Das Label „linke Kerle“ ist seit längerem in meinem Kopf. Ich glaube, seit ich mal – vor vielen Jahren – an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Utopien“ teilgenommen habe und einer der Mitdiskutanten plötzlich auf den Tisch schlug: Was wir da sagten, das wäre ja alles viel zu unkonkret, man dürfe nicht so nebulös herumreden, sondern wir müssten strategisch denken. Überall sei doch längst Krise, nichts würde mehr funktionieren, und wenn deshalb morgen Gerhard Schröder (ja, so lange ist das schon her:)) alles hinwerfen würde, weil er nicht mehr weiter weiß – ja, dann müssten wir doch konkrete Pläne in der Schublade haben, nach denen wir sofort mit der Revolution anfangen könnten. Es gelang mir damals irgendwie, nicht lauthals loszulachen.
Die letzten Tage habe ich wieder mit so einem Kerl verbracht, und zwar mit Slavoj Žižek, dessen neues Buch „Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert“ ich tatsächlich ganz durchgelesen habe. Das gelingt mir bei solchen Büchern nicht immer, bei Negri/Hardts „Empire“ zum Beispiel hab ich schon nach dem ersten Viertel das Handtuch geworfen. Žižek kann Hardt und Negri übrigens auch nicht leiden (was er ständig betont). Vielleicht haben wir uns deshalb ganz gut verstanden.
Žižek gibt sich viel Mühe, zerrissen zu werden. Etwa indem er erstaunlich viele gute Aspekte an Kerlen wie Robespierre, Heidegger, Stalin oder Mao findet. Man könnte jetzt jede Menge Zitate aus dem Zusammenhang reißen und massenweise Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber das will ich gar nicht tun. Ich finde seine Argumente im Großen und Ganzen ziemlich klug, wenn man sich denn für Robespierre, Heidegger, Stalin oder Mao interessieren würde, was ich aber nicht tue.
Wofür ich mich aber sehr wohl interessiere, das ist die Frage, wie man aus einer „linken“ oder meinetwegen auch „kommunistischen“ Perspektive heraus die Welt verändern kann. Wobei mir die Begriffe „links“ und „rechts“ , ebenso wie „kommunistisch“, nichts sagen, aber ich denke, vieles von dem, was Žižek meint, wenn er sie verwendet, kann ich durchaus teilen.
Leider hat mich das Buch aber trotzdem in meiner Auffassung bekräftigt, dss von den linken Kerlen keine Revolution zu erwarten ist, und man muss sagen, glücklicherweise.
An einer Stelle zum Beispiel charakterisiert Žižek das, was er das „revolutionäre Subjekt“ nennt. Als Beispiel nimmt er eine Szene aus dem Film „Die üblichen Verdächtigen“. Darin kommt ein Mann nach Hause und findet seine Frau und seine kleine Tochter in der Gewalt einer rivalisierenden Bande vor. Seine Reaktion: Er erschießt selber Frau und Kind und droht dann den „Feinden“, er werde sie gnadenlos verfolgen und sie, ihre Familien, Eltern und Freunde allesamt umbringen. Žižek analysiert diese Szene so:
In einer Situation der erzwungenen Wahl trifft das Subjekt die verrückte, unmögliche Entscheidung, gewissermaßen sich selbst zu schlagen und seine Liebsten zu töten; seine Tat ist keineswegs ein Fall von ohnmächtiger, gegen sich selbst gerichteter Aggressivität, sondern verändert die Koordinaten der Situation, in der das Subjekt steckt. Indem es sich von dem kostbaren Objekt löst, durch dessen Besitz der Feind es in Schach halten konnte, verschafft sich das Subjekt Handlungsspielraum. Der Preis dieser Freiheit ist natürlich