Bini Adamczak hat für das Missy Magazine aufgeschrieben, worum es bei den derzeitigen Diskussionen um einen dritten Geschlechtseintrag eigentlich geht, bitte alle lesen, weil das Thema wichtig ist.
Auch ich finde, dass es die beste Lösung wäre, den staatlichen Geschlechtseintrag einfach ganz abzuschaffen. Denn auch wenn ich eigentlich immer sehr dafür bin, Geschlechterdifferenzen sichtbar zu machen und zu thematisieren, so finde ich doch nicht, dass eine staatliche Behörde der richtige Ort dafür ist. Denken der Geschlechterdifferenz bedeutet nämlich, immer dann über das Thema zu sprechen, wenn es wichtig ist, und NICHT darüber zu sprechen, wenn es nicht wichtig ist.
Interessant ist Binis Überlegung dazu, warum das Thema „Dritte Geschlechtsoption“ im Feminismus noch nicht mehr Fahrt aufgenommen hat, warum es keine breite Bewegung dafür gibt, und sie nennt in dem Text zwei Gründe: Erstens weil manche vielleicht befürchten, dass sich ohne Erfassung des Geschlechts keine geschlechterbezogenen Diskriminierungen mehr aufzeigen lassen (sie widerlegt das im Text – Forscher*innen dürfen auf diese Daten eh nicht zugreifen), und zweitens, weil die Frauenbewegung zu zerfleddert ist und jede Fraktion ihre eigene Agenda verfolgt.
An beidem ist sicher was dran, ich finde aber, es gibt noch einen dritten Punkt: Und zwar der, dass die queerfeministische Kritik an der „binären Geschlechterordnung“ für viele Menschen nicht einsichtig ist. Genauer: Es widerspricht einfach der alltäglichen Intuition vieler, wenn nicht der allermeisten Menschen, warum es biologisch keine Geschlechter geben soll.
Denn: Der Unterschied zwischen Menschen, die schwanger werden können und denen, die es nicht können, ist einfach real existent. Und für viele Menschen geht die Geschlechterdifferenz darin auf. Die queerfeministische Literatur sagt nun in vielen Varianten, dass Biologie und Geschlecht nicht zusammenhängen. Aber warum nicht, das wird nicht plausibel begründet.
Ich schreibe ja gerade ein Buch über das Schwangerwerdenkönnen und habe daher in den vergangenen Monaten sehr sehr viele Texte darüber gelesen, warum Geschlecht nicht biologisch ist, von Heinz-Jürgen Voß „Geschlecht: Wider die Natürlichkeit“ über Beatriz Preciados „Kontrasexuelles Manifest“ bis zu – jüngstes – Felicia Ewert „Trans. Frau. Sein“. Oder, um einen Link zu streuen: Diesen Text von Anne Fausto-Sterling.
Ich habe versucht, zu verstehen, wie diese Autor*innen begründen, dass es biologisch gesehen keine binäre Differenz zwischen Menschen gäbe. Sie tun es in der Regel, indem sie nicht über das Schwangerwerdenkönnen sprechen, sondern über Chromosomen, Genitalien, Hormone. Und da ist es leicht: Chromosome, Genitalien und Hormone sind nicht so beschaffen, dass sie klar zwischen zwei Geschlechtern unterscheiden lassen, sondern es gibt eine große Vielfalt und viele Graustufen.
Nur: Geschlechts-Merkmale sind halt nicht das Geschlecht selbst. Dass die Merkmale, die einen Hinweis darauf geben, ob ein Mensch schwanger werden kann oder nicht, nicht eindeutig sind und manchmal irreführend, bedeutet nicht, dass es deshalb auch die Differenz als solche nicht gäbe. Es beweist also genau gar nichts, wenn man auf die Uneindeutigkeit von Geschlechts-Merkmalen hinweist.
Was mir auch aufgefallen ist: Es ist in dieser Literatur häufig von einer „angeblichen“ Gebärfähigkeit die Rede – aber was soll das sein? Gebärfähigkeit ist tatsächlich vorhanden, nicht angeblich (man weiß es normalerweise bloß vorher nicht mit 100-prozentiger Sicherheit, sondern erst im Nachhinein).
