen bisher nicht wirklich „erholt“, auch wenn inzwischen natürlich alle E-Mail haben).
Aber es gibt eben auch Beziehungen, die den Abschied aus dem sozialen Netzwerk nicht überleben. Bei manchen stört mich das nicht, weil ich ihre Postings und Kommentare eh nicht so besonders toll fand und sich trotz der Vernetzung keine echte Beziehung hergestellt hat. Aber bei anderen schmerzt es, weil sie mir über die Monate nicht fremd geblieben, sondern irgendwie ans Herz gewachsen sind. Weil sie durch die mediale Distanz hindurch für mich bedeutsame Personen wurden, Individuen, einzigartig.
Deshalb frage ich mich natürlich, warum sie sich verabschiedet haben. Werde ich ihnen denn nicht fehlen? Fanden sie meine Postings langweilig, meine Kommentare bedeutungslos? Bin ich ihnen nicht zur Person geworden, so wie sie für mich?
Ich werde sie das nicht persönlich fragen, denn, wie gesagt, derart war unsere Beziehung nicht. Es war ein „schwacher Kontakt“, wie es die Medienleute nennen, vielleicht auf dem Weg dazu, irgendwann mal ein „starker Kontakt“ zu werden, aber dort eben bisher nicht angekommen.
Kulturell fehlt es uns vielleicht einfach noch an Erfahrung im Umgang mit solchen „schwachen“ Beziehungen. Ich habe bei manchen Einwänden, die gegen soziale Netzwerke und „das Internet“ generell vorgebracht werden, den Eindruck, dass die dortigen Kontakte am Maßstab dessen gemessen werden, was außerhalb des Internets der Maßstab für Beziehungen ist.
Ein Beispiel: Im Urlaub hatte ich keine Lust, Postkarten zu schreiben. Statusupdates bei Facebook fand ich viel praktischer, ich konnte sie quasi täglich abgeben, was insbesondere einige meiner „starken Kontakte“ freute, weil sie so immer auf dem Laufenden waren und sich keine Sorgen um mein Wohlergehen am anderen Ende der Welt machen mussten. Die „schwachen Kontakte“ hingegen waren möglicherweise von meinen dauernden Strandberichten gelangweilt, aber das war mir egal, sie konnten mich ja ausblenden.
Insofern war meine über Facebook verbreitete Ankündigung, keine Postkarten mehr zu schreiben, eigentlich vor allem an diejenigen gerichtet, die normalerweise Postkarten von mir bekommen haben. Es sollte eine Erklärung dafür sein, dass sie in diesem Jahr keine kriegen würden. Und so war ich durchaus etwas irritiert, als einige der anderen schrieben, sie würden Postkarten bevorzugen – denn sie hatten doch bisher von mir noch nie eine Postkarte bekommen.
Die Option, 300 Postkarten zu schreiben, existiert ja nicht wirklich. Und ebenso wenig existiert ernsthaft die Option, mit den „schwachen Kontakten“, die Facebook wieder verlassen, auf andere Weise Kontakt zu halten. Wahrscheinlich werden wir uns also einfach aus den Augen verlieren.
Nicht, dass das prinzipiell etwas Neues wäre. „Schwache Kontakte“ gab es auch schon vor dem Internet: sympathische Arbeitskollegen, die man aber nicht mehr trifft, nachdem man den Job gewechselt hat. Nette Nachbarinnen, zu denen sich nach dem Umzug der Kontakt verliert. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ – schon immer waren „schwache Kontakte“ diesem Gesetz unterworfen.
Aber früher waren diese Beziehungsverluste unvermeidbar, weil wir die technischen Möglichkeiten nicht hatten, die es uns erlaubt hätten, diese Gesetzmäßigkeit zu durchbrechen. Und das ist es womöglich, was mich heute traurig macht. Dass es heute eigentlich nicht mehr nötig wäre.
Ja, ich bin ein bisschen traurig, wie eine Verliebte, die einen Korb gekriegt hat.


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