Der Papst, das Amt, der liebe Gott und ich

Jetzt ist der Papst wieder weg, und seit gestern kurven einige Gedanken dazu in meinem Kopf herum, die ich hier niederbloggen will, damit ich gleich in Ruhe (und ohne Papst im Kopf) noch mal das schöne Wetter genießen kann.

Der Gedanke, der mir seit gestern im Kopf herum geht, lautet: Der Papst hat euch alle um den Finger gewickelt. Und zwar nicht nur die Christlichen, sondern auch die Atheistischen, die sich – ich habe die Blogs und Tweets dazu so nebenbei verfolgt – an einem bestimmten Punkt aufhielten, der meiner Meinung nach der falsche Punkt ist: Nämlich dem, dass der Papst in seiner Bundestagsrede darauf verwiesen hat, dass es neben dem Recht und der menschlichen Vernunft noch eine andere Instanz gebe, die Natur der Dinge beziehungsweise auch Gott, und dass das einen Rahmen für das ethische Bewusstsein vorgibt, den Menschen nicht einfach nach Gutdünken verändern können.

Viele papstkritische Stimmen haben das so übersetzt: Der Papst behauptet, es gebe eine Natur des Menschen, und deshalb dürfen wir zum Beispiel Homosexualität nicht erlauben und Frauen nicht gleichstellen. Und sie erwidern: Das ist aber Quatsch, denn es gibt eine solche „Natur“ nicht, und außerdem hat der Papst seine homophoben und frauenfeindlichen Ansichten bitte im Privaten (übersetze: innerkirchlich) zu verbreiten und nicht im Bundestag.

Nun ist es ja keine Neuigkeit, dass Joseph Ratzinger behauptet, Homosexualität und die Freiheit der Frauen würden gegen die Natur des Menschen und gegen Gottes Willen verstoßen. Ich bin da anderer Ansicht, denn ich bin – nach ebenso reiflicher Überlegung, Bibelstudium, Beterei etcetera – zu der Auffassung gelangt, dass Gott überhaupt nichts gegen Homosexualität und weibliche Freiheit hat, ganz im Gegenteil. Menschen haben unterschiedliche Ansichten, und über die müssen sie sich halt streiten. Ich streite mich gerne, und je nachdem, mit wem ich es zu tun habe, argumentiere ich mit Gott, der Bibel, der Vernunft, der Natur, dem Grundgesetz, der Bagavadgita oder was auch immer in der jeweiligen Situation dazu beitragen kann, die andere Seite zu überzeugen.

Das Problem ist aber, dass der Papst behauptet, er allein wisse ganz genau, was Gott will. Er muss nicht argumentieren. Beziehungsweise noch nicht einmal das, sondern: Die Struktur der Katholischen Kirche ist derart, dass sie ihre eigene „Unfehlbarkeit“ behauptet, also dass ein Mensch, in diesem Fall Joseph Ratzinger, nur weil er Papst ist, sich anmaßen kann, Gottes Willen zu kennen und daher es nicht mehr nötig hat, sich mit anderen Leuten auseinander zu setzen, die zu anderen Auffassungen kommen. Zum Beispiel mit mir.

Denn ich bin ja nur Antje, und Herr Ratzinger ist der Papst, und darin liegt der Teufel begraben. Denn: Genau diese Hierarchie wird auch durch die oben skizzierte papstkritische Argumentation letztlich bestätigt. Auch die Papstkritiker_innen gestehen ihm die Definitionsmacht zu, Gottes Willen auszulegen. Nur so können sie ja aus dem Inhalt dieser Rede die Schlussfolgerung ziehen, an Gott zu glauben sei gleichbedeutend mit homophob und frauenfeindlich, obwohl der Papst diese Themen ja gar nicht angesprochen hat. Das hat er eben gar nicht nötig, denn alle Welt, die Gläubigen wie die Ungläubigen, gestehen ihm zu, dass seine Ansichten diesbezüglich die Maßgeblichen sind. Was ich zum Beispiel (und ich bin da ja nicht allein) zu dem Thema zu sagen hat, ist uninteressant.

Das Vorhandensein einer obersten institutionellen Instanz, die darüber befindet, was Gott angeblich will, ist der entscheidende Unterschied zwischen katholisch und evangelisch. Es ist im Übrigen auch ein entscheidender Unterschied zwischen katholisch und muslimisch, denn auch der Islam kennt keine solche oberste und unfehlbare Instanz, die festlegt, was alle gefälligst für Gottes Willen oder den „natürlichen“ Lauf der Dinge zu halten haben.

