Vor viereinhalb Jahren schrieb ich zum ersten Mal über die Piratenpartei und äußerte die Hoffnung, dass trotz allem Feministinnen eine Weile mit ihnen segeln könnten. Vor vier Jahren äußerte ich mich bereits skeptischer, weil ich den Eindruck hatte, dass es der Partei nicht gelingt, Frauen für sich zu interessieren, beziehungsweise ein Ort zu sein für interessierte Frauen, die sich nicht der Parteiraison unterordnen, und ich schrieb: „Gelingt ihnen das nicht, dann bleiben die Piraten ein gesellschaftliches Randphänomen, das mich ungefähr so sehr interessieren muss wie Formel Eins-Rennen.“
Jetzt sieht es so aus, als ob sich die Piratenpartei ganz zerlegt hat und tatsächlich wieder in genau dieser Bedeutungslosigkeit versinkt, was ich schade finde. Als Politikwissenschaftlerin interessiert mich aber, woran es liegt.
Ein wesentlicher Punkt scheint mir zu sein, dass viele in der Piratenpartei Macht und Politik verwechselt haben, beziehungsweise Macht als Ersatz für Politik verstanden haben. Und dass sich deshalb in ihrem Scheitern auch die Krise einer mit zu viel Männlichkeit aufgeladenen Parteienpolitik zeigt (was nicht dasselbe ist wie „zu viele Männer“, aber natürlich damit zusammenhängt), die auch symptomatisch für andere Parteien ist. Nur dass die – vermutlich durch ihre mehr oder weniger quotenbasierten Gegenstrategien – diesem Prozess nicht mit voller Härte ausgeliefert sind.
Unter „Macht“ verstehe ich hier eine Praxis, die eigenen inhaltlichen Anliegen durchzuboxen, indem man auf formale Möglichkeiten und Rechte zurückgreift und es darüber vernachlässigt, sich mit den Anliegen von politischen Gegner_innen und derem Begehren wirklich inhaltlich auseinanderzusetzen. Die Abschaltung der Diskussions-Infrastruktur war dafür ein Beispiel, aber ebenso Rücktritte aus taktischen Gründen, mit denen etwas erzwungen werden soll (so beschreibt es jedenfalls Elke Wittich), oder die Verkomplizierung von Entscheidungsprozessen durch Geschäftsordnungstricks und überhaupt jedes formale Bestehen auf „Das ist mein gutes Recht!“.
Formale Strukturen auszunutzen ohne auf den konkreten inhaltlichen Sinn der jeweiligen Situation zu achten, ist eine Vorgehensweise, die Männer deutlich häufiger wählen als Frauen. Mein Lieblingsbeispiel dafür sind jene elf Männer von den Grünen, die sich bei der Urwahl als Kandidaten aufstellten, um die Partei in den Bundestagswahlkampf zu führen. Der Sinn der Wahl war ja gewesen, aus vier chancenreichen Kandidat_innen zwei zu bestimmen, aber formal hatte jedes Parteimitglied „das gute Recht“, anzutreten. Dass gleich mehrere Männer auf diese Idee kamen, aber keine einzige Frau, ist kein Zufall.
Mit Macht müssen wir uns alle auseinandersetzen, aber auf Männer übt sie eine deutlich größere Faszination aus als auf Frauen. Seit ich Feministin bin, wird jedenfalls unter Frauen über den schwierigen Umgang mit Macht diskutiert. Die einen sind skeptischer und wollen sich von der Macht tendenziell fernhalten, die anderen sind enthusiastischer und fordern dazu auf, sich für sie zu erwärmen. Aber dass Macht nicht einfach etwas Unproblematisches ist, weil ihr Einsatz das Potenzial hat, Beziehungen zu zerstören und weil die Macht dazu neigt, das Feld der politischen Debatte zu verminen, ist allen Frauen, die ich kenne, bewusst. Oder, wie es kürzlich eine Mitdiskutantin ausdrückte, nachdem sie an uns andere Feministinnen einen flammenden Appell für mehr strategisches Vorgehen in Punkto Netzpolitik gehalten hatte: „Wir müssen einfach überlegen, wie wir es hinkriegen, dass auch wir diese Meinungsmacht haben – iiiih, das hört sich schrecklich an, ich weiß.“
Ich habe den Eindruck, für viele Männer hört sich das nicht schrecklich an. Wenn man sich anschaut, wie strategisch zum Beispiel die Maskus Diskussionforen „bespielen“, dann scheint diese Art des „Sich Einbringens“ manchen von ihnen sogar tatsächlich Spaß zu machen. Auch sonst habe ich es in politischen Gremien schon oft beobachtet, dass viele Männer Spaß daran haben, formale Regelungen trickreich auszunutzen und alles zu tun, „was in ihrer Macht steht“, um an ihr Ziel zu kommen, egal was die anderen wollen.
Das Schicksal der Piratenpartei ist meiner Ansicht aber ein Indiz dafür, dass diese Haltung zerstörerisch ist (und zwar auch dem eigenen Anliegen gegenüber), wenn sie kein Korrektiv hat – ein Korrektiv, das in anderen Parteien möglicherweise durch einen halbwegs erklecklichen Frauenanteil mehr oder weniger automatisch gegeben ist. Was sie tun ist auch nicht mein Ideal von Politik, aber immerhin sind sie dadurch nicht völlig handlungsunfähig.
Aber wie haben es die Parteien eigentlich früher gemacht, vor einigen Jahrzehnten, als sie allesamt noch männerdominiert waren? Ich glaube, damals hatten sie noch ein Korrektiv, und das hieß „patriarchale Autorität“. Macht allein kann keine politischen Prozesse moderieren, es braucht noch etwas anderes, und das waren früher „die großen Männer“, die Adenauers, Wehners, Brandts, Kohls, Fischers. Sie alle hatten nämlich nicht einfach nur Macht, sie hatten auch Autorität, auf sie hörten viele, und sie hatten es deshalb oft gar nicht nötig, auf ihre Macht zu pochen.
Wer von euch die Serie „Jericho“ guckt: Da ist dieser Mechanismus schön am Beispiel des Ex-Bürgermeisters Green dargestellt, der auch nach seiner Abwahl weiterhin ganz offensichtlich Autorität genießt, während sie seinem Nachfolger Gray vollkommen abgeht, der deshalb ständig auf seine Macht („Ich bin hier der Bürgermeister!“) pochen muss.
Die Autorität des patriarchalen „Vaters“ hat die destruktiven Aspekte der Macht eingehegt und konnte so Räume schaffen, in denen Politik möglich war. Jetzt, im postpatriarchalen Durcheinander, ist diese patriarchale Autorität aber in Frage gestellt, nicht nur durch die Frauen, sondern eigentlich mehr noch durch die „Söhne“, die alles anders machen wollen. Sie haben den Vater („die etablierten Parteien“) vom Thron gestürzt und träumen den Traum einer gewissermaßen technokratischen Kultur von „Gleichen“, von „Brüdern“, die sich allein auf Techniken und Regeln stützen.
Aber das funktioniert eben nicht.
Was also tun? Ich denke, der Weg müsste sein, dass wir uns parteipolitische (oder generell: institutionenpolitische) Prozesse unter der Fragestellung genauer anschauen, wie Macht und Politik dabei zusammenhängen. Dass es nötig ist, eine andere, nicht-patriarchale Art von „Autorität“ ausfindig zu machen und einzuüben, die den vakanten Platz eines Korrektivs technokratischer Macht ausfüllen kann.
Im Feminismus arbeiten wir ja auch schon länger an dem Thema.

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