Nele Pollatschek hat im Tagesspiegel einen Artikel geschrieben mit dem Titel „Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer“. Darin weist sie auf den Umstand hin, dass durch sprachliche Verwendung von weiblichen und männlichen Formen (statt des generischen Maskulinums) das Geschlecht von Personen eine größere Bedeutung annimmt, weil man ständig darauf hingewiesen wird, und stellt deshalb die These auf, dass inklusive Sprache die Diskriminierung von Frauen erhöhe und nicht bekämpfe (Ich finde das Wort Gendern falsch, weil auch das generische Maskulinum eine gegenderte Sprache ist).
Anatol Stepanowitsch hat aus linguistischer Sicht bereits einige Gegenargumente hier gesammelt.
Mir ist aber etwas anderes wichtig. Und zwar die Erinnerung daran, dass Pollatscheks Argumentation nicht neu ist, sondern in den 1990ern innerhalb des Feminismus stark diskutiert wurde, vor allem auch in Auseinandersetzung zwischen Feministinnen aus BRD und DDR, da in der DDR genau jenes „Frauen mitmeinende Maskulinum“ üblich war, das Pollatschek nun in Großbritannien auch wiedergefunden hat. Zu sagen „Ich bin Ingenieur“ war für Frauen in der DDR ganz üblich, und selbstverständlich hat dieses sprachliche „Mitgemeintsein“ genau das Potenzial zu Gleichstellung, das Pollatschek in ihrem Artikel beschreibt (mit den Einschränkungen, auf die Stepanowitsch hinweist).
Aber: Genau das, nämlich Gleichstellung und Aufhebung von Diskriminierung, war eben nicht das (alleinige) Anliegen des Feminismus in den 1980er und 1990er Jahren. Ich kann mich zum Beispiel an eine Diskussion erinnern, wo Feministinnen vehement einen Redner geschimpft haben, der geschlechtsneutrale Formen (wie: Studierende) verwendet hat, weil dies ebenso wie das generische Maskulinum eben die Geschlechterdifferenz unsichtbar machen würde.
Feminismus, hat Luisa Muraro einmal gesagt, ist nicht eine Bewegung von unterdrückten Frauen, die für ihre Emanzipation kämpfen, sondern eine Bewegung von emanzipierten Frauen, die um ihre Freiheit kämpfen. Feminismus ist eine Folge der Emanzipation, nicht ihre Voraussetzung.
Emanzipierte Frauen geben sich nicht mehr damit zufrieden, mit den Männern gleichgestellt zu sein und in ihren Bezeichnungen, Systemen und Gesetzen mitgemeint und zugelassen zus ein. Sondern sie wollen darüber hinaus mit ihren eigenen Wünschen und Projekten und Anliegen sichtbar und anerkannt sein, auch dann, wenn sie sich möglicherweise von den althergebrachten der Männer unterscheiden.
Deshalb „Differenzfeminismus“. Nicht, wie man ihn denunziert hat, um irgendwelche angeblich biologischen oder ontologischen Unterschiede zwischen Geschlechtern zu zementieren. Sondern um sichtbar zu machen, dass die patriarchale, auf Männer zugeschnittene Welt und symbolische Ordnung, von der Frauen sich emanzipiert hatten, nicht die beste und idealste aller Welten ist weshalb wir es gar nicht erwarten können, endlich auch dabei sein zu dürfen. Sondern weil es darum geht, eine andere Welt zu bauen, in der die Wünsche, Ansichten und Ideen aller Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Pluralität einen Platz haben. Insofern geht es bei der sprachlichen Differenzierung nicht nur um die Sichtbarkeit des Weiblichen, sondern auch um die Markierung des Männlichen als Partikulares.