Ich will euch hier ja nicht dauernd mit Simone Weil nerven, aber sie hat auch hierzu wieder kluge Dinge gesagt: Das „Anatema sit“, also die Selbstermächtigung der Institution Katholische Kirche dazu, festzulegen, was „wahrer“ und was „falscher“ Glaube ist, war für sie der entscheidende Grund, dieser Kirche nicht beizutreten. Und dieses Selbstverständnis ist auch meiner Ansicht nach der eigentliche Punkt, an dem man dem Auftreten des Papstes etwas entgegen setzen muss.

Mir war, ehrlich gesagt, fast schon entfallen, wie stark dieses katholische Amtsverständnis noch ist. Die Bundestagsrede des Papstes hat es mir wieder vor Augen geführt: Ihre hauptsächliche und eigentliche Bedeutung hat diese Rede dadurch bekommen, dass es ein Papst war, der sie gehalten hat, und nicht etwa wegen ihres Inhaltes.

Diese Amtsautorität ist etwas, das wir in der evangelischen Kirche schon lange nicht mehr kennen, was auch damit zu tun hat, dass es hier Pfarrerinnen gibt. In einem älteren Vortrag habe ich mal darüber geschrieben und bin zu dem Schluss gekommen, dass sich mit dem Zugang von Frauen zum Pfarramt etwas Entscheidendes verändert hat: Nicht mehr das Amt trägt den Menschen, der es innehat, sondern der Mensch muss das Amt erst einmal ausfüllen, um Autorität zu haben.

Früher war „Pfarrer“ (auch bei den Evangelischen) per se etwas Besonders. Auch der schlichteste Geist, trug er bloß einen Talar, war eine Autoritätsperson. Frauen hatten diesen „Amtsbonus“ nie. Sie mussten immer erst einmal beweisen, „dass sie das auch können“. Dies hat inzwischen auf die gesamte Amtsstruktur ausgestrahlt – auch ein Mann, der Pfarrer wird, kann sich nicht allein deshalb schon der entsprechenden Aufmerksamkeit und Wichtigkeit sicher sein. Meiner Ansicht nach ist das eine Veränderung zum Positiven. Die im Übrigen sich nicht nur in der evangelischen Kirche so abgespielt hat, sondern auch im Politischen. Seit es etwa Bürgermeisterinnen und Rektorinnen und Richterinnen und was weiß ich gibt, stehen diese Ämter in einem größeren Legitimitätsdruck, kommt es zunehmend darauf an, wie sie von der entsprechenden Person ausgefüllt werden.

Nicht alle finden diese Entwicklung gut, in der evangelischen Kirche (und auch politische Analysten tun das zunehmend) wird gerne über die so genannte „Feminisierung“ geklagt. Das sind Männer, die ihren alten Privilegien hinterher jammern, die die Frauen nie hatten, und die in einer gleichberechtigten und pluralen Gesellschaft nun auch den Männern abhanden kommen.

Und das ist – das habe ich jetzt mit Hilfe des Papstbesuches kapiert – der eigentliche Grund, warum die katholische Kirche sich mit Händen und Füßen gegen die Ordination von Priesterinnen wehrt. Mir war diese Sturheit bisher immer einigermaßen unverständlich, weil alle Argumente dafür (die Bibel, Jesus, die Tradition) ziemlich mager sind. Und weil die diversen katholischen Veröffentlichungen zum Thema Geschlechterverhältnis, wenn man sie genau liest, eigentlich gar nicht so schrecklich sind, wie es in der öffentlichen Debatte darüber manchmal den Anschein hat. (Vgl. zum Beispiel diesen Text von Luisa Muraro: „Wenn Kardinal Ratzinger ein Student von mir wäre“)

Ich glaube, jetzt weiß ich, woher diese strikte Weigerung kommt, Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Es hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, sondern damit, dass diese Ämter dann nicht so bleiben könnten, wie sie sind. Das selbstgefällige Getue älterer Herren in Roben (wer sich einmal anschauen möchte, was ich meine, kann diesen Mitschnitt einer Pressekonferenz im Rahmen des Papstbesuches anschauen) könnte keinen Bestand haben, sobald es auch Frauen in solchen Roben gäbe.

Es geht hier – wie bei der weiblichen Freiheit generell – genau nicht um Gleichstellung und Emanzipation. Es geht darum, die alte Verknüpfung von „persönlicher Meinung“  und „Maßgeblichkeit“ in Form von institutionalisierten Ämtern aufzugeben. Eine Verknüpfung, die der Papst nicht aufgeben will, und er weiß auch sehr genau, warum. Das ganze Konstrukt einer Institution, die davon lebt, für alle (Gläubigen) verbindlich den Willen Gottes auszulegen, würde dann nämlich in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

Ich glaube, dem lieben Gott würde das gefallen. Und vernünftig wäre es auch.


