
Das Versprechen vom Ende der Arbeit ist extrem populär. Auch bei der Republica, dem Blogger_innentreffen in Berlin, gab es einen Vortrag dazu, von Johannes Kleske, und er war total überfüllt. „Wenn Maschinen uns ersetzen“ lautete der Untertitel. Hier kann man die Videoaufzeichnung sehen.
Ich bin dort hingegangen, weil das Thema mich interessiert und ich unentschieden bin. Denn einerseits arbeite ich selbst ja nie, wie ich hier schonmal schrieb, andererseits verbindet sich aus meiner Sicht mit der Idee vom „Ende der Arbeit“ auch viel Illusorisches, wie ich wiederum hier schrieb.
In seinem Vortrag zeigte Johannes Kleske, dass inzwischen nicht mehr nur schwere körperliche Arbeit von Maschinen ersetzt wird, sondern auch viel Arbeit in hochqualifiziert-bildungsbürgerlichen Berufen: in der Medizin, im Rechtswesen, im Finanzwesen können Algorithmen vieles schneller erledigen als Menschen von Hand. Der Trend zur Entwertung menschlicher Arbeit betrifft also längst nicht mehr nur die wenig qualifizierten Tätigkeiten, sondern auch alle anderen.
Wie viele sieht auch Kleske den hauptsächlichen Beleg für die These vom „Ende der Arbeit“ vor allem in einer zunehmenden Arbeitslosigkeit. Doch das ist ein Denkfehler: Zunehmende Arbeitslosigkeit beweist nämlich keineswegs, dass keine Arbeit da ist, sondern nur, dass sie nicht profitträchtig genug ist, um für ihre Erledigung zu sorgen: Schultoiletten verdrecken, Pflegebedürftige werden im Minutentakt abgefertigt, Sachen werden nicht repariert, und so weiter. Dass Arbeit da ist, bedeutet halt nicht automatisch, dass sie auch getan wird.
Kleskes Botschaft war allerdings nicht: Toll, wir erfinden lauter Maschinen und dann müssen wir nichts mehr arbeiten und können den ganzen Tag Spaß haben. Sondern seine Botschaft war: Toll, wir erfinden lauter Maschinen und dann überlegen wir, was Maschinen gut können und was Menschen gut können. Sein Plädoyer ging also in Richtung bestmögliche Kooperation aus beidem – was ich durchaus unterschreiben würde.
Die Frage ist aber, was der Maßstab dafür ist, ob die Kooperation zwischen Mensch und Maschine gut funktioniert, und in welchem symbolischen Rahmen wir uns diese Kooperation vorstellen. Kleske griff dabei auf das alte Idealbild der griechischen Antike zurück: So wie die freien Bürger Athens den lieben langen Tag über die Agora flanierten und sich dem freien Philosophieren und Politisieren hingaben, so würden auch wir bald unbehelligt von Alltagsarbeiten uns den schönen und wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen – nur dass die lebensnotwendigen Arbeiten nicht mehr von Sklavinnen und Sklaven erledigt würden, sondern von Maschinen.
Meiner Ansicht nach ist aber das Problem am patriarchal-athenischen Modell nicht (nur), dass dabei Menschen ausgebeutet wurden, sondern dass dahinter eine fragwürdige Hierarchisierung der Welt in Oben und Unten, in Wertvoll und Wertlos, in Wichtig und Unwichtig stand, die dann immer weiter ausgeufert ist, etwa in Dichotomien wie geistig/körperlich, Kultur/Natur, männlich/weiblich etc. Und aus der Science Fiction wissen wir ja bereit, dass sich das auf die Hierarchie von Mensch/Maschine ausweiten lässt und wir es wahrscheinlich irgendwann auch mit Emanzipationsforderungen von Robotern zu tun kriegen. Dass bestimmte Arbeiten und Tätigkeiten als minderwertig und andere als höherwertig gelten (und welche), liegt ganz und gar nicht „in der Natur der Sache“, sondern ist immer das Ergebnis eines kulturellen Entwicklungs- und Aushandlungsprozesses.
Die dualistische Zweiteilung der Welt führt unser Denken generell auf falsche Gleise. Sie wird nicht dadurch besser, dass jetzt Roboter an die Stelle der Sklavinnen und Sklaven treten. Denn diese Zweiteilung deformiert auch diejenigen, die „oben“ stehen.
Ein anderes Paradigma, das aus meiner Sicht hinterfragt werden müsste, das Kleske aber kritiklos übernahm, war der Maßstab der Effizienz: Maschinen können effizienter Statistiken auswerten, Menschen können effizienter außerhalb des „Rahmens“ denken und kreativ sein. Die Frage, wie zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Maschineneinsatz unterschieden werden könnte, beantwortete er mit dem Vorschlag, die „wirklich menschlichen“ Arbeiten von solchen Arbeiten zu unterscheiden, die Maschinen besser erledigen können.
Das ist eine gute Idee, aber was heißt „besser“? Das Problem ist doch, dass Qualität in Bezug auf Arbeit fast immer mit Effizienz gleichgesetzt wird. Dorothee Markert hat einmal schön geschildert, wie ihr Streben nach Effizienz die Qualität ihrer Gartenarbeit beschädigt hat. „Nichts auf der Welt kann den Verlust der Freude an der Arbeit wettmachen“ hat Simone Weil schon vor achtzig Jahren gesagt und damit die Gewerkschaften kritisiert, die ihre Forderungen allein auf Effizienzsteigerung, also mehr Lohn und weniger Arbeitszeit, fokussiert haben.