entsetzlich. Die einzige Möglichkeit, wie das Subjekt die Schuld ausgleichen kann, sein kostbarstes Objekt (seine kostbarsten Objekte) geopfert zu haben, besteht darin, … auf alle persönlichen Eigenarten zu verzichten und sein gesamtes Leben der Vernichtung derer zu widmen, die es gezwungen haben, die Opfertat zu begehen. Eine solche „unmenschliche“ Position der absoluten Freiheit (in meiner Einsamkeit kann ich tun und lassen, was ich will, niemand hat Gewalt über mich) gepaart mit absoluter Hingabe an eine Aufgabe (der einzige Sinn meines Lebens besteht darin, Rache zu üben) charakterisiert vielleicht am treffendsten das revolutionäre Subjekt. (S. 114f)
Frau und Kind, die „kostbaren Objekte“ des männlichen Subjektes, my ass. Der Mann, der seine „Liebsten“ tötet, fügt nicht etwa anderen etwas zu, sondern sich selbst. Bindungen und Verantwortlichkeiten zu anderen Menschen stehen dem entschlossenen revolutionären Handeln des Mannes im Weg. Zum Glück gibt es solche „Subjekte“ im wirklichen Leben selten, selbst unter männlichen Menschen sind sie krasse Ausnahmen. Zur Rettung der Welt sollten wir daher besser nicht auf sie setzen. Oder anders gesagt: Wenn das Freiheit sein soll, dann gibt es keine Freiheit.
Es gibt übrigens viele Stellen in dem Buch, an denen deutlich wird, dass Žižek die feministische Revolution offenbar komplett verschlafen hat. Ich habe auch eine Ahnung, warum das so ist. Wenn ich seine Argumentation richtig verstanden habe (ich bin mir da nicht sicher, denn er springt ziemlich hin und her), sieht er den Hauptfehler der bisherigen Männer-Revolutionen darin, dass es ihnen im Anschluss an eine Umwälzung nicht gelungen sei, dann auch wirkliche Veränderungen im Alltagsleben umzusetzen. Dies sei im Gegenteil dem Kapitalismus gelungen, weshalb der auch einstweilen „gewonnen“ hätte.
Ich denke, dass genau an dieser Stelle bei Žižek (wie bei anderen linken Kerlen, zum Beispiel dem auf dem Podium, das ich eingangs geschildert habe), eine falsche Reihenfolge in der Analyse dessen liegt, was Revolution bedeutet und wie sie sich abspielt. Ihre Vorstellung ist, dass Revolutionen ein „Ereignis“ erfordern, eine krisenhafte Situation, die alles umwälzt, und dass entschlossen handelnde „revolutionäre Subjekte“ dann in der Lage sind, diese Krisensituation zu nutzen, um etwas Neues (den Kommunismus oder so) einzuführen.
Entsprechend käme es für eine „linke“ Bewegung darauf an, sich auf diesen Moment „vorzubereiten“ (und Pläne in der Schublade zu haben), damit sie diese Zeit der weltgeschichtlichen Öffnung möglichst so nutzen können, dass die eingeführten Veränderungen auf eine bessere Gesellschaft hin später nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Meiner Ansicht nach verhält es sich aber genau anders herum: Durch viele erst einmal unscheinbare Handlungen und Diskussionen verändert sich der Alltag ohnehin laufend, und jede Menge „Revolutionäre“ (und „Revolutionärinnen“) haben daran Anteil. Die müssen dafür gar nicht „kerlig“ sein und auch nicht ihre Frauen und Kinder erschießen. Es reicht, wenn sie neue Lebens- und Wirtschaftsformen ausprobieren, wenn sie Einfluss nehmen auf die öffentliche Meinung, wenn sie überkommene Denkmuster hinterfragen, neue politische Praktiken erfinden und so weiter. Eben das tun, womit wir alle laufend beschäftigt sind.