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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

24 Gedanken zu “Der Papst, das Amt, der liebe Gott und ich

  1. Ja, das haben manche gerne vergessen, das die katholische Kirche allgemein und der Papst besonders sich die Deutungshoheit (versuchen zu) nehmen. Ich bin auch immer erstaunt, wieso die Leute so konsterniert wegen der Haltung des Papstes zur Ökumene sind. ich finde die Haltung des Papstes in sich schlüssig und logisch. Nur kann ich da eben zwischen „in sich“ und „von aussserhalb betrachtet“ unterscheiden und darf daher freilich das ganze von außerhalb, naja, gelinde gesagt für sehr bescheiden ansehen.

    Wie eben das ganze Prinzip der allein-seelig machenden Kirche und die innere Struktur derselbigen, das der Papst als (angeblicher) Vertreter Jesus die Basis dieser Kirche ist und nicht, wie auch manche Katholiken irrtümlich meinen, die Gemeindemitglieder. Die denken es sich zuweilen nur neblig-schön, um nicht zu erkennen, das sie längst nicht mehr wirklich „katholisch“ sind und das sie dennoch Christen sein können.

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  2. Großes Kino. Diese Argumentationslinie, dass die Art von Amtserfüllung nicht so bleiben kann, wie sie in Heteronormativen Strukturen geprägt wurde, wenn sie von Frauen ausgeübt wird, die kannst du meinetwegen gerne an diversen anderen Beispielen durchexerzieren. Ist das in deinen Augen dann nicht auch ein Totschlagargument FÜR die Quote? Und ist es vielleicht die Frauenkombo der CDU, die qua Existenz, nicht wegen ihrer Politik, die Erwartungshaltung der Leitartikler aber auch der altgedienten Parteigänger ins Leere laufen lässt?

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  3. Ich hatte und habe wieder so den Eindruck, das der Papst J.R. einfach ohne viel zu sagen in seinem Schloss und Gemächer herumwandert und das Wetter geniesst und die Sternen mit dem Okkular anschaut.Vielleicht hat er auch ein „Lismete“ und strickt einen Ariadne-Schal unendlich lang, so lang er kann.Auf diesem Lebens-Schal kommen ihm strickender Weise seine Gedanken und Thesen.Sein Präsenz ist es die uns zur Auseinandersetzung „zwingt“.

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  4. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen zum Thema Papst in Deutschland gar nicht zu sagen, weil der eh in Deutschland und nicht in Österreich war 😉 Aber dein Blogpost, liebe Antje, lässt mich jetzt mit meinen Vorsätzen brechen.

    Erstmal eine kleine Klarstellung: Die „Unfehlbarkeit“ des Papstes gilt – wenn ich in Kirchenrecht richtig aufgepasst habe – nicht generell, sondern nur bei ex cathedra Entscheidungen, also Aussagen in aller Form, wozu eine Bundestagsrede oder sowas nicht zu zählen ist. Das ist ohnehin aber ein Detail, dass im Kern an Deiner Analyse nicht wirklich was ändert, denn egal wie genau das zu verstehen ist, die Frage der Fixierung auf das Amt bleibt.

    Als Katholikin erlebe ich halt auch eine ganz andere Realität, die vermutlich der der evangelischen Kirche nicht unähnlich ist: In der alltäglichen Praxis vor Ort ist die Amtsfixierung längst zusammengebrochen, entscheidend ist bei den Katholik_innen genauso die Autorität einer Person, lange nicht mehr das Amt (naja, vielleicht bei ein paar Leute noch, aber sicher nicht mehr bei der breiten Mehrheit). Je mehr Frauen auch in leitenden Positionen der katholischen Kirche tätig sind (und sie sind!), je mehr bröckelt das und alles wird wesentlich spannender, weil es wirklich darum geht, was jemand zu sagen hat und nicht mehr, was jemand formal ist. Da gehts dann nicht nur um Glaube, sondern um Glaubwürdigkeit.

