50 Prozent. Über Zahlen und mehr.

frauenzaehlen

Anne Roth hat ein neues Blog gestartet, das ich euch empfehlen möchte: Es heißt 50 Prozent und da sammelt sie prozentuale (Nicht)-Beteiligung von Frauen beziehungsweise die Überdominanz von Männern bei verschiedenen Kongressen, Fernsehsendungen, Panels etc. Hier ist ein Bericht darüber im Metronaut.

Das ist eine gute Idee, wie ich finde, macht da mal mit. Das geht, indem ihr entsprechende Beobachtungen per Mail schickt oder in die Kommentare tippt, oder auch über Twitter: einfach Gesamtzahl, Zahl der Frauen, URL und den Hashtag #50prozent in den Tweet schreiben.

In diesem Blog habe ich über Ähnliches ja auch schon häufiger nachgedacht. Im März 2009 war mir zum Beispiel ein Trend aufgefallen, den ich „Cover-Girls“ genannt habe – damit meine ich, dass viele Veranstalter ihr Defizit in Punkto weibliche Beteiligung damit überdecken, dass sie die wenigen Frauen, die eingeladen sind, immerhin prominent auf ihre Flyer und Programmhefte drucken.

Ein Jahr später habe über „gefühlte und reale Frauen“ geschrieben. Damit meine ich das Phänomen, dass eine Frauenbeteiligung von 20 bis 30 Prozent als „normal“ und ausgeglichen empfunden wird. Weniger als 20 Prozent stößt schon einigen Leuten inzwischen unangenehm auf, ein Frauenanteil von 50 Prozent oder darüber wird als weibliche Dominanz wahrgenommen.

Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass wenn eine Frau etwas sagt und dabei nicht als „Neutrum“ auftritt, sondern ihre Weiblichkeit sichtbar ist und von ihr eventuell sogar zum Thema gemacht wird, ihre Intervention automatisch nicht mehr als allgemeingültige, an alle Menschen gerichtete Intervention verstanden wird, sondern als partikulare „Frauenintervention“, so als würde sie dann „für die Frauen“ sprechen und nicht „für die Menschen“.

Ich nenne das inzwischen manchmal das „Simone-de-Beauvoir-Dilemma“: Simone de Beauvoir nämlich galt zu ihrer Zeit als einflussreiche Philosophin und maßgebliche Vertreterin des Existenzialismus. Bis sie ein Buch über Frauen geschrieben hat. Ab da war sie nicht mehr Philosophin, sondern „Frauen-Philosophin“.

Und bis heute stehen Frauen vor diesem Dilemma: Gebe ich mich als universales Neutrum aus, um gehört zu werden? Oder mache ich die Geschlechterdifferenz zum Thema, auf die Gefahr hin, dann als „Frauen-Frau“ wahrgenommen zu werden?

Genau das ist der inhaltliche Grund, warum eine 50-Prozent-Zählung so wichtig ist. In einer Umgebung, in der das Sprechen von Frauen genauso normal, sichtbar und verbreitet ist wie das Sprechen von Männern wird es nämlich nicht mehr so leicht sein, Frauen als „Frauen-Frauen“ in die Partikularecke zu stellen, einfach weil jede von ihnen nur eine unter ganz vielen ist. Da die vielen sichtbaren Frauen höchstwahrscheinlich auch viele sichtbare Meinungen vertreten werden, wird offensichtlich, dass eine Frau nicht „für die Frauen“ spricht, auch dann, wenn sie in ihrem Frausein sichtbar ist und das vielleicht sogar thematisiert.

Ein wichtiges Thema also. Denn man muss sich ja klar machen, dass die angemessene Beteiligung von Frauen an Debatten nicht das Ende des Liedes ist, sondern der Anfang. Das heißt: Wenn wir Frauen genauso selbstverständlich sprechen hören, und genauso häufig, wie Männer, dann ist nicht das „Problem Gleichberechtigung“ gelöst, sondern dann können die inhaltlichen Auseinandersetzungen überhaupt erstmal beginnen. Dann erst lägen die Themen auf dem Tisch.

Wobei, noch ein Nachtrag: Ich finde nicht, dass alle Veranstaltungen zu je fünfzig Prozent aus Frauen und Männern bestehen müssen. Zum Beispiel bereite ich ja selbst gerade eine Veranstaltung vor – die postpatriarchale Denkumenta 2013 – wo nach dem bisherigen Anmeldestand die Männer eine kleine Minderheit sein werden. Allerdings ist uns, den Veranstalterinnen, das natürlich bewusst und wir verstehen unsere Tagung auch klar als weiblichen Beitrag zu einer aktuellen Entwicklung. Wir laden Männer ein und freuen uns, wenn sie Interesse haben, aber wir erheben nicht den Anspruch, eine „geschlechtsneutrale“ Tagung zu machen oder eine, wo die Geschlechterdifferenz keine Rolle spielt.

