
In Haiti, so berichten verschiedene Medien, unter anderem tagesschau.de, sollen an den neuen Verteilstellen Lebensmittel nur noch an Frauen ausgegeben werden. Der Grund ist, dass es wohl zu „Drängeleien“ gekommen sei (man muss annehmen: von Männern), sodass die Schwächeren bei der Verteilung meist leer ausgingen.
Immer wenn ich solche Nachrichten lese, bin ich gleichzeitig erleichtert und verärgert. Erleichtert, weil es wahrscheinlich tatsächlich so ist, dass es bei der Verteilung von Lebensnotwendigem gerechter zugeht, wenn man dies den Frauen anvertraut, und sich nicht das Recht des Stärkeren ungebrochen durchsetzt. Das ist ja nichts wirklich Neues. In der Entwicklungshilfe hat man schon vor Jahren damit begonnen, stärker auf die Frauen zu setzen, sowohl was die Zusammenarbeit in lokalen Projekten betrifft, als auch zum Beispiel bei den Mikrokrediten. Und eine etwas abgewandelte Version davon ist ja auch die mit der Finanzkrise begonnene Debatte, ob mehr Frauen in verantwortlichen Positionen dem Desaster vielleicht abhelfen würden.
Verärgert bin ich, weil sich an dem Schema so niemals etwas ändert, wonach man sich immer auf die Frauen verlässt, wenn es darum geht, „das Gemeinwohl“ im Auge zu behalten und die herkömmlichen Regeln und Normen nicht mehr greifen. Ich stelle mir vor, dass der Druck, der nun auf den Haitianerinnen lastet, enorm sein muss: Sie müssen eine schier unlösbare Aufgabe schultern und dabei wahrscheinlich mit einer gehörigen Aggressivität von seiten der Männer zurecht kommen, die von der Lebensmittelverteilung ausgeschlossen sind.
Wie alle anderen, werden auch die Frauen vermutlich wollen, dass erst einmal ihre Kinder, ihre unmittelbaren Angehörigen und sie selbst das Lebensnotwendige bekommen. Gleichzeitig wissen sie, dass mit der „Bevorzugung“, die ihnen nun zuteil wird, auch die Erwartung an sie geknüpft ist, es „besser“ zu machen: Good women, bad men.
Doch das ist es nicht, was der feministische Einsatz für mehr weibliche Freiheit meint. Sicher: Die Forderung nach „mehr Frauen in verantwortlichen Positionen“ ist kein bloßer Lobbyismus, der Frauen den Zugang zu männlichen Privilegien ebnen soll. Es ist aber auch nicht das Versprechen einer besseren Welt, die die Frauen aus dem Hut zaubern würden, wenn man sie nur ließe.
Fakt ist: Wir wissen nicht, wie die Welt wäre, wenn sie von Frauen nach ihren Maßstäben eingerichtet wäre. Wir wissen nur, dass sie anders wäre, als die Welt, die wir jetzt haben. Und natürlich gibt es klare Hinweise darauf, dass manche Probleme, die aus der männlichen Kultur mit ihrem inhärenten Konkurrenzdenken, Egoismus und Autonomismus resultieren, dort nicht auftreten würden – das Vertrauen, das die Vereinten Nationen jetzt in die Haitianerinnen setzen, und zwar vermutlich zu Recht, ist einer davon.
Aber möglicherweise gäbe es in einer „weiblichen“ Kultur dann ganz andere Schwierigkeiten, die wir heute nur erahnen können, weil diese Kultur bislang überhaupt nicht flächendeckend wirksam werden konnte.
Jedenfalls liegt meine Hoffnung auf mehr weibliche Einflussnahme nicht darin, dass Frauen die Welt retten, dass sie den Kapitalismus sozialverträglich machen, die korrupte Politik wieder auf einen rechten Pfad führen und die Ungerechtigkeiten ausgleichen, die allgemein beklagt werden. Ich jedenfalls habe keine Lust darauf, irgend etwas „besser“ zu machen als die Männer. Ich möchte es so machen, wie ich es will.

Was meinst du?