Heute war ich bei der Jahrestagung zum 25. Jubiläum des Deutschen Ingenieurinnenbundes in Höchst in Odenwald und habe einen Vortrag gehalten zum Thema „Konkurrenz ist unlogisch“. Leider habe ich vergessen, mitzuschneiden, sodass der Vortrag nicht im Podcast kommen wird, aber das Manuskript könnt Ihr immerhin nachlesen, auch wenn ich beim Reden dann immer nochmal andere Sachen sage, als im Manuskript stehen 🙂
Anschließend war ich dann noch beim Vortrag von Gisela Notz, die unter dem Titel „Yes, she can!?“ über die geschlechtsspezifischen Auswirkungen globalisierter Märkte und Arbeitsverhältnisse gesprochen hat. Daraus ergab sich eine interessante Diskussion unter den anwesenden Ingenieurinnen, aus der ich einige neue Ideen und Argumentationslinien mitgenommen habe, die ich hier kurz verblogge, um sie nicht zu vergessen.
Überrascht (im positiven Sinne, denn ich sehe das auch so) hat mich eine mehrfach vorgebrachte Skepsis gegen die allzu enge Verknüpfung des Themas „Frauen in technischen Berufen“ – und man kann das meiner Meinung nach auf alle ehemals männerdominierten Bereiche verallgemeinern – mit dem Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Eine ganze Reihe von Rednerinnen erkannten in dem Mantra „Die geringe Beteiligung bzw. die Probleme von Frauen in Männerdomänen ist vor allem eine Folge der Vereinbarkeitsproblematik“ ein Scheinargument.
Eine Frau wies zum Beispiel darauf hin, dass in Frankreich, wo ja außerfamiliäre Kinderbetreuung und damit auch Berufstätigkeit von Müttern normaler ist als in Deutschland, der Anteil von Frauen in technischen Berufen trotzdem genauso niedrig ist. Ein starker Beleg dafür, dass die Vereinbarkeitsprobleme nicht die hauptsächliche Ursache sind. (Übrigens auch nicht nur die fehlende Ausbildung, denn, wie Gisela Notz sagte, sind unter den ausgebildeten Ingenieurinnen in Deutschland ungefähr 20 Prozent Frauen, unter denen mit versicherungspflichtigem Arbeitsvertrag nur 11 Prozent).
Eine andere wies darauf hin, dass das Vereinbarkeitsargument neuerdings auch häufig von Arbeitgebern angeführt wird, um den niedrigen Frauenanteil in ihrem Unternehmen zu rechtfertigen, nach dem Motto: „Der Staat soll erst mal Kinderbetreuungsmöglichkeiten schaffen, dann kommen die Frauen schon von ganz alleine zu uns.“ Eine elegante Möglichkeit, die Verantwortung von sich zu weisen, und ein weiteres Beispiel dafür, wie geschickt bestimmte Leute darin sind, feministische Argumente für sich zu vereinnahmen.
Als ich das eben einem Freund erzählte, macht er mich noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: Dass nämlich diese Verknüpfung von „Frauenmangel“ und „Vereinbarkeitsproblem“ bei gutwilligen Arbeitgebern leicht zu Enttäuschungen führen kann. Wenn die etwa, um weibliche Fachkräfte zu bekommen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten schaffen – und das dann womöglich gar nicht den gewünschten Erfolg bringt. Weil die Ursachen für die fehlenden Bewerbungen qualifizierter Frauen zumindest teilweise noch ganz woanders liegen. Wenn es jemand gibt mit Erlebnissen, Erfahrungen, Wissen zu diesem Punkt, bitte in die Kommentare schreiben.
Eine weitere Teilnehmerin erzählte von einem großen Technikunternehmen, das vor einigen Jahren Schwierigkeiten hatte, qualifizierte Ingenieur_innen zu finden. Schließlich kamen sie auf die Idee, Teilzeitstellen auszuschreiben – die es offenbar im Ingenieursbereich fast gar nicht gibt – und wurden daraufhin überschwemmt von Bewerbungen, die genau auf diese Möglichkeit der Teilzeitarbeit verwiesen, und zwar Bewerbungen von Frauen UND Männern. Für mich heißt das: Das Gejammere über Fachkräftemangel braucht man eigentlich nur dann ernst zu nehmen, wenn die Unternehmen selbstverständlich Teilzeitstellen anbieten, auf allen Qualifikationsniveaus.
Mehrere Teilnehmerinnen wendeten sich schließlich auch gegen das Argument, dass qualifizierte Arbeitnehmerinnen auf keinen Fall eine Weile aus dem Beruf aussteigen dürfen, wenn sie den Anschluss nicht verlieren wollen. Denn die wichtigste Qualifikation, die man heute im Berufsleben brauche, sei die Fähigkeit, Neues zu lernen. Auch wenn man ein Projekt wechselt, müsse man sich immer wieder in neue Gegebenheiten einarbeiten. Meist seien es ganz andere Gründe, weshalb Arbeitgeber Leute mit einer „Biografischen Pause“ nicht in Betracht ziehen.
Das scheint mir auch recht plausibel. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Arbeitgeber es einfach nicht gerne sehen, wenn Menschen sich eine „Auszeit“ nehmen – sei es nun wegen Kindern oder aus irgend einem anderen Grund – und zwar deshalb, weil das beweist, dass die betreffenden Arbeitnehmer_innen sich nicht mit Haut und Haaren ihrem Beruf hingeben, sondern auch noch andere Interessen und Prioritäten haben. Sie sind daher auch nicht so leicht lenkbar, nicht so abhängig, funktionieren nicht so gut. Nicht, weil ihnen inhaltliches Wissen fehlt – das kann man sich nämlich wieder aneignen – sondern weil sie eine gewisse innere Unabhängigkeit von ihrem Beruf haben.
In diese Richtung müsste man weiterdenken. Und immer schön aufpassen, dass die eigenen feministischen Argumente nicht neoliberal vereinnahmt werden, also dazu beitragen, die totale Auslieferung der Menschen an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes immer weiter voranzutreiben. Und diesen Prozess dann auch noch mit dem Gütesiegel der Emanzipation zu versehen.

Was meinst du?