
Schon lange habe ich vor, einen Artikel über den Unterschied zwischen Biologie und Biologismus zu schreiben. Mir fällt nämlich auf, dass der Vorwurf des „Biologismus“ heute immer öfter auch gegen Frauen und ihre Ideen eingesetzt wird, was wiederum dazu führt, dass das Reden über Biologie, über Körperlichkeit und damit über die Grenzen, die unserem souveränen Weltgestalten möglicherweise gesetzt sind, tabuisiert wird.
Eigentlich handelt es sich dabei ja um eine traditionelle Kritik von Frauen an der Idee, ihre weibliche Biologie oder „Natur“ würde sie auf bestimmte Rollen oder Verhaltensweisen festnageln. Der „Biologismus“ hatte sich im 19. Jahrhundert ausgebreitet, weil die Männer in einer gewissen Erklärungsnot waren: Sie hatten (mit der Französischen Revolution) die Idee in die Welt gesetzt, dass alle Menschen gleich seien, aber für Frauen sollte das nicht gelten: Frauen hatten kein Wahlrecht, durften nicht auf Universitäten und so weiter.
Von Anfang an haben Frauenrechtlerinnen auf diese Inkonsequenz hingewiesen. Und weil es keine logische oder auch nur plausible Begründung gab, behaupteten maßgebliche Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft und der Aufklärung kurzerhand, Frauen seien von ihrer „Natur“ her eben für solche Dinge nicht geeignet.
Das löste im Lauf des Jahrhunderts einen Riesenberg an Forschungen aus, die auch in der Tat ganz überwiegend zu dem Ergebnis kamen, dass Frauen nicht etwa aufgrund von bestimmten, von Männern getroffenen politischen Entscheidungen nicht wählen, nicht öffentlich auftreten, bestimmte Jobs nicht bekommen und so weiter konnten, sondern aufgrund der wissenschaftlichen Tatsache, dass ihre „Biologie“ das eben nun mal nicht zulasse (daher rührt übrigens meine chronische Skepsis gegen wissenschaftlichen Rationalismus).
Es ist daher naheliegend, dass der Kampf gegen den Biologismus in der Frauenrechtsbewegung eine zentrale Rolle spielte. Was mich allerdings wundert ist, dass der Kampf „Biologie oder Sozialisation“ auch heute noch mit großer Verve geführt wird, obwohl er doch seine politische Relevanz längst verloren hat. Denn der ursprüngliche Knackpunkt, nämlich die Frage, ob Frauen gleiche Rechte haben sollen, ist ja längst entschieden. Zumindest in der westlichen Welt würde das doch niemand mehr ernsthaft verneinen.
Und ich finde, es ist auch schlicht und ergreifend egal, ob – um ein banales Beispiel zu nennen – Männer deshalb mehr Interesse an bestimmten Macht- und Führungspositionen haben, weil irgendwelche Gene sie dafür disponieren, oder weil sie als Jungens ein entsprechendes Konkurrenzverhalten antrainiert bekommen haben. Zumindest ist diese Frage in politischer Hinsicht egal. Denn wir müssen darüber diskutieren, ob wir das, was Frauen oder Männer tun, gut oder schlecht finden. Und zu wissen, ob dieses Verhalten nun angeboren, anerzogen oder (eine Möglichkeit, die oft vergessen wird) selbst ausgedacht ist, hilft ja eigentlich nicht bei der Entscheidung darüber, wie man es bewertet, ob man zu dem Schluss kommt, es zu fördern oder möglichst zu unterbinden.
Der Biologie-versus-Sozialisations-Streit als solcher führt im Allgemeinen von den politischen Konflikten weg, weil weil er Fragen auf eine wissenschaftliche Ebene hebt, die in Wirklichkeit auf die politische Ebene gehören.
Aber: Auch wenn ich finde, dass Biologismus in der Politik nichts zu suchen hat, dass also niemand die eigenen politischen Argumente mit Hinweisen auf angeblich biologische Naturnotwendigkeiten verbrämen sollte, so bin ich doch der Ansicht, dass die Biologie ein Faktor ist, der in den politischen Debatten eine Rolle spielen muss, und zwar eine größere als zur Zeit. Menschen sind körperliche Wesen und keine vergeistigten Abstraktheiten. Sie sind Wesen aus Fleisch und Blut, die aus dem Körper einer Frau heraus in die Welt kommen, die bedürftig sind, Hunger und Durst haben, scheißen müssen, krank werden und so weiter. So gesehen ist Biologie sogar das eigentliche Thema der Politik.