Dabei gibt es offensichtliche Parallelen und damit eben auch Koalitionen und gemeinsame Anliegen zwischen Feminismus und Antirassismus beziehungsweise Postkolonialismus und anderen Bewegungen, die heute unter dem Label der „Identitätspolitik“ ebenso denunziert werden, weil sie Wert darauf legen, in ihrer Differenz zum Althergebrachten sichtbar zu sein und nicht einfach mitgemeint. Auch hier geht es darum, nicht nur die eigene Gleichheit zu behaupten, sondern eine Kultur zu hinterfragen und zu dekonstruieren, in der Herrschaft darüber ausgeübt wurde, dass eine bestimmte Gruppe von sich selbst behauptete, das Allgemeine zu sein und damit für Andere sprechen zu können.
Diese Dekonstruktion gelingt aber nicht, wenn wir dafür keine Sprache haben. (Gerade die Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dafür im Übrigen ein gutes Beispiel.)
Wenn gendergerechte Sprache die Diskriminierung erhöht oder nicht zu ihrer Beseitigung beiträgt oder sie zum »Nebenwiderspruch« degradiert, ist es dann nicht sinnvoller, auf die Sichtbarkeit zu verzichten zugunsten des Kampfes gegen die Diskriminierung? Und Partikularisierung sichtbar machen halte ich für die ohnehin aus immer kleineren, gegnerischen Gruppierungen bestehende Gesellschaft schädlich, zumindest wenn es einer/em um das Streben und Wirklichwerden von Einheit geht.
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Da auch auf Rassismus hingewiesen wird – sollten PoC auch in jeder Diskussion, egal welchen Inhalts, als PoC angesprochen / benannt werden? Also zum Beispiel eine Podiumsdiskussion zum Thema Architektur. Die Architektin wird als Architektin angesprochen, der Architekt als Architekt. Aus oben genannten Gründen. Nun sitzt aber auch ein dunkelhäutiger Architekt auf dem Podium. Soll der auch stets (irgendwie) als „dunkelhäutiger Architekt“ angesprochen und benannt werden? „Was denken Sie als dunkelhäutiger Architekt über Stahlbeton?“
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@Marela – darauf ist ja Anatol Stefanowitsch in dem verlinkten Thread hingewiesen, dass dieser Vergleich etwas hinkt, weil die Differenzierung nach Geschlecht in der Sprache angelegt ist, jedoch nicht die Differenzierung nach anderen Merkmalen. Allerdings gibt es auch in diesen anderen Themenbereichen Versuche der Sichtbarmachung, zum Beispiel wenn Nelson Mandela absichtlich nicht im schwarzen Anzug, sondern im buntgemusterten Hemd zu offiziellen Terminen ging. Die Sichtbarmachtung von Differenz ist ja ein politischer Akt, der kann sich auf viele verschiedene Weisen vollziehen, und Sprache ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Der Punkt ist, dass Nele Pollatschek in ihrem Text die Unsichtbarmachung von Differenz als vielversprechende Strategie vorgeschlagen hat.
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@Jörg Peter – Nein, für mich nicht, weil ich nicht Diskriminierung für das hauptsächliche Problem halte, das der weiblichen Freiheit entgegen steht. Ich halte die Einverleibung der weiblichen (und anderer) Differenzen in eine historisch und strukturelle behauptete „universale Männlichkeit“ für das größere Problem. Deshalb die andere Strategie .
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@Antje – der Punkt ist doch, so wie ein dunkelhäutiger Architekt nicht stets als dunkelhäutiger Architekt angesprochen werden will (wenn er bspw. nach seiner Meinung über Stahlbeton gefragt wird), will vielleicht auch nicht jede Frau bei egal welchem Thema >als Frau< angesprochen werden. Auf Differenz hinweisen mag in vielen Fällen politisch wünschenswert sein, aber manchmal auch durchaus nicht. Und diese Differenzierung sollte m.E. sprachlich ermöglicht werden.
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Vielen Dank für die wieder einmal sehr anregenden Überlegungen.
An anderer Stelle* hatten Sie die Idee von Heinz-Jürgen Voß, Homosexualität zu „verlernen“ begrüßt. Läuft diese Idee aber nicht auf genau die Unsichtbarmachung und Differenzleugnung hinaus, die Sie bezüglich der Frauen hier – meiner Meinung nach zu Recht! – kritisieren?
