Letzte Woche wunderte ich mich darüber, dass mein Blogpost über das Sichdickfühlen fast keinen Traffic von Rivva bekam. Rivva ist eine Seite, bei der viel diskutierte und weiterempfohle Artikel aus dem Netz aufgelistet sind. Das geschieht automatisch, über Algorithmen. Man kann sich dort also schnell darüber informieren, was gerade so „los“ ist im Internet, und was sich vielleicht zu lesen lohnt, weil alle es gerade lesen.
Ich habe mich inzwischen darauf eingestellt, dass wenn ein Artikel hier viel kommentiert und verbreitet wird, irgendwann auch über Rivva Leute auf diesen Blog kommen. Das freut mich natürlich, denn es ist eine schöne Möglichkeit, die eigenen Themen Menschen außerhalb der eigenen Filterbubble bekannt zu machen.
Und deshalb fiel mir auf, dass es beim letzten Blogpost, obwohl er viel gelesen, kommentiert und weiterverbreitet wurde, keinen Traffic von dort gab. Hatte Rivva mich etwa vergessen? War der Algorithmus kaputt? Wurde ich etwa ZENSIERT?
Nein, bei Rivva war alles in Ordnung, wie sich schnell zeigte, der Algorithmus ist tatsächlich unbestechlich. Es gab auch ein bisschen Traffic von dort, bloß eben so wenig, dass er nicht in den Top-Ten-Referrern auftauchte und ich ihn deshalb nicht wahrgenommen hatte.
Aber interessant ist das: Offenbar waren die Leute, die Rivva als Empfehlungstool nutzen, am Thema „Körpernormen“ so uninteressiert, dass sie den Empfehlungen von Rivva an diesem Punkt nicht gefolgt sind. Darin zeigt sich eine Diskrepanz zwischen dem, was die Menschen im Internet durchschnittlich interessant finden (die dem Blogpost ja viel Resonanz bescherten) und dem, was Leser_innen von Rivva interessant finden (die ihn nicht beachteten).
Hieraus wiederum lässt sich auf eine gewisse Milieuverengung der „Netzgemeinde“ (gibt es dafür eigentlich inzwischen ein besseres Wort?) auf ihre Lieblingsthemen Technik, Internet und (Netz)politik schließen: Sie gehen nicht zu Rivva, um zu erfahren, was gerade im Internet relevant ist, sondern sie gehen zu Rivva, um zu erfahren, welche Texte zu ihren drei Lieblingsthemen gerade relevant sind.
Das ist natürlich ihr gutes Recht, aber es bedeutet auch, dass wir die Debatten, die in den vergangenen Jahren über die Sichtbarkeit feministischer Blogs und Themen im Netz geführt wurden, weitertreiben müssen.
Level 1 war sozusagen gewesen, dass „wir“ (also die feministischen Bloggerinnen, die hier mal stellvertretend stehen für alle Blogger_innen, deren Themen nicht zu den drei Lieblingsthemen der Netzgemeinde gehören) lernen sollten, uns den Logiken der Aggregations-Algorithmen anzupassen.
„Ihr seid nicht in all diesen Blogrankings drin, weil ihr falsch bloggt, weil ihr nicht aufeinander verlinkt, weil ihr euch gegenseitig nicht retweetet, likt und so weiter“, wurde uns gesagt. Und wir haben brav unsere Hausaufgaben gemacht, und zwar mit Erfolg, denn inzwischen finden sich durchaus auch Blogposts zu „unseren“ Themen in den einschlägigen Rankings.
Aber jetzt stellen wir fest, dass uns das gar nicht so sehr viel bringt in Bezug auf Traffic und Aufmerksamkeit (und das ist es doch, worum es letztlich geht): Selbst wenn wir mit „unseren“ Themen auf diesen Rankings stehen, ändert das halt wenig an der Tatsache, dass „die Leute da“ uns uninteressant finden. Was also tun?
Drei Vorschläge liegen spontan nahe:
1. Feministische Bloggerinnen sollten sich gegenseitig ruhig weiter verlinken und retweeten, wenn es sich ergibt, denn offensichtlich funktioniert es ja durchaus. Die pure Sichtbarkeit „unserer Themen“ erhöht sich, und ein bisschen Transfer-Traffic ist ja schonmal besser als gar keiner.
