Ist es ein Trend? Ich glaube schon.
Gerade mal einen Tag hat es gedauert, bis die Lufthansa ihre dümmliche Super-Women-Partnercard-Aktion wieder einstellen musste, nachdem Anatol Stefanowitsch vorgestern darüber gebloggt hat, Anke Domscheit-Berg dann über Twitter die Medien aufforderte, darüber zu berichten, und sich die Nachricht dann in gewohnter Geschwindigkeit über Blogs, Tweets und Zeitungsartikel durchs Internet verbreitete.
Vor ein paar Monaten gab es schonmal einen ähnlichen Fall, wo die Eon-Tochter e-wie-einfach einen gewaltverharmlosenden Videoclip für lustige Werbung hielt. Auch hier dauerte es nicht mal einen Tag, bis „das Internet“ die Verantwortlichen dazu brachte, den Clip wieder abzuschalten.
Der Grund ist natürlich nicht, dass die üblichen Witzbolde jetzt verstanden hätten, was an ihrer Art von „Humor“ problematisch ist. Der Grund ist auch nicht, dass die Mehrheit der Menschen inzwischen sensibel auf Sexismus reagiert.
Ich vermute, wenn man eine repräsentative Umfrage machen würde, wäre die Mehrheit der Leute wohl der Meinung, diese Art von Werbung sei doch irgendwie ganz witzig oder zumindest harmlos. Das zeigt sich ja auch in den Mehrzahl der Kommentare zu diesen Vorfällen ebenso wie an den bemühten Rechtfertigungsversuchen der zuständigen Werbeagenturen und Marketingabteilungen (die, wie üblich, sich nicht für ihre Kampagnen entschuldigen, sondern nur bedauern, dass wir sie falsch verstanden haben).
Aber egal. Der Punkt ist: Das nützt ihnen nichts mehr!
Offenbar genügt es, wenn eine gewisse Anzahl problembewusster Menschen – und das müssen im Anfang gar nicht viele sein, zwei, drei, vier – im Internet ihren Unmut kundtut und ihren Unwillen, sowas zu tolerieren. Sie haben durch ihre Vernetzung, durch ihre Blog-, Twitter-, Google- und Facebook-Reichweiten genug Einfluss, um den Verantwortlichen das Leben unangenehm zu machen.
Heissa!
Und da hilft es diesen Verantwortlichen auch nicht, dass es – zum Beispiel – unter den Lufthansa-Business-Geschäftskunden wahrscheinlich tatsächlich immer noch eine Menge Männer gibt, die in Beziehungen zu Frauen leben, die so unsäglich spießig und klischeehaft sind, wie der Werbebrief, der sie ansprechen sollte. Es hilft ihnen nichts, dass die Kampagne womöglich – weil die Welt eben schlecht ist – tatsächlich funktioniert hätte.
Denn Teilöffentlichkeiten gibt es nicht mehr. Eine einzige undichte Stelle genügt – im Fall der Lufthansa der eine Mann, der sich von diesem Werbebrief nicht gebauchpinselt fühlt, sondern sich ärgert und diesem Ärger unkompliziert Luft machen kann. Öffentlich. Und der dann dafür Resonanz bekommt – von Leuten, die überhaupt nicht zur eigentlich vorgesehenen Zielgruppe gehören.
Ich glaube, hier werden alte Machtverhältnisse gerade ein wenig durcheinandergeschüttelt. Noch bis vor wenigen Jahren konnten sich die Werbeleute darauf verlassen, dass sie ruhig #sexistische Kackscheiße (so das inzwischen etablierte Label für sowas) produzieren können, ohne dass das zu größerem Aufheben führt. Die ganzen Briefe, die Frauenbeauftragte oder einzelne Frauen seit Jahr und Tag in entsprechenden Angelegenheiten verschickten, landeten eben auf irgendwelchen Ablagen.
Werber machen sexistische Mistwerbung ja nicht in erster Linie, weil sie ihnen so gut gefällt. Sondern weil sie funktioniert. Das ist blöd, aber leider der Fall. Es gibt Leute, die sowas erforschen, zum Beispiel dass Bilder von nackten, erotisierten, „hübschen“ Frauen Männer (statistisch gesehen) zum Geld Ausgeben animieren.
