
Eigentlich sollten Queer und Sci Fi gut zusammen: Wer im Weltall herumschwebt oder in die Zukunft reist, könnte da schließlich auf Lebensformen treffen, die die Normalität des heterosexistischen Erdenlebens in Frage stellen. Das jedenfalls war meine Hoffnung, als ich mir dieses – bisher nur in Englisch vorhandene – Buch bestellte. Schließlich bin ich ein großer SciFi-Fan und kaum ein anderes Genre ist so geeignet, um die Beziehungen zwischen den Geschlechtern und die dazugehörigen terranischen Rollenklischees zu hinterfragen, und die interessante Beziehung zwischen Frauen und Aliens beschäftigt mich schon eine ganze Weile.
Umso enttäuschter war ich darüber, dass die hier versammelten Geschichten vollkommen konventioneller Natur sind. Piefkelig wie ich in diesen Dingen nunmal bin (und weil ich im Urlaub war und viel Zeit hatte), hab ich das mal durchgezählt: Von 17 Geschichten haben 14 eine männliche Hauptfigur. Soviel Männerüberschuss findet man heutzutage sogar in der heterosexistischen Mainstreamwelt nur noch selten. Von den restlichen drei Geschichten, die weibliche Protagonistinnen haben, entfaltet eine zudem eine Schreckensvision von einer totalitär-matriarchalen Zukunftswelt, die der Feministin in mir auch keine rechte Freude bereitet hat.
Und dabei hatte es so viel versprechend begonnen: Immerhin sieben Geschichten sind nämlich von Frauen geschrieben worden. Doch auch sie wählten – mit einer Ausnahme – männliche Protagonisten. Vielleicht ein Zugeständnis an das generell eher männliche Sci-Fi- Publikum? Das könnte eine Erklärung sein. Bekanntlich fällt es Männern ja schwer, sich mit Heldinnen zu identifizieren.
Aber die Frage der Hauptperson ist nur das eine. Nur in ganz wenigen Geschichten wird die Geschlechterdifferenz überhaupt auch nur am Rande thematisiert. Sieben Geschichten haben nicht einmal als Nebenfigur eine Frau, die Männer kommen hier völlig autark mit sich alleine aus. Und in fünf weiteren kommen Frauen zwar vor, aber bloß in der Rolle von Prostituierten, Bösewichten oder als Maschine – das queere Universum scheint eines zu sein, in dem Frauen als ganz real menschliche Gegenüber so gut wie ausgerottet sind.
Das Projekt „Queer“ scheint jedenfalls weitgehend in „Schwul“ aufzugehen. 13 der 14 männlichen Protagonisten lieben andere Männer, wobei die Geschichten in zwei Kategorien auseinanderfallen: Sechs davon sind ganz normale Sci-Fi-Geschichten, wo die Helden mehr oder weniger zufällig Liebesbeziehungen zu Männern unterhalten, wären sie hetero, könnte die Handlung ganz genauso ablaufen. Sechs andere feiern dezidiert das Gelingen von Männerbeziehungen und dekorieren das mit ein paar Sci-Fi-Versatzstücken: Ein altes Paar, das sich auseinander gebt hatte, findet nach einer außerirdischen Intervention wieder zusammen, zwei junge Männer entdecken mithilfe von Aliens, dass sie sich gegenseitig attraktiv finden, zwei Raumfahrer überwinden den Verlust eines dritten gemeinsamen Ehemannes, die Affäre eines jungen Rebellen mit einem Zeitreisenden macht aus diesem einen erfolgreichen Freiheitskämpfer und so weiter.
Jede einzelne dieser Geschichten feiert die Liebe unter Männern als eine gelungene – Happy End ist hier Pflicht. Nun ist gegen Erzahlungen über das Glück schwuler Liebe im Prinzip ja auch nichts einzuwenden (außer vielleicht, dass die ausführlichen Schilderungen muskulöser Männertorsos und praller Penisse auf die Dauer für die an Männersex nicht interessierte Leserin etwas langweilig ist). Ärgerlich ist aber, dass im Gegenzug in dem ganzen Buch nicht eine einzige gelingende lesbische Beziehung geschildert wird. Die gerade mal zwei Frauenbeziehungen, die überhaupt vorkommen, verlaufen unglücklich: Die eine Protagonistin kann ihre Geliebte nicht vor dem Suizid retten, die andere scheitert, weil die Geliebte sich als unbekehrbare Hetera entpuppt.
Krasser kann das Missverhältnis nun wirklich nicht ausfallen. Noch etwas fand ich im Übrigen sehr aufschlussreich: Queer hin oder her, offenbar ist das Bedürfnis, die klare Aufteilung von Menschen in „männlich“ oder „weiblich“ aufzubrechen, keineswegs so groß, wie immer behauptet wird. Obwohl sich die Idee, androgyne Wesen oder weitere dritte, vierte oder fünfte Geschlechter zu erfinden, in einem Genre wie diesem eigentlich geradezu aufdrängt, fehlt davon in den Geschichten jede Spur. Gerade mal zwei geschlechtlich nicht eindeutige Figuren kommen in dem gesamten Buch vor, in ganz unwichtigen Nebenrollen.
Klar ist, dass sich dieses vernichtende Urteil natürlich nur aus dem Gesamtbild der Sammlung ergibt. Was die einzelnen Geschichten angeht, so sind durchaus interessante darunter – die einzelnen Autorinnen und Autoren können ja gewissermaßen nichts für den Kontext, in dem ihre Erzählungen erscheinen. Vielleicht ist das Angebot an „queeren“ Geschichten auch so gering, dass der Herausgeber einfach nichts Besseres auftreiben konnte. Dann aber hätte er auf das Label „Queer“ im Titel doch besser verzichtet. Eine Sammlung schwuler SciFi-Geschichten wäre ja auch ganz nett gewesen, und ich hätte das dann ja nicht lesen müssen.
So aber muss die Feministin resumieren, dass das Label „Queer“ nicht unbedingt ein Gütesiegel ist, im Gegenteil. Es dient nur allzu leicht als Rechtfertigung, um die Dominanz des Männlichen im Mantel der eigenen angeblichen sexuellen Fortschrittlichkeit umso mehr zu zementieren.
Oder besteht die „queere“ Hoffnung vielleicht tatsächlich bloß darin, dass man sich mit diesen lästigen Frauen erst gar nicht mehr auseinandersetzen muss?
James EM Rasmussen (Hg): Queer Dimensions. QueeredFiction 2009, 12,99 Euro. www.queeredfiction.com
Habe mal was geschrieben was diesen schwul-queeren Männerklub etwas zu erklären versucht: http://femininelesbians.wordpress.com/2010/02/03/alles-queer/
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Ich lese gerade „Einführung in die feministische Literaturtheorie“ von Lena Lindhoff. Das bietet sehr interessante Einblicke in die Literatur. Kurzum: Ich bin begeistert. Falls du es noch nicht kennst, hier meine Leseempfehlung!
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In Sachen queer und SciFi schwöre ich auf Marge Piercy, gibt es ähnlich Gutes, wie „Er, Sie und Es“ oder „Die Frau am Abgrund der Zeit“?
Queer Dimensions werde ich jedenfalls nicht lesen;-)
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@Malkah – Word!
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