Dass die Verdrängung von Körperlichkeit und der menschlichen Bedingtheit ein Wesensmerkmal patriarchaler Politik und Philosophie war, haben schon viele Denkerinnen festgestellt. Die Tradition des Körper-Geist-Dualismus, die mit den alten Griechen anfing und im Christentum fortgeführt wurde, hat zu jenem Denken geführt, dem schließlich auch die Frauen zum Opfer gefallen sind: Sie wurden mit dem dunklen, unkontrollierbaren Aspekt des Menschseins gleichgesetzt, sie hatten die Natur zu repräsentieren, während der Mann die Kultur für sich beanspruchte – das war das Grundmuster, auf dem dann später der Biologismus funktionieren konnte.
Doch können wir heute wirklich damit zufrieden sein, den Biologismus entlarvt zu haben und die Zumutungen, die das für Frauen bedeutet hatte, im Zuge der Gleichberechtigung abgelegt zu haben? Damit, dass wir, die Frauen, quasi auf die Seite des guten, klaren, hellen Geistes überwechseln durften? Ist die Biologie heute unwichtig, eine Nebensache, die keine Rolle mehr spielt, weil wir ja als unabhängige, freie Menschen die Welt einfach so machen, wie wir sie haben wollen, ohne dabei irgendwelche Grenzen des Möglichen beachten zu müssen?
Ich habe meine Zweifel, gerade was das freie politische Handeln von Frauen betrifft. Und zwar deshalb, weil heute der Vorwurf des „Biologismus“ gegen Frauen gewendet werden kann, und zwar immer dann wenn sie darauf hinweisen, dass politische Gleichheit nicht automatisch auch tatsächliche Gleichheit bedeutet (was im Übrigen ebenso eine Binsenweisheit ist, wie es im 19. Jahrhundert eine Binsenweisheit war, dass eine Demokratie, die Frauen nicht einbezieht, keine Demokratie sein kann).
Zeigen möchte ich das am Beispiel eines meiner Blogposts vom vergangenen August, in dem ich mich unter dem Titel „Vaterschaft ist mehr als Sex gehabt haben“ kritisch mit der heutigen Tendenz auseinandergesetzt habe, Vaterschaft zunehmend biologisch zu definieren. Ich schrieb:
Die Beziehungen von Vätern zu Kindern sind niemals evident, sie müssen per Gesetz garantiert werden. Das ergibt sich ganz einfach aus dem Umstand, dass bei der Geburt immer nur eine Person unausweichlich anwesend ist: die Mutter, aus deren Körper das Kind nämlich herauskommt. Die Anwesenheit jeder anderen Person – des Vaters, der Hebamme, der Freundinnen, der Ärztin – ist soziale Verabredung. Sie ist nicht notwendig für den Vorgang der Geburt als solchen.
Dass es den hier beschriebenen biologischen Unterschied zwischen Mutterschaft und Vaterschaft gibt, ist offensichtlich und wurde auch in den Kommentaren nicht bestritten. Aber es wurde von manchen die Ansicht vertreten, dieser Unterschied dürfe im Bezug auf politische Verhandlungen keine Bedeutung haben, zum Beispiel von milhouse, der/die schrieb:
Biologistischer als über die Tatsache der Geburt durch die Frau ein Geschlechterungleichverhältnis zum Kind zu konstruieren geht es ja wohl kaum.
Aber ist das so? Sind wir, wenn wir keine Biologistinnen sein wollen, verpflichtet, die Unterschiede zwischen Vaterschaft und Mutterschaft im Hinblick auf Schwangerschaft und Geburt (zum Beispiel) zu ignorieren? Müssen wir bei unseren Debatten so tun, als wären ein Vater und eine Mutter dasselbe, obwohl sie es in der Realität – shame on you, Biologie! – ganz einfach nicht sind?
Ich finde, biologische Unterschiede zu benennen und dafür aufmerksam zu sein, ist keine Konstruktion, sondern Realismus. Denn die Realität ist immer körperlich, sie bringt ständig Unterschiede hervor zwischen Menschen. Nicht nur zwischen Müttern und Vätern, sondern auch zwischen Alten und Jungen, zwischen Gesunden und Kranken und so weiter und so fort. Sicher, jede politische Schlussfolgerung, die aus der Kenntnisnahme dieser Unterschiede besteht, muss argumentativ begründet und vermittelt werden, niemals versteht sie sich von selbst oder ergibt sich aus der Biologie automatisch. Aber wie auch immer diese Schlussfolgerung aussehen mag, sie steht auf tönernen Füßen, wenn sie die Realität zuvor nicht realistisch zur Kenntnis nimmt.
Biologismus, also die Verbrämung eigener politischer Ansichten und Ideen durch angeblich wissenschaftliche Tatsachen, ist abzulehnen. Aber die Biologie, also die Körperlichkeit und Bedingtheit des menschlichen Lebens mit all ihren Unwägbarkeiten, Ungleichheiten und Konfliktpotenzialen, mit den Grenzen, die sie uns setzt – sie ist die Voraussetzung, von der wir bei all dem ausgehen müssen, wenn das, was wir verhandeln, halbwegs sinnvoll sein soll.


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