Aber heute muss man eben damit rechnen, dass nicht nur diese Männer, sondern auch die übrige geschätzte Öffentlichkeit von solcher Werbung etwas mitbekommt. Und nicht nur das – sondern die machen auch noch ordentlich Wirbel, diskutieren darüber, überzeugen andere, argumentieren. Damit ist ein Faktor dazu gekommen, der den Mehrwert, den sexistische Werbung auf der Einnahmenseite möglicherweise bringt, durch negatives Image auf der anderen Seite wieder zunichte macht.
Was dann zu dem einzigen Umstand führt, der den Verantwortlichen auf diesem Gebiet einsichtig ist und sie dazu bringen könnte, ihre Strategien zu ändern: Sexistische Werbung rechnet sich nicht mehr!
Noch nicht alle haben das freilich kapiert, zum Beispiel der „Markenexperte“ Thomas Otte, der in einem Interview sagt: „Die Werbekampagne der Lufthansa ist vorsichtig originell und besitzt keinerlei Polarisierungspotenzial. Diese Entrüstung ist ein interessantes Beispiel für künstlich entfachte Empörungskultur.“
So kann man die Augen vor der Realität verschließen. Denn eben diese Realität hat ja nun ganz unbestreitbar gezeigt, dass die Kampagne sehr wohl „Polarisierungspotential“ hatte. Nur dass sich dieses Potenzial heutzutage aber nicht mehr an das Urteil der so genannten Experten hält – sondern ganz allein von der Blog-, Tweet- und Retweetlust einer ausreichenden Anzahl von Personen abhängig ist.
Der Fachmann Otte irrt außerdem, wenn er glaubt:
Durch diese lächerliche Aufregung suchen gewisse Leute gezielt die Öffentlichkeit, um aus einem linden Lüftchen einen Orkan zu erzeugen. Diese übertriebene, politische Korrektheit vonseiten frustrierter Empörungskünstler erstickt jedwede Kreativität, Originalität sowie Individualität in unserer Gesellschaft. Das führt dazu, dass nur mehr der Mainstream akzeptiert wird.
Nichts könnte falscher sein!
Denn der Mainstream ist – und das macht diese Dynamik ja so interessant – keineswegs auf Seiten der zwei bis drei Handvoll antisexistischen Blogger_innen und Twitter_innen, sondern eher auf Seiten von Lufthansa, der Agentur und Herrn Otte. Der Mainstream findet den Brief harmlos. Denn der Mainstream hat sich mit dem Thema Sexismus, Geschlechterklischees, Rollenmuster und so weiter noch nicht großartig auseinander gesetzt. Und deshalb macht sich der Mainstream über klischeehafte Männlein-Weiblein-Werbung auch keine weiteren Gedanken. Das haben wir ja schließlich immer so gemacht!
Das Interessante an dem Fall ist, dass der Mainstream hier gerade nicht mehr den Ton angibt sondern diejenigen, die sich mit solchen Themen auskennen, weil sie – wie zum Beispiel Anatol Stefanowitsch und Anke Domscheit-Berg – sich schon lange damit beschäftigt haben und daher auf entsprechende Reichweiten kommen. Weil sie sich unter einschlägig Interessierten ein entsprechendes Ansehen erworben haben, was dazu führt, dass ihre Anstöße Aufmerksamkeit finden, weil dadurch andere, die ebenfalls Expertise auf diesem Gebiet haben, angeregt werden, ebenfalls darüber zu schreiben und das weiter zu verbreiten.
In anderen Worten: Es ist gerade nicht der uninformierte Internet-Mob, der sich hier Gehör verschafft, sondern eine informierte Gegenöffentlichkeit, der bislang aber vom „Mainstream“ kein Gehör geschenkt wurde.
Das ist es, was den Fall für mich so interessant macht. Dass wir es offenbar zunehmend hinkriegen, die Werber und „Markenexperten“ unsanft aus ihrer sexistischen Alltagsroutine aufzuschrecken.
Wer weiß, am Ende werden sie jetzt tatsächlich noch kreativ?

Was meinst du?