Ich möchte euch auf eine tolle Serie hinweisen, die drüben im Internetforum „Beziehungsweise Weiterdenken“ kürzlich gestartet ist, und zwar übersetzt Dorothee Markert das Buch „Denken in Präsenz“ von Chiara Zamboni ins Deutsche und stellt es kapitelweise ins Internet.
Ich habe das Buch bereits auf Italienisch gelesen (und vor drei Jahren schomal kurz daraus was verbloggt).
Mir scheint das Ganze auch deshalb wichtig, weil ich unter internetaffinen Menschen manchmal ein gewisses Desinteresse an Materialität und Körperlichkeit beobachte. Es scheint so etwas wie eine Sehnsucht danach zu geben, die körperlichen Begrenztheiten unserer Existenz mit Hilfe von Daten zu überwinden – so hörte ich zum Beispiel auf der „Open Mind“ im September einige begeisterte Leute, die nach dem Vortrag von @tante über Cyborgs davon schwärmen, wie toll es doch wäre, wenn wir nicht mehr als körperliche Wesen, sondern als reine Datenpakete miteinander Beziehungen haben könnten.
Der Ärger über den Körper, der uns begrenzt, der einfach ohne dass wir uns das ausgesucht hätten mit einem Geschlecht und einer Hautfarbe geliefert wird, der altert, der Hunger und Durst hat, der krank wird, der scheißen muss, der müde wird und so weiter ist natürlich schon sehr alt, und unter Philosophen war es schon lange vor dem Internet eine verbreitete Illusion, man könne „den Geist“ irgendwie von diesem lästigen irdischen materiehaften Anhängsel befreien.
Was sich mit dem Internet geändert hat ist in der Tat, dass ich meinen Hintern für sehr viel weniger Dinge als früher aus dem Haus bewegen muss – und zum Glück! Ich kann vieles vom Computer aus machen, was früher nicht möglich war, ich kann einkaufen, Bücher beschaffen, Leute treffen. Das hat übrigens nichts mit Körperlosigkeit zu tun, denn es ja sind immer noch meine Finger, die auf die Tastatur tippen, es ist immer noch mein Gehirn, das denkt, es ist immer noch mein Herz, das schneller klopft, wenn eine Email von jemand Bestimmtem piepst.
Viele Kulturpessimist_innen beklagen das, ich sehe darin eine Chance, denn in dem Moment, wo ich meinen Körper nicht mehr zu unnötigen Dingen schleppen muss, kann ich besser sehen, wofür er gut ist und wofür nicht.
Ich zum Beispiel brauche die gemeinsame körperliche Präsenz, um Menschen kennen zu lernen. Nicht nur weil Körperkontakt das einzig funktionierende Mittel gegen Fakes ist, sondern auch weil Beziehungen eine andere Qualität bekommen, wenn ich den betreffenden Menschen gesehen, gehört und angefasst habe. Womit ich nicht sagen will, dass Beziehungen mit Menschen, die ich ausschließlich übers Internet kenne, nicht auch qualitätsvoll und toll sein können. Aber alle Beziehungen, die irgendwann mal in eine körperliche Begegnung gemündet sind, haben bisher für mich eine andere Qualität angenommen, und fast alle sind besser, vertrauter geworden.
Chiara Zamboni untersucht nun in ihrem Buch, wie das Miteinander-Denken funktioniert und wie auch dieses Denken eine andere Qualität annimmt, wenn Menschen gemeinsam in einem Raum sind. Meine Erfahrung ist genau diese – die Netzwerktools des Internet haben, zumindest bei mir bisher, nicht dazu geführt, dass „virtuelle“ Debatten anstelle von körperlichen Begegnungen getreten wären, ganz im Gegenteil. Sie haben dazu geführt, dass ich jetzt viel mehr Leute kenne, mit denen ich unbedingt mal „in Präsenz denken“ will.

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