    Ich denke auch, dass der Ausschluss von Frauen aus gewissen Positionen in der katholischen Kirche darin begründet ist, die Relikte des alten Amtsverständnisses aufrechtzuerhalten, wie du es schilderst. Das wird aber einfach von der Realität eingeholt – und eine Neudefinition ist ja teilweise auch in den 1960ern passiert, wenn im II. Vatikanischen Konzil vom „Priestertum aller Getauften und Gefirmten“ die Rede ist, davon, dass wir allesamt dazu berufen sind, den Grund unseres Hoffens (ums mal so traditionell zu sagen) ins Gespräch zu bringen. Wenn heute Teams ehrenamtlich engagierter Christ_innen Pfarrgemeinden leiten (ja, da gibts dann natürlich dahinter immer ein kirchenrechtliches Konstrukt mit Priester, das das ermöglichst), dann fängt nicht nur das Verständnis vom Amt, sondern auch das Verständnis der Rolle ausgebildeter Theolog_innen zum Wackeln an. Ich will damit nicht sagen, dass ein Theologiestudium keine Berechtigung mehr hätte, im Gegenteil, aber es wird spannend, wie das weitergeht. Da wird kein Stein mehr auf dem Anderen bleiben, es ist ein spannungsreicher Prozess, Ausgang ungewiss 😉 Mir ist es wichtig hier diese andere Perspektive einzubringen, es kommt halt immer recht darauf an, wohin frau so schaut, ich bin da recht bei der Praxis der Frauen und Männer vor Ort, da wo Wahrheit (um dieses große Wort auch noch in die Runde zu werfen) in Kommunikation entsteht und nicht des Amtes wegen.

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  5. @Andrea – Ja, das beobachte ich auch, dass es die Praxis in den katholischen Gemeinden längst anders ist, das war wahrscheinlich auch der Grund, warum der Papst die deutschen Katholik_innen eigens zu mehr „Papsttreue“ auffordern musste (jede Aufforderung ist ja ein Hinweis darauf, dass genau das Gegenteil passiert, da winkt die Hermeneutik des Verdachtes). Arnd Brummer behauptet deshalb ja auch, die Katholik_innen wären in Wirklichkeit auch schon reformiert, aber ich bin mir nicht sicher, ob man das so ausdrücken sollte. Es gibt durchaus Unterschiede auch zwischen Evangelischen und Katholischen an der Basis, und die sind oft sehr interessant und überhaupt kein Grund zum Ärgerniss.
    Objektiv besteht aber für mich schon das Problem – und das war ja der Fokus meines Blogposts – dass das Amtsverständnis des Papsttums durchaus auch Auswirkungen darauf hat, wie christlicher (oder sogar allgemein religiöser) Bezug in Deutschland wahrgenommen wird. Dass die evangelische Kirche, jedenfalls in einigen Landeskirchen, offiziell schwule und lesbische Partnerschaften segnet, wird praktisch gar nicht zur Kenntnis genommen. Wobei ich zugebe, dass die das auch ein bisschen offensiver betonen könnten, Ökumene hin oder her.

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  6. @erz – Ja und Nein. Das mit der Frauenkombo in der CDU und dem daraus folgenden Rumgeeiere der Leitartikler sehe ich genauso. Was die Quote betrifft, so bin ich nicht so sicher, weil sie auch dazu führen kann, dass besonders „angepasste“ Frauen in die Ämter kommen. Interessanterweise ist ja das Pfarramt in der evangelischen Kirche vollkommen ohne Quote von den Frauen erobert worden, einfach weil es so viele Frauen gab, die Pfarrerinnen werden wollten, und weil – umgekehrt, aber genauso wichtig – sehr viele Gemeinden und dort vor allem Frauen, Pfarrerinnen haben wollten und sich sehr dafür eingesetzt haben. Das trifft aber pikanterweise für andere kirchliche Ämter nicht unbedingt zu. Die Kirchenleitungen vermännlichen derzeit wieder. Da finde ich es sinnvoller, Ursachenforschung zu betreiben und den dahinter liegenden Konflikt zu bearbeiten, anstatt per Quote für einen Ausgleich zusorgen und das Thema damit unter den Teppich zu kehren.

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  7. In der katholischen Kirche gibt es zwar keine Pfarrerinnen, aber viele Pfarrer aus Entwicklungsländern, die von der konservativeren Bevölkerung auch erst mal etwas skeptisch beäugt werden. Vielleicht ist die Wirkung ja eine ähnliche?

    Ohne Papst katholisch sein funktioniert übrigens so:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Altkatholisch

    Kuriosum am Rande: Ebenso erkennen die orthodoxen Kirchen die Gültigkeit der altkatholischen Weihen dem Grunde nach an, sofern sie nicht an oder durch eine Frau gespendet werden.