Leider waren Sie damals nicht auf entsprechend kritische Kommentare eingegangen, deshalb würde ich hier gern noch einmal nachfragen: Was genau unterscheidet denn das Sichtbarkeitsbedürfnis von Frauen und das von Schwulen und Lesben? Oder habe ich die Idee des „Homosexualität Verlernens“ nur anders verstanden als Sie?
*) https://antjeschrupp.com/2016/11/26/homosexualitaet-verlernen-gute-idee/
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Ja, aber dann müssen wir das generische Maskulinum abschaffen und stattdessen eine zwischen neutraler und männlicher Bezeichnung differenzieren. Luise Pusch hat dazu Vorschläge gemacht. Ich hatte darüber auch in einem der verlinkten Artikel geschrieben – also man bräuchte etwa eine neutrale Form – Schüler – eine weibliche – Schülerin – und eine männliche – Schülerich. Lies mal meine Argumentation hinter dem Link: Das Problem ist, dass die derzeitige Sprache Männliches unsichtbar macht beziehungsweise das Neutrale vom Männlichen okkupiert wird. Das wäre auch meine favorisierte Lösung. https://antjeschrupp.com/2018/03/14/sprache-es-geht-nicht-um-das-mitgemeintsein-von-frauen/
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@fink – Ja, die Problematik ist dabei so ähnlich. Letztlich gibt es auf diese Fragen keine „richtigen“ Antworten, sondern es ist immer eine der Prioritätensetzung. Man muss entscheiden, welche von zwei unguten Möglichkeiten jetzt die weniger ungute ist. Das Verlernen von Homosexualität darf natürlich nicht bedeuten, dass wieder Hetero-Normativität eintritt. Sondern es müsste in der Praxis mit einer permanenten Dekonstruktion der Hetero-Normativität einhergehen. Ebenso wäre der Vorschlag, das generische Maskulinum auch für weibliche Formen zu übernehmen, nur gangbar, wenn man gleichzeitig permanent den Universalanspruch des Männlichen dekonstruiert. Das erscheint mir aber ganz und gar unmöglich, weil selbst mit all den weiblichen Formen udn weibicher Sichtbarkeit wir diesen Universalanspruch des Männlichen noch kaum angekratzt haben. Und: Die Verwendung des generischen Maskulinums – also letzlich der „unsichtbarmachende“ Vorschlag – ist ja in unserer Kultur gang und gäbe, es ist nicht etwas Besonderes und Unübliches, das heißt wir alle haben diese Handlungsmöglichkeit jederzeit zur Verfügung, das heißt, wir entscheiden uns permanent, so oder so zu sprechen oder nicht. Bei der Unsichtbarmachung von Homosexualität ist das anders, meiner ANsicht nach. Dass die Kategorie Homo/Heterosexualität als Kategorie abgeschafft werden könnte ist nicht eine allgemein verfügbare politische Handlungsoption, ja viele kämen gar nicht auf die Idee, dass das möglich sein könnte. Insofern war es mir wichtig, diese Idee stark zu machen: Gerade damit man in einer konkreten Situation entscheiden kann, wie man handeln will.
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Danke für die schnelle Antwort!
Es geht in beiden Fällen um Dilemmata, bei denen man immer den einen oder anderen Preis zahlen muss, das sehe ich auch so.