2. Rivva-Leser_innen könnten sich vielleicht mal überlegen, ob sie nicht auch ab und zu auf Links zu Themen klicken wollen, deren Relevanz ihnen nicht unmittelbar einleuchtet. Denn – das ist ja grade der Witz – wenn das Zeug auf Rivva steht, heißt das doch, dass andere es durchaus interessant finden. Open you horizons.
3. Leute, die Rivva bisher nicht (mehr) nutzen, könnten wiederum durchaus mal dort hingehen, denn es geht dort nicht mehr ausschließlich Tech, Internet und (Netz)politik.
Allerdings verhält es sich mit diesen Vorschlägen so ähnlich wie mit Appellen, es sollten doch mehr Frauen auf Wikipedia schreiben oder mehr Unternehmen Frauen zu Chefinnen machen: So lässt sich vielleicht die Krassheit der Situation etwas abmildern, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass das „Umgebungsdesign“ nicht für uns passt.
Deshalb hier noch zwei weitere Punkte.
4. Nicht zu viel von dem Bestehenden erwarten: Die „Internetbasiskultur“ ist (ebenso wie die „parteipolitische Basiskultur“ oder die „akademische Basiskultur“) von einer bestimmte Menschengruppe entlang ihrer Bedürfnisse entworfen worden und entsprechend nicht geeignet, um die Wünsche, Verhaltensweisen, Relevanzkriterien (und so weiter und so fort) aller Menschen abzubilden. Deswegen ist Wikipedia auch prinzipiell (also aufgrund seines Designs und seiner Struktur und nicht nur aufgrund individuellen Verhaltens dieser oder jener Menschen) nicht in der Lage, das gesamte Wissen der Menschheit abzubilden, und sind politische Parteien prinzipiell nicht in der Lage, die Politik der Frauen organisatorisch abzubilden. Und genauso ist Rivva prinzipiell nicht geeignet, die Relevanz von Themen im Internet abzubilden (und ich meine hier nur die quantitative Relevanz, von der qualitativen will ich gar nicht erst reden).
5. Das Internet nicht überschätzen: Um Aufmerksamkeit für „unsere“ Themen zu generieren, brauchen wir die „Netzgemeinde“ nicht. Wichtiger ist es, über das Netz hinaus zu wirken, so wie es zum Beispiel bei #Aufschrei gelungen ist. Die Aktion ist ja gestern mit dem Grimmepreis ausgezeichnet worden, während der männliche Teil der Netzgemeinde das Thema damals eher verschlafen hat und die Relevanz des Hashtags zunächst nicht erkannte. Von daher: Es ist ziemlich egal, ob wir Traffic von Rivva und Co. bekommen, ich behaupte, wie können ihn von anderswoher genauso, wenn nicht besser bekommen. Rund um das Internet herum gibt es nämlich noch jede Menge Neuland zu entdecken, das voller Menschen ist, die wir für unsere eigenen Netz-Themen begeistern können.
PS: Mich würde trotzdem mal das Ausmaß der Milieuverengung bei Rivva interessieren. Vielleicht liege ich mit meinen Vermutungen hier ja auch total schief. Aber das müsste sich doch relativ einfach berechnen lassen, indem man die Anzahl der Verweise (also letztlich das Rivva-Ranking selbst) in Relation setzt zur Anzahl der Klicks, die durch das Rivva-Posting generiert werden.
PPS: Zusätzlich könnte man eine Liste machen, wo die verschiedenen bei Rivva verlinkten Seiten im Spektrum angeordnet sind: Auf der einen Seite die mit sehr gutem Verweis/Klick-Verhältnis (also Artikel, die im Verhältnis zu ihrem Ranking bei Rivva sehr häufig geklickt wurden) und auf der anderen Seite die mit sehr niedrigem Verweis/Klick-Verhältnis (zu denen dann halt mein Dicksein-Blogpost gehören würde). Es wäre sicher spannend zu sehen, welche Auffälligkeiten und Themenverläufe sich dabei zeigen würden.
PPPS: Auch interessant zu wissen wäre, welchen Erfolg bestimmte Maßnahmen männlicher Blogger hatten, das Aufmerksamkeit-Ungleichgewicht abzumildern, wie zum Beispiel die 50-Prozent-Blogroll-Quote von Sascha Lobo. Bringt das den dort verlinkten Frauen auch tatsächlich mehr Aufmerksamkeit – und wie viel im Verhältnis zu den dort verlinkten Männern?
Bevor mir die Ps ausgehen, höre ich jetzt lieber mal auf 🙂

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