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  8. Liebe Antje,

    ich würde gerne unterstreichen, dass „die Papstkritiker_innen“ sehr unterschiedliche Gründe und auch sehr unterschiedliche Ziele mit ihrer Kritik haben (es geht z.B. nicht nur um Papstkritik). Mir persönlich ist es zum Beispiel völlig schnuppe, ob der Papst biologistisch oder sonstwie argumentiert, denn es gibt sowieso keine zulässige Argumentationslinie, die sein Weltbild für mich nachvollziehbar macht. Was die Rahmung des Protests angeht (sehr individualistisch, teilweise plakativ) bin ich kritisch, aber das ist ein anderes Thema. Dennoch: Die Zusammensetzung der Demonstrierenden selbst war sehr vielfältig (bedingt durch die unterschiedlichen Bündnisse von links-radikal und/oder queer-feministisch bis mainstreamig LSVD).

    Zum Punkt Definitionsmacht:

    Mir können kirchliche Institutionen und deren Hierarchien und vermitteltes Weltbild ja eigentlich wirklich egal sein, denn sie sind nicht mein Bezugsrahmen (jedenfalls nicht gewollt). Aber ich weiß, dass sie für viele andere Menschen einer sind. So gehe ich auf die Straße, wenn dieses Weltbild publikumswirksam und staatlich hofiert einen für mich unangemessen prominenten Rahmen bekommt. Damit erkenne ich erst einmal an, dass der Papst eine günstiger Sprecherposition hat, die – ja! – mit Definitionsmacht verbunden ist. Das heißt allerdings nicht, dass es die Papstkritiker_innen sind, die dem Papst Definitionsmacht zugestehen oder diese gar legitimieren. Ganz im Gegenteil: Die Definitionsmacht wird von den Protestierenden – anders als von den meisten Politiker_innen im Bundestag – endlich angezweifelt.

    Soll heißen: Die Hierarchie wird nicht durch die Demonstrierenden bestätigt (das muss sie nämlich gar nicht), die ist bereits real-existent: Deshalb spricht auch der Papst im Bundestag und nicht Antje Schrupp :).

    Und noch eine Frage zum folgenden Satz:

    „Ich glaube, jetzt weiß ich, woher diese strikte Weigerung kommt, Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Es hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, sondern damit, dass diese Ämter dann nicht so bleiben könnten, wie sie sind. Das selbstgefällige Getue älterer Herren in Roben (…) könnte keinen Bestand haben, sobald es auch Frauen in solchen Roben gäbe.“

    Hast du eine Idee, mit was es sonst zu tun hätte? Meiner Meinung nach werden da ganz klar hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit deutlich, die eine Abwertung des Weiblichen beinhaltet. Getreu dem Motto: Eine Frau ist solch eines Amtes nicht würdig, sie kann es nicht angemessen ausfüllen, hat eine andere soziale Rolle (…).

    Lieben Gruß, Magda

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  9. @Magda – Mein Post bezog sich ja auch gar nicht auf die Demonstrationen, sondern auf die Argumentationen in zahlreichen Blogs und Tweets dazu. Zum Thema Definitionsmacht. Mir gefällt die Unterscheidung von Hannah Arendt zwischen Macht und Gewalt gut: Gewalt wird durch die äußeren Umstände hergestellt (Jemand ist stärker als ich, jemand hat die Waffe in der Hand). Macht hingegen ist von der Zustimmung der Mehrheit abhängig. (So wie die Macht der Nazis sich auf den Antisemitismus der meisten Deutschen stützen konnte). Definitionsmacht ist niemals objektiv gegeben, sondern durchaus abhängig von den Einzelnen, die sie jemandem geben. Man hat da also durchaus Handlungsspielräume. Man kann Leuten auch Macht entziehen, indem man ihre Autorität nicht anerkennt, selbst wenn viele andere das noch tun.
    Zu deiner letzten Frage: Ich denke inzwischen tatsächlich, dass es der katholischen Kirche bei der Weigerung, Frauen zu ordinieren, nicht um die Frauen geht, sondern um die traditionellen Kirchenstrukturen. Die sind natürlich mit Männlichkeit verknüpft. Aber genau deshalb ist es ja richtig, zu sagen: „Frauen können dieses Amt nicht ausfüllen“, denn würden sie es übernehmen, würde sich das Amt automatisch verändern müssen, weil es ja seine Verknüpfung mit der Männlichkeit nicht mehr länger hätte. Es gibt im katholischen Feminismus auch einen sehr interessanten Streit zwischen den einen Feministinnen, die den Zugang von Frauen zu Ämtern fordern, und anderen, die sagen: Solche Ämter wollen wir gar nicht haben, wir wollen eine andere Kirche. Jede Widerstands- oder Veränderungsbewegung steht immer vor diesem Dilemma: Dass die Forderung nach einem Zugang zu irgendwas unweigerlich dieses Etwas aufwertet, denn es muss ja toll und wichtig sein, wenn es wert ist, erobert zu werden.