„Das Verlernen von Homosexualität darf natürlich nicht bedeuten, dass wieder Hetero-Normativität eintritt. Sondern es müsste in der Praxis mit einer permanenten Dekonstruktion der Hetero-Normativität einhergehen.“
Okay, auch da stimme ich zu (mit einer leicht hochzuckenden Braue beim Wort „wieder“). Meiner Ansicht nach ist es dann aber ziemlich problematisch und mindestens missverständlich, ausgerechnet davon zu reden, _Homosexualität_ zu „verlernen“, wenn es doch eher darum gehen soll, _Heteronormativität_ zu bekämpfen. Verstehen Sie ein bisschen, weshalb ich bei der ersten Formulierung das ungute Gefühl bekomme, meine politische Positionierung als „schwul“ solle delegitimiert werden, während die Heteronorm gleichzeitig (zumindest dem expliziten Wortlaut nach) unhinterfragt bleibt? Ich unterstelle nicht, dass Sie das so meinen, mich hatte nur damals sehr gewundert, weshalb Sie sich dieser in meinen Augen extrem unglücklichen Formulierung so ausdrücklich anschließen.
„Die Verwendung des generischen Maskulinums – also letzlich der “unsichtbarmachende” Vorschlag – ist ja in unserer Kultur gang und gäbe“
Auch heteronormatives Sprechen ist gang und gäbe. Aber wenn ich es richtig lese, sehen die den entscheidenden Unterscheid zwischen der Unsichtbarmachung des Schwul-/Lesbischseins einerseits und des Frauseins andererseits darin, dass sich das eine „nur“ inhaltlich und das andere zusätzlich auch rein sprachformal im täglichen Sprachgebrauch ausdrückt. Dem würde ich zustimmen.
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@Antje Das Beispiel mit „Schüler“ ist prima! Ich fände es erst mal wichtig, dass es eine neutrale Form gibt. Ob man dann zur Sichtbarmachung auch noch die „Schülerin“ und den „Schülerich“ (hihi) dazunimmt, wäre danach zu diskutieren. Da sehe ich aber das Problem, dass dann auch andere Gruppen mit irgendeiner eigenen Endung sichtbar gemacht werden wollen – man öffnet ein Fass ohne Boden.
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(Ich finde das Wort Gendern falsch, weil auch das generische Maskulinum eine gegenderte Sprache ist).
Äh nein, im sogenannten „generischen Maskulinum“ spielt das Geschlecht schlicht nicht die geringste Rolle, weder betont es das Männliche noch werden Frauen ausgeschlossen. In „Die Studenten demonstrierten gegen die Studiengebühren“ ist allein der Status als Student gemeint und das Geschlecht (männlich, weiblich, inter/transsexuell) vollkommen irrelevant. Dieses Missverständnis geht darauf zurück, dass es eine exklusiv weibliche Form gibt (-in, -innen). Gäbe es diese Form nicht, wäre das sogenannte „Maskulinum“ auch nie in den Verdacht geraten, ein Maskulinum zu sein. Wenn es die Form „Studentin“ nicht gäbe, das Wörtchen „Student“ würde als geschlechtsneutral und nicht als männlich angesehen werden. Eine männlich exklusive Form gibt es nicht, weshalb man ein Adjektiv bemühen muss, will man verdeutlichen, dass ausschließlich Männer gemeint sind: „Den männlichen Studenten ist der Zutritt zur Frauenbibliothek verboten“.
Besser und kompetenter wird dieser Irrtum über das sogenannte generische „Maskulinum“ erklärt in „Deutsch für Dichter und Denker: Unsere Muttersprache in neuem Licht“ von Daniel Scholten, dem man mit jedem Absatz anmerkt, dass er Sprachen liebt (im Gegensatz zu manchen Linguistinnen, die das Deutsche als vergewaltigende Männersprache ablehnen, und demnach auch keine Hemmungen haben, es zu verschandeln).
Wenn es jetzt nicht die exklusiv weibliche Form gäbe, was sagt das dann aus über den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen, Sprache und Denken? Es bedeutet, dass das Denken nicht über die Sprache festgelegt wird sondern über die Realität. Auch im Englischen, welches kein Femininum und Maskulinum kennt, wird man eher an männliche Ingenieure denken als an weibliche – weil es der Realität entspricht. Oder auch: Mein Hausarzt war solange ich denken kann eine Ärztin, entsprechende denke ich bei „Ärzten“ auch an Frauen. Nebenbei interessant, wie das Orwell wohl kommentieren würde, dass Feministen mit Neusprech das richtige Denken durchsetzen wollen.