Unter diesen Voraussetzungen kann ich auch Veranstaltungen akzeptieren, bei denen Frauen eine kleine Minderheit sind – wenn die Veranstalter deutlich machen, dass sie eine Intervention aus männlicher Perspektive beabsichtigen.

Eine alte Idee von mir, die ich besser finde als die Quote, wäre in diesem Zusammenhang ja ein Ampelsystem: Einen roten Punkt bekämen alle Veranstaltungen/Panels/Sammelbände usw., bei denen ein Geschlecht extrem dominierend auftritt, sagen wir mit einem Anteil von über 75 Prozent. Einen gelben Punkt bekämen alle, bei denen ein Geschlecht zwar klar dominiert, aber nicht extrem, sagen wir mit einem Anteil von 60 bis 75 Prozent. Einen grünen Punkt bekämen alle mit einem eher ausgeglichenen Geschlechterverhältnis, also wo kein Geschlecht mehr als 60 Prozent stellt. Um es noch sichtbarer zu machen, könnten in die roten und gelben Punkte ein M oder F geschrieben werden, damit man sofort sieht, welches Geschlecht es ist, das hier dominiert.

So als eine Art Aufklärungs- und Warnsystem, das mich als Nutzerin zu einer schnelleren Navigation befähigt. Einladungen zu Themen, bei denen ich eine Männerdominanz nicht akzeptiere, bräuchte ich dann gar nicht mehr sichten, sondern könnte sie ungelesen wegwerfen.

Vielleicht entsteht aus Annes Blog ja irgendwann mal eine Bundesprüfstelle für Geschlechterverhältnisse, die dieses Siegel verbindlich einführt. Kleiner Scherz. Aber ein bisschen ernstgemeint.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

7 Gedanken zu “50 Prozent. Über Zahlen und mehr.

  1. Offensichtlich wird sowas dringend benötigt.

    Heute, 23.4. in der Sendung „Sprechstunde“ im DLF, Thema „Pille, Kondom, Spirale – Wie sich Schwangerschaften sicher und risikoarm verhüten lassen“

    Es diskutieren ausschliesslich Männer im Studio, die gelegentliche Anruferin darf das dann mal aufwerten. Wortbeiträge zu anderen Themen (nicht Schwangerschaft, nicht Verhütung) dürfen dann auch mal von Frauen kommen.

    Hallo? Waren die beim DLF zu doof oder zu feige oder zu faul, nach einer Frau zu suchen die _dazu_ was sagen könnte?

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  2. Ich finde es auch erschreckend, wie wenig sich Frauen engagieren. Ich denke, dass die patriarchalen Strukturen viele Frauen abschrecken.

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  3. Dann wäre es doch schön das Blog würde auch die Veranstaltungen erfassen, die von Frauen dokumentiert werden (wie etwa die Denkumenta). Bei der Denkumenta steht ja nun auch nicht im Titel „ein Kongress für Frauen“. D.h. wenn die Veranstalter von IT-Konferenzen in Zukunft dazuschreiben würden „nur für männliche Sichtweise auf Informationstechnik“ wäre das für die Frauenwelt OK und das Gejammer über den Frauenmangel in Technik würde aufhören?

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  4. @Björn – Ja, genau so wäre es. Ich habe nichts gegen Männerveranstaltungen, solange sie dazu stehen. Bei der Denkumenta haben wir nie den Anspruch gehabt, eine neutrale, über-geschlechtliche Perspektive zu vertreten. Es war allen, auch den teilnehmenden Männern, klar, dass das eine „Frauenveranstaltung“ war. Dazu musste das auch gar nicht erst im Titel stehen. Aber die Münchener Medientage verstehen sich selbst eben nicht als Männertage.

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  5. Nun ja bei den Medientagen geht es vielleicht gar nicht um Männer- oder Frauenthemen, sondern einfach um Sachthemen? Zumindest bei vielen IT-Veranstaltungen ist das der Fall. Da geht es meist um geschlechtsneutrale Technik.

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  6. @Björn – Alle Themen sind auch Männer- und Frauenthemen, neutrale „Sachthemen“, die nicht mit der Geschlechterdifferenz verwoben sind, gibt es nicht. bei der Denkumenta z.b. beschäftigten wir uns mit Themen wie Sterben, Alltagskunst, Grundeinkommen etc., das waren auch „Sachthemen“, aber wir diskutierten sie aus unserer Perspektive, der von Frauen. Und waren uns dessen bewusst. Bei den Medientagen werden Sachthemen aus der Perspektive von Männern diskutiert, nur dass sie sich dessen nicht bewusst sind.

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  7. „neutrale “Sachthemen”, die nicht mit der Geschlechterdifferenz verwoben sind, gibt es nicht.“

    Finde ich schwer nachvollziehbar etwa bei IT Themen. Gibt es Beispiele für spezifisch weibliche Sicht auf Software-Entwicklung? Die letzte Konferenz bei der ich war ging um Programmierung von Hobby-Dronen, es ging einzig um den Spaß. Frauenanteil 3% – aber wo wäre da die Geschlechterdifferenz eingeflossen?

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