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  10. @Antje Schrupp

    Dann habe ich wohl eher die Blogeinträge der Bündnisse gelesen, die an den Demos beteiligt waren. Da waren die Stimmen sehr unterschiedlich, sowohl in der Themensetzung als auch in der Ansprache.

    Hannah Arendt finde ich im Kontext Definitionsmacht übrigens nicht sehr passend: Arendts Begriff ist sehr handlungsorientiert, aber ich rede eher von gesellschaftlichen Machtverhältnissen, Normen und Sprechpositionen. Arendt wäre zwar hilfreich, wenn wir über die Demos selbst sprechen: Menschen schließen sich zusammen und handeln gemeinsam und erarbeiten sich so eine machtvolle Position. Aber die Definitionsmacht des Papstes wird dadurch nicht eliminiert, bestenfalls angekratzt.

    (PS: Was Macht angeht, schwirre ich immer zwischen einem wilden Mix aus Lukes und Foucault – Subjektivierungen, Normen und (unbemerkte) Manipulation.)

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  11. Weiss nicht so recht … in meinen Augen hat die Verbindung von Amt und Autorität und deren Loslösung von der Person des Amtshinhabers wenig bis gar nichts damit zu tun, dass ein paar Typen sich unangreifbar machen wollen.

    Die Idee dahinter, so wie ich ( und viele andere ) sie bisher immer verstanden habe, besteht wohl eher darin, dass die Institution, für die der Amtsinhaber handelt, als Vertretung von Wahrheiten oder Legitimationen angesehen wird, die Gültigkeit ganz unabhängig vom Amtsinhaber und dessen Verhalten besitzen.

    Solche Institutionen mit entsprechendem Anspruch sind im Zuge der Demokratisierung der Gesellschaft in Kritik geraten – dass aber nicht Frauen da der Motor der Entwicklung sind, sieht man z.B. bei solchen Institutionen, die diese Kritik einigermaßen unbeschadet überstanden haben, wo also weiterhin zwischen Amt und Amtsinhaber unterschieden wird, nichtsdestotrotz Frauen eine stetig steigende Zahl von Amtsinhaber stellen: Z.B. in der Rechtsprechung, also den Gerichten.

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  12. Übrigens – obwohl nicht Christ – würde mich mal interessieren, wie das den ganz praktisch mit den evangelischen Christen so aussieht?

    Wenn Frau xyz so weit ganz nett ist, dann glauben sie auch schon mal an Gott, wenn Herr abc aber echt mies drauf ist, dann fallen sie von ihm ab?

    Und welche Bedeutung hat dann, wenn es nur noch auf die Person ankommt, dass evangelische Pfarrersamt noch?

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  13. @Magda – Jede und jeder Einzelne, die dem Papst die Definitionsmacht entzieht, verringert dieselbe. Was spricht denn gegen eine handlungsorientierte Herangehensweise an das Thema?

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  14. @Antje

    Ja und nein. Es kommt schon noch drauf an, wer und wie dem Papst die Definitionsmacht abspricht (und in welchem Rahmen). Zum Beispiel: Wegbleibende Abgeordnete haben eine größere Wirkungsmacht als die einzelne Demonstrantin.

    Aber ich habe noch mal ein wenig über Arendt nachgedacht und sie macht für mich in diesem Kontext doch noch mit folgendem Beispiel Sinn: Die Leute, die nicht demonstrieren, die sich nicht öffentlich gegen den Papst (oder andere Befürworter_innen eines menschenverachtenden Weltbildes) aussprechen, agieren ja auch gemeinsam – quasi kollektives Nichthandeln als gemeinsames Handeln. Sprich: das stumme Nicht-Hinterfragen von Definitionsmacht ist hier Knackpunkt. Es geht dann wohl weniger darum, einem Menschen Definitionsmacht zu geben, denn diese „gebe“ ich nicht einfach, sondern darum, wer sie wie in welchem Kontext in Frage stellt und nicht als legitim erachtet. Definitionsmacht ist für mich weniger empirisch messbar, sondern Resultat von gesellschaftlichen Machtverhältnissen.