Wenn Effizienz auf Kosten der Freude an der Arbeit geht, befördert sie nicht das gute Leben, sondern behindert es. Das ist genau der alte athenische Dualismus, wonach man die Arbeit „weg kriegen“ muss, damit man Zeit für das „Eigentliche“ hat, aber das ist eine falsche Gegenüberstellung.
Dasselbe gilt für die Qualität. Ein Pflegeroboter mag einen alten Menschen zwar hygienisch „sauberer“ kriegen als ein Mensch, aber eine besondere Qualität der menschlichen Pflege, nämlich gleichzeitig eine Beziehungsdimension zu haben, geht dabei verloren. Ein professionelles Catering bringt zwar vielleicht ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis zustande, aber eine gemeinsame Mahlzeit von Selbstgekochtem hat eben eine zusätzlich Qualität, weil nicht das Sattwerden, sondern die Beziehung der Beteiligten im Zentrum steht.
Damit will ich nicht sagen, dass überall da, wo menschliche Beziehungen im Spiel sind, keine Maschinen eingesetzt werden sollen. Manchmal kann der Einsatz von Maschinen Beziehungen fördern und stützen und zum guten Leben für alle beitragen, manchmal kann er sie aber auch beschädigen und zerstören. Die Pflege von alten Menschen zum Beispiel ist ohne jegliche technische Unterstützung sehr anstrengend und mühsam. Das kann zur Überforderung führen und sich negativ auf die Beziehung zwischen Pflegerin und Pflegebedürftiger auswirken. Wenn aber im Gegenteil fast die gesamte Pflegearbeit von Maschinen oder rein professionellen Kräften erledigt wird, kann sich das ebenfalls negativ auf die Beziehungen auswirken, wenn zum Beispiel Kinder und Enkel die Großmutter sonntags im Altenheim besucht und mühsamen Smalltalk gemacht wird, man sich aber eigentlich nicht viel zu sagen hat, weil es keinen geteilten Alltag gibt.
Ein anderes Problem, das sich vor allem durch den Einsatz von Algorithmen stellt, ist die Unterordnung des Einzelfalls unter die statistische Wahrscheinlichkeit. Gerade in der Medizin ist das ein Problem, wenn etwa nicht mehr der Arzt oder die Ärztin über die Behandlung entscheidet, sondern „der Computer“. Gerade habe ich von einem Fall gehört, in dem eine Patientin wiederholt mit einem Medikament behandelt wurde, auf das sie allergisch reagiert. Obwohl ihre Angehörigen die Ärzte immer wieder darauf hingewiesen haben, wurde es immer wieder eingesetzt, denn „im Allgemeinen wird auf dieses Medikament sehr gut reagiert“, wurde ihnen mitgeteilt.
Algorithmen berücksichtigen Einzel- und Sonderfälle nicht, im wirklichen Leben hat man es aber konkret mit überhaupt nichts anderem zu tun als mit Sonder- und Einzelfällen. Und es liegt eben im Wesen von Sonder- und Einzelfällen, dass es völlig uneffizient ist, ihnen Aufmerksamkeit und Zeit zu widmen.
Das alles ist natürlich nicht die Schuld der Maschinen und der Algorithmen selber, sondern eine Folge davon, dass wir sie im Rahmen einer falschen symbolischen Ordnung zum Einsatz bringen. Die männliche westliche Ideengeschichte ist von zwei Grundfehlern geprägt, die sich hier auswirken: Die Abwertung von Beziehungen im Vergleich zu formalen Verhältnissen und Hierarchien, und die Abwertung der Kontingenz (also des Zufälligen, des Einzelfalls) im Vergleich zu verallgemeinerbaren und universalen Gesetzmäßigkeiten.
Wenn diese Art zu denken zusammenkommt mit dem Potenzial von Maschinen und Algorithmen, dann hat es genau die negativen Auswirkungen, die wir überall beobachten können: Die Maschinen und Algorithmen werden aus reinen Effizienzgründen eingesetzt ohne Rücksicht darauf, wie sich das auf die Beziehungen unter Menschen auswirken, und ihr Einsatz führt dann dazu, dass die Einzel- und Sonderfälle, eben die Kontingenz, noch mehr unter die Räder kommt als sowieso schon.
Das ist aus meiner Sicht auch der Grund, warum so viele Frauen – und vor allem feministische Frauen, die die männliche symbolische Ordnung kritisch reflektieren – eine tendenziell technikkritische Haltung einnehmen.
Ich finde, dies ist ein Punkt, an dem wir weiter denken sollten. Ein erster Vorschlag wäre, als Sinnbild für freies Tätigsein nicht die von den realen und materiellen Notwendigkeiten des Lebens entfremdeten Männer auf der athenischen Agora zu nehmen, sondern Männer und Frauen, die sich bei ihrem Arbeiten oder Tätigsein an den Notwendigkeiten der Welt orientieren und ihre dabei gemachten Alltagserfahrungen politisch und philosophisch reflektieren. Die sich von Maschinen unterstützen lassen, allerdings nicht unter dem Leitbild der Effizienz und des Möglichst-wenig-arbeiten-Müssens, sondern unter dem Leitbild des guten Lebens für alle Menschen und gelingender Beziehungen untereinander.

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