Das ist schon ironisch: Die Femnistin belegt GenderStudies statt Verfahrenstechnik, um sich dann darüber zu beschweren, dass es a) sowenig Ingenieurinnen gibt, und dass man b) den Ingenieur eher männlich denkt.
Ironisch aber nicht witzig, denn die Plage des Genderns verschandelt das Deutsche und löscht die so elegante wie wichtige Funktion der geschlechtlichen Irrelevanz aus – dass das Geschlecht schlicht nicht gemeint, irrelevant ist; Gendern bedeutet, überall geschlechtliches Denken zu erzwingen.
Und – es wurde bereits angesprochen – wie lässt sich die Sprache PC-korrekt verschandeln, dass auch PoCs und Aliens mitgemeint sind?
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Genus = Sexus?
Frauen sind bei den sprachlichen Generika genauso „nur mitgemeint“ wie Männer nur mitgemeint sind. Der einzige Unterschied ist, dass es für das weibliche Geschlecht eine explizite eigene Form gibt, während Männer immer nur mitgemeint sind. Warum das so ist, können Linguisten schön erläutern. (Ein gut hörbares Beispiel findet sich unter https://www.belleslettres.eu/content/deklination/genus.php.)
In unserer Sprache herrscht eine gewisse Effizienz, d.h. es gibt keine unnützen Sprachelemente. Wird einem Wort etwas hinzugefügt, so hat das neu entstandene Wort eine auf dem Ausgangspunkt aufbauende Bedeutung. Beispiel: In der Folge Wolke -> wolkig -> Wolkigkeit basiert jedes Wort auf der Bedeutung des Vorgängers: „wolkig“ beschreibt die Eigenschaft einer Wolke, „Wolkigkeit“ bezieht sich auf den Zustand des wolkig-Seins. Dieser Zusammenhang ist die Regel, nicht die Ausnahme.
Wenn also Schüler explizit nur männliche Personen bezeichnen würde, dann wäre das gerade beschriebene Prinzip gebrochen: Schülerin enthält nicht alle Eigenschaften des Ausgangsbegriffs Schüler, sondern unterscheidet sich explizit im biologischen Geschlecht. Das beschriebene Prinzip ist nur dann nicht gebrochen, wenn die Bezeichnung Schüler nicht das Geschlecht festlegt, sondern nur die Funktion ist aber kein biologisches Geschlecht beschreibt.
Die Prämisse, auf der Sie aufbauen, „Genus = Sexus“ ist demnach falsch – bitte fragen Sie neben Herrn Stepanowitsch noch andere Liguisten, gerne auch solche ohne explizit ideologische Prägung und prüfen Sie so meine Argumentation.
Funfact: Es gibt auch generische Feminina, z.B. „die Person“ – werden die als originär weiblichen Geschlechts angesehen und sind bei Personen eigentlich Frauen gemeint und Männer immer nur mitgemeint? Wenn nicht, ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer Ausgangsprämisse?
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@Werlauer @uepsiloniks – rein theoretisch stimmt das, rein praktisch bedeutet es aber, dass aufgrund der Abwesenheit einer männlichen Form das generische Maskulinum auch für diese benutzt wird, was oft nur aus dem Kontext klar wird („Ingenieure haben im Schnitt ein Haus, ein Auto, eine Frau und drei Kinder“). Sprache ist ja eine lebendige Sache, und man kann da schlecht mit Formalia argumentieren. Es gibt dazu ja inzwischen haufenweise Studien, die Zeigen, dass beim generischen Maskulinum die Mehrzahl der Leute an männliche Menschen gibt. Bewerbungen von Frauen auf Stellen sind signifikant höher, wenn die mit einer inklusiven Form ausgeschrieben werden, ein generisches Maskulinum hält Frauen von einer Bewerbung ab. Aber ja, deshalb verweise ich ja am Ende darauf, dass es schön wäre, eine männliche Form einführeh: Lehrer, Lehrerin, Lehrerich. Bevor die aber eingeführt wurde und sich etabliert hat, funktioniert das generische Maskulinum diskriminierend.