    Also die handlungsorientierte Herangehensweise finde ich nur dann spannend, wenn Nicht-Handeln auch als eine Handlung benannt wird. Vielleicht ist das auch der Punkt, der mich am Blogposting ein wenig störte: Der Fokus liegt auf dem Handeln der Demonstrierenden, die ja angeblich dem Papst die Definitionsmacht zugestehen. Die Ansicht teile ich ja eher nicht und so eine Fokusverschiebung wie eben angerissen finde ich da ganz gut.

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  15. @Magda – Ja, nicht Handeln ist definitiv auch Handeln, aber ich bewerte es nicht so negativ wie du. Es gibt viele gute Gründe zum Nicht Handeln, zum Beispiel, wenn man nicht weiß, was man tun soll oder sinnvollerweise kann in einer Situation. Dann einfach irgendwas zu tun, nur um was zu tun, kann kontraproduktiv sein. Es ist besser, nichts zu tun, weiter nachzudenken, die (vorläufige) Ratlosigkeit einzugestehen.

    Definitiv hat etwa das Wegbleiben der Abgeordneten mit all dem Tamtam drumherum dem Papst noch deutlich mehr Aufmerksamkeit verschafft. Ich frage mich zum Beispiel auch, wie groß die Definitionsmacht des Papstes (zumindest hier in Deutschland) faktisch überhaupt noch ist, oder ob es nicht im Wesentlichen potemkische Dörfer sind, die hier inszeniert werden. Die mit Fake-Abgeordneten aufgefüllten Parlamentssitze sind ja nicht mal nur metaphorisch, sondern ganz real eine Fassade vor dem Nichts gewesen. Kennst du jemanden, der/die sich vom Papst beeinflussen lässt? Und wenn es so wäre, wenn wir also etwa die Leute im Blick haben, denen päpstliche Anordnungen tatsächlich noch handlungsleitend sind: Ändern solche Protestaktionen etwas daran? Oder bestätigen sie nur diejenigen in ihrem Denken, die sowieso schon lange gegen päpstliche Anordnungen sind?

    Allerdings kann Nicht-Handeln natürlich auch falsch sein, nämlich dann, wenn es aus Faulheit oder auch Konfliktscheuheit resultiert.

    Aber in dem Posting habe ich keineswegs das Handeln der Papstgegner_innen kritisieren wollen, sondern worum es mir ging, war ein (wie ich meine) Fehler in ihrer Argumentation. Man kann auch mit falschen Argumenten zu richtigen Handlungen kommen und andersrum aus richtigen Argumenten zu falschen Handlungen. Was die Sache natürlich nicht unbedingt einfacher macht.

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  16. @Antje

    ich finde es schwierig zu beurteilen, wie viel (Definitions-)macht jemand hat, wenn ich das lediglich daran messen soll, was mein Umfeld so denkt oder ob ich Menschen kenne, die den Papst ernst nehmen. Wie gesagt, Definitionsmacht ist verknüpft mit gesellschaftlichen Verhältnissen und „verschwindet“ nicht einfach, auch wenn die Kritik beim Besuch groß war (insbesondere auch wegen der Missbrauchsfälle…)

    Ich denke eher: Dass dieser Mensch im Bundestag sprechen kann und mit wehenden Flaggen empfangen wird, ist ein Indiz dafür, dass sein Weltbild keins ist, dass den meisten der Regierenden fremd ist. Und dass viele nicht auf die Straße gehen (wollen) oder sich nicht für den Besuch interessieren, ist ebenfalls ein Indiz, dass so ein Papst nicht angezweifelt / massiv in Frage gestellt wird. And again: Die Definitionsmacht bracht mensch dem Papst nicht zugestehen – die hat er, strukturell abgesichert und eingebunden in ein Normgerüst (welches selbstverständlich nicht starr ist, Brüche hat und durchaus Wandel unterworfen ist, aber dennoch sehr gut intakt und immer wieder bestätigt).

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  17. @Magda – Der Unterschied zwischen „Macht“ und „Definitionsmacht“ ist doch, dass die Macht durch äußere Instrumentarien abgesichert ist. Sie kann zwar unabhängig von der Zustimmung der Mehrheit keinen Bestand haben, aber sie ist unabhängig von der Zustimmung der jeweils konkret Anwesenden. Wer Macht hat, kann entscheiden, aufgrund gegebener formaler Befugnisse (ein Chef kann anordnen, ein Richter Urteile fällen etc.). Auch solche Macht kann man allerdings (mittelfristig) unterhöhlen, indem man ihr die Zustimmung entzieht, aber an einer konkreten Situation ändert das erstmal nichts.

