
Oft schreibe ich hier im Blog ja eher theoretisch, und in letzter Zeit oft über mein Unbehagen an der Art und Weise, wie politischer Diskurs abläuft, oder aber über die Sackgasse, in die es führt, wenn „Arbeit“ auf individuelle Erwerbsarbeit verkürzt wird. Nun gibt es ein aktuelles Beispiel dafür, das das auf so traurige Weise anschaulich macht: Das gescheiterte „Kofferträger-Projekt“ von Schwäbisch-Gmünd.
Hier gab es ein konkretes Problem, nämlich dass der Bahnhof umgebaut wird und Menschen ihre Koffer über eine provisorische Brücke schleppen müssen, was für viele beschwerlich und für manche unmöglich ist. Es kam die Idee auf, dass Asylbewerber, die dort in einer Sammelunterkunft leben, die Koffer tragen könnten, gegen ein kleines Entgelt von gut einem Euro pro Stunde – mehr dürfen Asylbewerber laut Gesetz nicht verdienen.
Stadt und Bahn fanden die Idee ebenso gut wie einige der Flüchtlinge: Der Oberbürgermeister sah darin einen Schritt zur Integration, die Bahn einen billigen Service für ihre Fahrgäste, und für einen Asylbewerber macht es durchaus einen Unterschied, acht Euro am Tag zu haben oder nicht zu haben, zumal wohl auch noch Trinkgeld dazu gekommen wäre.
Dass das ganze Konstrukt problematisch sein könnte, an koloniale Bilder vom „Kofferträger“ erinnert und Ausbeutung einer konkreten Notlage bedeutet, schien im Vorfeld niemand bemerkt zu haben, bis sich über soziale Netzwerke eine Flut an Kritik und Protesten über die Aktion entlud. Nun ist sie eingestellt.
Hätte es denn wirklich keine Lösung gegeben? Hat denn überhaupt jemand eine Lösung gesucht? Nein, so zumindest mein Eindruck, stattdessen riefen alle nur: Das geht nicht!
„Das geht nicht, dass wir den Flüchtlingen mehr als einen Euro bezahlen, denn per Gesetz dürfen sie nicht mehr verdienen!“ riefen die einen. „Das geht nicht, dass wir Flüchtlinge für einen Euro schuften lassen, das ist Rassismus!“ riefen die anderen.
Und damit war die Patt-Situation hergestellt. Niemand kam offenbar auf die Idee, dass man vielleicht eine andere Sichtweise auf das Thema „Koffertragen“ finden könnte als das der individuellen Erwerbsarbeit. Wenn es so ist, dass die Bahn „eigentlich“ bereit gewesen wäre, für diese Tätigkeit Tariflohn zu zahlen, wenn es aber andererseits aufgrund der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht möglich ist, einzelnen Asylbewerbern mehr als einen Euro auszuzahlen – hätte man nicht etwas kreativer sein können?
Wie wäre es zum Beispiel, zu sagen: Die Flüchtlinge verdienen zwar Tariflohn, bekommen aber individuell nur den vorgeschriebenen einen Euro ausgezahlt, und der Rest des Geldes geht in einen Fonds, der der Ausstattung der Sammelunterkunft zugute kommt? Das ist nur so eine spontane Idee (die nicht von mir ist, sondern von einem Freund, mit dem ich darüber gesprochen habe). Vielleicht hätte es noch andere Lösungen gegeben.
Mein Punkt ist, dass das Scheitern dieses Projektes, wie so oft, daran liegt, dass beide Seiten offenbar mehr Wert darauf legen, „Recht zu haben“, als darauf, eine gangbare Lösung zu finden. Und dass dieses Lösungfinden eben daran scheitert, dass allgemeine Prinzipien auf eine konkrete Situation angewandt werden, anstatt von einer konkreten Situation ausgehend Verfahrensweisen zu suchen, die gleichzeitig praktikabel wie auch symbolisch akzeptabel sind.
Vordergründig stehen sich hier zwei Positionen gegenüber: Die Prinzipienreiter und die Pragmatiker. Aber das ist wieder mal ein falscher Dualismus, der direkt in eine politische Sackgasse führt. Vielmehr ist es so, dass ein Prinzip, das auf die Realität nicht passt, ungeeignet ist, diese Realität zu beschreiben. Und ein Pragmatismus, der symbolisch falsche Bilder bedient, nützt auch in der Realität nichts, sondern richtet Schaden an.
Worauf es ankommt ist, die konkrete Situation ernst zu nehmen, sich also nicht mit einem Ausgang zufrieden zu geben, der konkret den Beteiligten mehr schadet als nutzt – so wie es jetzt für die betroffenen Flüchtlinge der Fall ist. Aber nicht, indem prinzipielle Einwände mit dem Pragmatismusargument abgeschmettert werden, sondern indem die Prinzipien entsprechend überdacht und verändert werden.
In diesem Fall war es das Prinzip „Jede Arbeit muss unter dem Aspekt individueller Erwerbsarbeit betrachtet werden“, das den Blick für ein kreatives Weiterdenken verstellt hat, und zwar auf beiden Seiten.
So schade.
Update: Vielleicht geht es in Schwäbisch Gmünd weiter, der OB hatte offenbar eine ähnlich Idee 🙂

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