
Oh je, die „radikal-feministische Matriarchatsbewegung“ hat sich am vergangenen Wochenende zu einem Kongress in St. Gallen getroffen – und die Schweizer Medien liefen zu Panik auf. „Vorträge und spirituelle Rituale“ hielten „die siebzigjährige“ Heide Göttner-Abendroth und „ihre radikal-feministische Bewegung“ ab, und das Ganze wurde von der Stadt St. Gallen auch noch mit der unglaublichen Summe von 5000 Franken unterstützt.
Aufgedeckt hat diesen Skandal die NZZ, und ihr Kronzeuge waren der evangelische „Sekten-Experte“ Georg Otto Schmid, für den die „Feministinnengruppe“ eine fundamentalistisch-religiöse Bewegung ist, und Martina Schäfer vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund, die behauptete, Göttner-Abendroth würde „die Priesterinnen propagieren und Menschenopfer glorifizieren“. Selten so einen Quatsch gelesen!
Über den Umgang der Medien mit dem „Matriarchatsflügel“ der Frauenbewegung wollte ich eigentlich vor zwei Jahren schon mal was schreiben. Damals gab es nämlich einen ähnlichen Kongress in Karlsruhe, eine große Sache, 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, aber in den Medien kam das nicht vor. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil sich damals kein Sektenbeauftrager gefunden hat, den man als Zeugen anrufen konnte. Und so viel Mühe, sich selber in das Thema einzuarbeiten, macht sich natürlich kein vernünftiger Journalist.
Ich will aber gar nicht über die Medien lamentieren, von denen ich mir im Bezug auf das Verständnis für feministische Diskurse ohnehin nicht viel erwarte. Sondern ich möchte darauf hinweisen, dass sich hier eine Spaltung innerhalb der politischen Bewegung der Frauen zeigt, die bis heute schädliche Nebenwirkungen hat. Die Spaltung reicht bereits in die 1970er Jahre zurück, als sich „politische“ und „spirituelle“ Frauen voneinander entfernten (oder erst gar nicht zusammen kamen).
Die Konflikte waren durchaus ernst zu nehmen, und ich selbst würde mich inhaltlich eher auf der „politischen“ Seite verorten. Aber im Lauf der Jahrzehnte ging die Spaltung darüber hinaus. Die inhaltlichen Differenzen wurden sozusagen überlagert und erweitert von Differenzen der politischen Praxis, die man, vielleicht etwas verkürzt, aber doch einordnen könnte in eine „realpolitische“ und eine – tatsächlich – „radikal-fundamentalistische“ Strategie.
Die „politischen“ Feministinnen haben sich inzwischen weitgehend in die bestehenden gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen integriert. Aus autonomen Frauenzentren wurden staatlich finanzierte Beratungs- und Hilfseinrichtungen, aus der Kritik an männlich-politischen Strukturen wurden bei den Verwaltungen angestellte Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, und radikale Ideen finden sich höchstens noch an den Universitäten, wo ihre Radikalität in wissenschaftlichem Jargon untergeht und über kleine akademische Kreise hinaus kaum Alltagswirkung hat. Der öffentliche Diskurs über Frauen und Männer ist heillos in blau und rosa verkitscht oder beschränkt sich auf Karriere- und Sexyness-Tipps und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Und das ist der Grund, warum ich den Gestus, die Alltags-Radikalität und das Selbstbewusstsein bewundere, mit der die „Matriarchats-Feministinnen“ im konkreten Handeln und Leben deutlich machen, dass sie das Patriarchat nicht verbessern oder gendergerecht reformieren wollen, sondern seine grundsätzlichen Strukturen hinterfragen. Und zwar nicht in nur in der Theorie, sondern im konkreten Versuch, Alternativen zu denken und zu leben. Auch wenn ich viele ihrer Schlussfolgerungen nicht teile, so halte ich ihre Entschlossenheit, sich nicht anzupassen und nicht vereinnahmen zu lassen, für beispielhaft.
Ganz abgesehen davon, dass viele ihrer Forschungen und Erkenntnisse zur Geschichte der Entstehung des Patriarchats wichtig und klug sind. Ohne die Arbeiten von Frauen wie Heide Göttner-Abendroth oder Gerda Weiler und vielen anderen wären wir heute nicht da, wo wir sind – auch die Emanzipations- und Gender-Feministinnen nicht.
Ina Praetorius, die beim Kongress in St. Gallen ein kritisches Referat gehalten hat, kommentierte den anschließenden medialen Shitstorm mit den Worten: „Das Hauptproblem an dieser Kampagne gegen den Matriarchatskongress ist nicht, dass die Veranstalterinnen keine Kritik verdient hätten, sondern dass sich auf absehbare Zeit wieder keinE GeschichtslehrerIn trauen wird, das Wort „Matriarchat“ und angrenzende Begriffe auch nur vorsichtig-hypothetisch in den (Klassen-)Raum zu stellen.“
Genau so ist es. Die Matriarchatsforschung ist aber ein wichtiger und wesentlicher Teil der feministischen Ideengeschichte. Sie sollte zu unserem kulturellen Repertoire gehören und entsprechend gewürdigt werden.
Hier noch ein Blogpost von Inge Jahn, die bei dem Kongress war
Danke für die Spende!


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