Embryonen sind „extrautinäre Kinder“? Mal sehen, was die Reichen dazu sagen.

Das Verfassungsgericht der US-Bundesstaates Alabama hat Embryonen als „extrautinäre Kinder“ definiert, und jetzt ist dort sozusagen „die Kacke am dampfen“. Denn bei diesem neuen Winkelzug der autoritär-fundamentalistischen Rechten geht es nicht mehr „nur“ um reproduktive Freiheit von potenziell Schwangeren, also um den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen, sondern es zielt auf In-Vitro-Fertilisation und damit auf einen Milliardenmarkt. Tatsächlich haben die ersten Kliniken bereits Kinderwunschbehandlungen in Folge des Urteils ausgesetzt.

Vermutlich ist es richtig, wie Amanda Marcotte kommentiert (danke für den Hinweis an Teresa Bücker, die das in ihrer Insta-Story teilte), dass dieser Move ein weiteres Beispiel dafür ist, dass es den rechten Fundamentalisten nicht um Abtreibungen geht, sondern darum, ein bestimmtes konservativ-patriarchales Familien- und Frauenbild zu erzwingen:

It’s important to understand that what the Christian right really wants is not motherhood, per se, but a social order where women are second class citizens. They take a dim view of not just abortion and contraception, but all reproductive technologies that make it easier for women to exercise autonomy over their lives. There’s a widespread perception that IVF is primarily used by lesbians, single women, and women who waited until their 30s to get married. (In reality, there are many reasons, including male infertility.) Conservatives view IVF as a cheat code for feminists who want to have children on their own terms. They would prefer a system where the only path to motherhood is being trapped with a Trump-voting husband who controls your checking account so you can’t leave. 

Aber es könnte sein, dass sie sich gerade an diesem Punkt verspekuliert haben. Denn während Abtreibungsverbote vor allem die ärmeren Bevölkerungsgruppen treffen (wer genug Geld hat, konnte schon immer abtreiben und kann das auch unter restriktiver Gesetzgebung), trifft ein Verbot von In-Vitro-Fertilisation vorwiegend wohlhabende und weiße Bevölkerungsgruppen, weil es auch hier um eine Frage von Geld und kulturellen Standards geht. Und es trifft eben nicht, wie das Vorurteil sagt, vor allem queere Personen oder Lesben oder Single-Frauen, die ohne cis Männer Kinder haben wollen. Sondern die übergroße Mehrheit von IVF-Behandlungen wird von geradezu stinknormalen Hetero-Paaren in Anspruch genommen.

Ein wichtiger Grund zum Beispiel ist, wenn das männliche Ejakulat (Sperma ist es nicht, denn es enthält keine „Samen“, aus denen etwas wachsen kann, sondern nur Pollen) nicht geeignet ist, um ohne medizinische „Nachhilfe“ in der Vereinigung mit einer Eizelle einen Embryo zu produzieren. Da insbesondere westlich sozialisierten cis Männern die Weitergabe ihrer Gene so wichtig ist, generiert das eine große Nachfrage nach IVF. Aber auch karriereorientierte Frauen, die auf einen günstigen Zeitpunkt für das Kinderhaben angewiesen sind, nutzen die Technologie, auch sie sind tendenziell eher weiß und wohlhabend. Ein weiterer, ebenfalls eher in diesem sozialen Milieu angesiedelter Grund für IVF ist der Wunsch, Erbkrankheiten auszuschließen und vor der Implantation eines Embryos im Uterus ein entsprechendes genetisches Screening durchzuführen.

Das heißt, die autoritär-fundamentalistische Rechte hat sich nun einen Gegner vorgenommen, der zu den eher Mächtigen im Lande gehört. Tatsächlich wurde umgehend Kritik an dem Urteil laut, zum Beispiel von Ärzt:innen. Die Reproduktionsindustrie wird ebenfalls aktiv, erste Abgeordnete haben bereits angekündigt, entsprechende Gesetze zu machen, die die IVF-Technologie explizit schützt und legalisiert.

Ich bin mal gespannt, wie diese Debatten weitergehen und wie die Begründungen ausfallen. Also wie eine Definition von Embryonen ausschauen könnte, die einerseits IVF als unproblematisch und legal schützt, aber gleichzeitig Abtreibungen kriminalisiert. Denn wenn man Embryonen im Müll entsorgen kann, wenn man sie für eine Kinderwunschbehandlung nicht mehr braucht – und das lässt sich bei IVF nicht verhindern – mit welcher Begründung sollte es dann verboten sein, sie bei einer unerwünschten Schwangerschaft aus dem Uterus entfernen zu lassen?

Aus einer feministischen Ethik der Reproduktion müssten die ethischen Hürden zur Erzeugung und Vernichtung von Embryonen im Reproduktionslabor eigentlich höher sein als die ethischen Hürden vor einem Schwangerschaftsabbruch, weil der Status der Embryonen ja in beiden Situationen gleich ist, während im zweiten Fall noch das Recht der Schwangeren auf körperliche Selbstbestimmung hinzu kommt. Also könnte es ethisch gesehen eine Argumentation geben, die Abtreibungen erlaubt, aber IVF verbietet, andersherum hingegen sehe ich das nicht.

Wobei mir natürlich schon klar ist, dass es beim Kulturkampf der autoritär-fundamentalistischen Rechten nicht um Logik geht, sondern um Misogynie, aber interessant ist das Ganze dennoch. Traurig ist es natürlich auch.

Update: Lesenswert auch diese Analyse zur autoritär-fundamentalischen Rechten von Annika Brockschmidt

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

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