    „Definitionsmacht“ ist ja als Wort, soweit ich sehe, eingeführt worden, um darauf zu verweisen, dass es auch nicht-institutionell abgesicherte Machtverhältnisse gibt. Also dass „Privilegienpimmel“ es gar nicht nötig haben auf insitutionelle Machtbefugnisse zu setzen, um ihre Ansichten durchzusetzen. Das stimmt einerseits, andererseits aber auch nicht. Denn anders als die institutionelle Macht kann ich in einer konkreten Situation jemandem die Definitionsmacht entziehen. Wenn ich ihm nicht glaube und keine Bedeutung zumesse, kann er nichts dagegen tun (anders als mein Chef). Damit habe ich natürlich noch nicht die Gesamtsituation geändert, aber etwas ganz entscheidendes an dieser konkreten Situation geändert, und ich glaube, dem müssen wir Aufmerksamkeit widmen, weil es die Schaltstelle ist, an der Definitionsmacht ausgehebelt werden kann (dass man sich vorher noch über ihre Existenz klar werden muss, ist geschenkt).

    Es kommt noch etwas hinzu. Definitionsmacht hat viel mit „Mainstreamdenken“ zu tun, also mit Selbstverständlichkeiten, die nicht hinterfragt werden. Diese Mechanismen kann man nicht auf demselben Weg aushöhlen wie institutionelle Macht. Bei institutioneller Macht kann ich Regeln und Gesetze ändern, Chefs absägen, also an formalen Strukturen arbeiten. Bei der „Definitionsmacht“ bewegen wir uns im Bereich des Symbolischen. Wir sind darauf angewiesen, Menschen zu überzeugen, zu argumentieren etc., und zwar ohne uns selbst auf „Macht“ berufen zu können (wie wir es beim Ändern von Gesetzen durchaus können). Das heißt, Definitionsmacht ist gleichzeitig leichter und schwerer auszuhebeln als formale Macht und man muss bei beidem unterschiedlich vorgehen.

    Dass beides in der Realität (also in einer konkreten Situation, aka Papst) nur vermischt vorkommt, stimmt natürlich auch. Aber für das politische Handeln finde ich es wichtig, beides zu unterscheiden.

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  18. Ich finde den Artikel sehr gut!
    Meiner Meinung nach hat man ein papstähnliches Phänomen auch in ganz normalen, alltäglichen Gesprächen und Diskussionen. Irgendwann kommt immer der Punkt (so habe ich es bisher erlebt) an dem gesagt wird „Das verstehst du nicht“ oder „Gott will es eben so“. Was soll man auf diese Argumente noch antworten?
    Viele Grüße

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  19. „…denn auch der Islam kennt keine solche oberste und unfehlbare Instanz, die festlegt, was alle gefälligst für Gottes Willen oder den „natürlichen“ Lauf der Dinge zu halten haben.“

    Das ist nicht korrekt.
    Der Islam kennt sehrwohl eine oberste und unfehlbare Instanz: Koran und Sunna.
    Neben dem unveränderbaren und unfehlbaren Wort Allahs, des Korans, steht die durch den Koran autorisierte und bestätigte Sunna, deren Vorschriften absolut verbindlich sind.

    „In der islamischen Jurisprudenz und Traditionswissenschaft bezeichnet der Begriff Sunna die Summe der zu befolgenden, wegweisenden und nachahmenswerten Taten des Propheten sowohl im religiösen als auch profanen Leben.“ (s.wikipedia)

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  20. Unterm Strich gebe ich Dir recht: Institutionen definieren sich durch Interaktion und da spielt Macht eine entscheidende Rolle, vor allem, wenn diese ungleich verteilt ist und der Zugang zu ihr selektiv vergeben wird.
    Allerdings wäre ich nicht so streng mit dem Papst, denn mir fällt auf, daß er Stück für Stück Änderungen zuläßt – schade, daß die neue Haltung der kath. Kirche zur Benutzung von Kondomen verlacht anstatt honoriert wird.
    Ob nun diese Schritte ausreichen, die Kirche schnell genug zu reformieren, ist eine andere Frage, aber große Tiere bewegen sich nun mal behäbiger als kleine.

    http://feydbraybrook.wordpress.com/2011/08/23/interview-feyd-und-die-kirche-teil-i/

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  21. Irene 19.10.2011

    Ich habe mit diesem Mann J.R, dem „Stellvertreter Jesus Christus“ nichts zu tun und wundere mich immer wieder wie die Gemüter, gleich welcher Couleur, sich erhitzen, wenn es um diese Person geht. Ich kann dem Ganzen nicht folgen.

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