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@uepsilonniks – es wäre im Übrigen schön, wenn du andere Perspektiven oder Interpretationen nicht einfach als „falsc“ oder „Irrtum“ qualifizieren würdest. Es ist ja nicht so, dass ich bescheuert bin und nicht WÜSSTE, dass das generische Maskulinum normalerweise so verstanden wird, wie du es beschreibst. Ich bin nur damit nicht einverstanden. Definitiv falsch – im Sinne von falsifizierbar und auch tatsächlich falsifiziert – ist deine Behauptung, Denken würde über „die Realität“ geformt und nicht über Sprache. Denken wird über beides geformt, eine „Realität“ ohne sprachliche Form existiert nicht.
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@Antje Schrupp – man kann durchaus damit nicht einverstanden sein, wie Sprache funktioniert. Das alleine ändert aber erst mal nichts daran, wie Sprache funktioniert. Letzten Endes entwickelt sich Sprache über einen unbewussten Konsens der Sprechenden, und „korrekte“ Sprache definiert sich über die Verwendung durch eine breite Masse. In der Geschichte der Menschheit könnte ich jetzt kein Beispiel aufzeigen, in der es einer kleinen Minderheit gelungen wäre, alleine durch politische Agitation die grundlegenden grammatikalischen Regeln einer Sprache zu verändern. Und der heftige Widerstand gegen das Gendern in der breiten Bevölkerung drückt IMO genau dieses Unbehagen gegen den Versuch aus, eben das zu tun.
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Naja, da wird sich noch herausstellen. Soweit ich sehe, ist das generische Maskulinum als allgemeiner Sprachgebrauch auf dem Rückzug. Ich stimme zu, dass Sprache sich so verändert, wie du beschreibst, aber das verläuft sowohl bewusst wie unbewusst. Vieles verändert sich einfach auch durch Nachahmung. Das dauert zwar ein bisschen, aber die Veränderung ist ja schon real.
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Sprache ist ernsthaft betrachtet stets ein Ergebnis vergangener Beobachtung und Übung im Austausch, nie ein Konstrukt – wenn doch, soll stets Gewachsenes auf vanderen Boden verpflanzt werden, besser: soll mentale GEWALT als Argument in der Sozialität angewandt werden, in der Regel mit Anspruch und Methodik des totalitären Denkens, des Alleinanspruchs statt Gleichberechtigung der Diversität – was kurioserweise durch die Gewaltanwender vorgeblich eigentlich abgeschafft rsp. verhindert werden sollte.
So können auf diese Weise nur untaugliche semantische (vor allem psychologische) Tautologien entstehen, die selbst nach ihrer Konstruktion und gewaltsamen Installation das Gegenteil von dem bewirken, was erhofft war: Zerstörung von gewachsenen Ausdrucksverständnissen als gegebener gemeinsamer Informationsvorrat, von Geschmeidigkeit, Ethik , Lesbarkeit und Schreibbarkerit der Sprache ganz zu schweigen.
Das macht mitnichten etwas „sichtbar“ sondern eröffnet nur überflüssige Nebenschauplätze, die z.B. mit der Genderei nur den Feminismus, welchen auch immer , verunglimpfen und behindern.
Was „sichtbar“ zu machen ist, muss aktiv und argumentativ statt mit schiefer Symbolpolitik „ins Bild“ gesetzt werden, und zwar in das vorhandene, sonst fällt es schlicht hinten heraus, nervt nur und zerstört das eigentlich weit wichtigere Anliegen, indem Abneigung dagegen erzeugt wird.