Nicht einsichtig finde ich auch die durchgängig verwendete Rede von der „Geschlechtszuweisung“ an Babies, was sich so anhört, als würden die Ärtz*innen willkürlich bestimmen, welches Neugeborene ein Junge und welches ein Mädchen zu sein hat. Aber so ist es ja nicht. Die „Geschlechtszuweisung“ gibt eine Prognose über die zukünftige Rolle dieser Person bei der Reproduktion ab, und die ist nicht willkürlich, sondern ziemlich zuverlässig: 97 Prozent aller „Afab“ Personen, also derjenigen, die bei Geburt „weiblich“ genannt werden, können tatsächlich später einmal schwanger werden, und praktisch 100 Prozent aller als „männlich“ benannten Personen können es nicht. Es gibt also in der Tat eine hohe Korrelation zwischen Biologie und traditioneller Geschlechtsbezeichnung – und das ist eben der Grund, warum dieses Verfahren auch Plausibilität hat.
Keine Frage: Diese Zuweisung ist übergriffig, wenn intersexuelle Personen nicht als solche akzeptiert werden, und rundheraus Körperverletzung ist es, wenn diese Personen zwangsoperiert werden, um in ein vorgegebenes Geschlechterschema passen. Und diese Zuweisung ist falsch bei trans Personen, und es müssen viele Gesetzte verändert und Verfahren verbessert werden, um diesen Personen geschlechtliche Selbstbestimmung zu ermöglichen. Aber das ist für sich genommen kein prinzipieller Einwand gegen das Verfahren.
Ich habe zwischendurch auch nochmal Judith Butlers „Unbehagen der Geschlechter“ gelesen, denn sie wird ja immer damit zitiert, dass sie gezeigt hätte, dass die Unterscheidung von „Sex“ (als „biologisches Geschlecht“) und „Gender“ (als „sozial konstruiertes Geschlecht“) sinnlos wäre, weil auch das biologische Geschlecht sozial konstruiert sei.
In verkürzter Form wird dann oft behauptet, Judith Butler habe gezeigt, dass es kein biologisches Geschlecht gebe. Das ist es aber nicht, was Butler sagt. Sie sagt lediglich, dass es uns nicht möglich ist, anders als in Form von sozialen Konstruktionen über das biologische Geschlecht zu sprechen. Da wir Menschen immer im Rahmen von symbolischen Ordnungen kommunizieren, haben wir keinen direkten Zugriff auf natürliche, biologische Phänomene, sondern wir können uns nur mithilfe von Sprache über sie verständigen, und damit eben ist alles, was wir sagen, immer schon kulturell überformt.
Das ist natürlich so wahr, wie es letztlich auch banal ist. Ja, alles was wir über Geschlecht sagen, ist soziale Konstruktion, die Natur gibt uns diesbezüglich nichts vor. Das gilt aber nicht nur für binäre Geschlechterordnungen, die die menschliche Vorstellung von Geschlecht an die Differenz zwischen Menschen bezüglich ihrer Rolle im Reproduktionsprozess koppeln. Es gilt genauso für den Vorschlag, nicht-binäre Geschlechterordnungen einzuführen, die die menschliche Vorstellung von Geschlecht von der Reproduktion vollständig lösen. Eines ist so gut möglich wie das andere, nichts davon ist uns von der Natur vorgegeben.
Von daher: Ja, es ist sicher möglich, Geschlecht von der Biologie komplett zu lösen. Aber warum sollten wir das tun? Zumal die Differenz zwischen Menschen hinsichtlich der Reproduktion sehr real und offensichlich ist und – gerade angesichts von Reproduktionstechnologie, §219a-Debatten, Leihmutterschaft etc. großen Diskussionsbedarf generiert? Und zumal ja offensichtlich ist, dass diese Themen klar mit der Geschlechterdifferenz zusammenhängen?
Früher kursierte der Spruch: „Wenn Männer schwanger werden könnten, wäre Abtreibung ein Sakrament“. Der Spruch stimmt immer noch. Obwohl Männer schwanger werden können.
Ich bin dankbar für weitere Literaturhinweise. Die Bücher „Nicht nur Mütter waren schwanger“ von Alisa Tretau und „Kampfzone Gender“ von Jasmin Siri liegen schon auf dem Stapel.

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