Die verbummelten Sprachpsychologen, die sich auf diese Weise noch immer versuchen, ernsthaft (selbst) zu verlustigen, muten an wie Sprach-Dauermasturbanten, denen die Orgasmusfähigkeit abhanden kam und die daher immer öfter und immer schneller sich ihre Konstrukte herstellen und bedienen müssen, was in der Gesellschaft mindestens genau so ankommt, wie das, was eigentlich z.B. mit Gendern verhindert werden solltwe, so gedacht war …
Merke:
Alle, aber auch wirklich alle deratrtigen (!) Angriffe auf die Sprache und ihre gewachsene Gebrauchsfähigkeit der Geschichte sind schief gegangen oder haben Totalitarismen produziert, die meist zu gewaltigen Traumata für Generationen führten …,
weil Sprachkorrekturen eben leider weder Denk- noch die viel wichtigeren Beziehungskorrekturen in die Richtung bewirken, die gemeint war, weil kulturell/ sozial weder gewachsen noch verwachsen und daher so ohne Wirkungsbasis
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@Antje Schrupp: Danke für Ihre Einschätzung.
Mal angenommen, die von Ihnen aufgeführten Messungen sind valide. Wäre es dann nicht einfacher gewesen, eine Sprachschulungsinitiative zu starten, als den Versuch, Sprache von oben herab zu verändern? Wäre es nicht einfacher und kostengünstiger, den Frauen, die sich durch die Verwendung des generischen Maskulinums abschrecken lassen, zu erklären, dass ihre Wahrnehmung nicht korrekt ist und alle gemeint sind, dass sie sich ruhig bewerben können?
Stattdessen wird durch die Betonung von Frauen sind nur mitgemeint! mit dem unterschwelligen Signal, sie wären überhaupt nicht gemeint, der von Ihnen erwähnte Effekt seit Jahren institutionell verstärkt. Und das, obwohl die Ungerechtigkeit eher zu Lasten der Männer geht (weil die ja immer nur mitgemeint sind). Dadurch werden die Sprachkonstrukte immer komplexer (z.B. Bürger*innenmeister*innen oder neu Bürger:innenmeister:innen). Der Nutzen dieser ganzen Entwicklung scheint mir aber kaum in einer Wahrnehmungsverschiebung zu liegen (wenn wir Länder mit Sprachen ohne Genus betrachten, dann ist die Situation dort nicht anders als bei uns). Messbare Nutznieser sind aber die Personen, die Funktionärsstellen besetzen, die das Fortführen des eingeschlagenen Weges überwachen und unterstützen. So verstärkt sich der in den Studien gemessene Effekt immer mehr, weil die Kenntnis über die eigentliche Bedeutung des Genus immer weiter zurückgedrängt wird. Das führt vermutlich tatsächlich zu einer Veränderung der Sprache. Allerdings zu unglaublich hohen Kosten und zu Lasten der sprachlichen Leistungsfähigkeit und damit – das sind wir wieder bei Sprache und deren Einfluss auf die Realität – auch der Leistungsfähigkeit des Denkens ihrer Anwender (der Tank des Wagens bleibt gleich groß, aber der Motor verbraucht mehr Sprit pro 100 km, also sinkt die Reichweite).
Verzeihen Sie also, wenn ich Ihrer Argumentation nicht folge und den Komplexitätszuwachs den wir gegenwärtig erleben, nach wie vor unnötig finde, weil das Problem (Genus=Sexus bzw. das exklusive „Nur-mitgemeint-Sein“), das als Ausgangspunkt postuliert wurde, gar nicht bestand.
Noch ein Funfact: Genau Ihren Vorschlag [Einführung einer explizit männlichen Wortform] hat vor drei Jahren schon der Postillion gebracht.
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Hallo Frau Schrupp,
andere haben, wie ich finde, treffend geantwortet. Ob das generische Maskulinum auf dem Rückzug ist, weiß ich nicht. Ihre Beobachtung könnte aber auf den Fehler beruhen, die veröffentlichte Meinung mit der öffentlichen zu verwechseln. Nur weil Verwaltungen und Massenmedien Neusprech anwenden, heißt das nicht, dass das von der Bevölkerung akzeptiert oder gar praktiziert wird.
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