Wenn dann ein „Ereignis“ eintritt, zeigt sich, wie erfolgreich sie damit waren. Es ist doch immer so, dass die symbolische Ordnung (die Werte, die Sitten, die Gesetze, das, was als „normal“ gilt) dem wirklichen Leben fast überall hinterherhinkt. Um nur mal ein ganz banales Beispiel zu nennen: Das Ehegattensplitting ist heute schon vollkommen unterminiert, niemand will es eigentlich so wirklich mehr haben. Aber das Gesetz existiert noch, als Zombie sozusagen. Ich wette meinen Kopf, dass, wenn wir mal eine „revolutionäre Situation“ haben sollten, das Ehegattensplitting hinterher weg ist.
Zumindest in der Geschichte der Frauen war es immer so. Nehmen wir etwa das allgemeine, geschlechtsunabhängige Wahlrecht. Über Jahrzehnte hinweg haben Frauen (und auch einige, gar nicht mal so wenige Männer) dafür gestritten und argumentiert, in Parlamenten, an Küchentischen und an Marktständen. Als dann Revolution war, wurde es überall quasi auf einen Schlag eingeführt (außer in Frankreich und der Schweiz, die zickten noch ein bisschen rum).
Revolutionäre Ereignisse oder andere Krisen, so wäre jedenfalls meine These, können nur das in die Realität umsetzen (oder eher: ermöglichen, dass es ans Licht kommt), was vorher in alltäglichen Experimenten und Debatten bereits vorbereitet wurde. Nicht mehr. Das jüngste Beispiel dafür ist die so genannte „arabische Revolution“. Die hauptsächlichen Akteure und Akteurinnen dieses „Ereignisses“ waren säkulare, „linke“ Aktivist_innen. Aber sie hatten, wie sich nun herausstellt, keinen nennenswerten Rückhalt in der Alltagskultur. Das, was dort vorbereitet worden war, ist vielmehr eine islamisch geprägte „Kulturrevolution“, wie die Wahl in Ägypten gezeigt hat, wo Muslimbrüder und Salafisten zusammen drei Viertel der Stimmen bekommen haben. Gegen diese Entwicklung im Anschluss an das krisenhafte „Ereignis“ hätte auch kein noch so entschlossen vorgehendes „revolutionäres Subjekt“ etwas unternehmen können.
Wenn wir also die Revolution wollen, dann müssen wir sie VOR dem „Ereignis“ so gut wie möglich vorbereiten, denn wenn das Ereignis erst einmal da ist, ist es zu spät.
Das zu wissen, erleichtert mich übrigens sehr, denn auch bei einer anderen „kerligen“ These Žižeks habe ich Bauchschmerzen. Er macht sich nämlich über jene Linken lustig, die sich vor einer wirklichen Krise fürchten, zum Beispiel vor einem richtigen Zusammenbruch der Finanzmärkte. Er geht zwar nicht mehr so weit wie die Theoretiker_innen der RAF, die eine solche Krise auf Teufel komm raus aktiv provozieren wollten, aber er sagt auch, dass man nicht zu ihrer Vermeidung beitragen sollte, dass man keine Angst haben darf, vieles von dem, was man hat und schätzt, zu verlieren.
Ich habe, ehrlich gesagt, schon Angst davor. Denn es ist einfach Fakt, dass bei solchen Krisen und „Ereignissen“ massenweise Menschen sterben und ebenso massenweise Menschen unvorstellbar leiden müssen. Ob es nun die zusammenbrechenden Finanzmärkte, der nächste Krieg oder die Klimakatastrophe sind – ich muss die nicht haben.
Aber wenn ein solches Ereignis, was wahrscheinlich ist, ganz ohne mein Zutun und ohne, dass ich es verhindern könnte, früher oder später eintritt – dann will ich wenigstens meinen Teil dazu beigetragen haben, dass wir darauf so gut wie möglich vorbereitet sind. Weil das, was dann geschehen wird, nämlich nichts anderes sein wird als das unausweichliche Ergebnis dessen, was wir vorher (also jetzt) tun.
Slavoj Žižek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011.
(Dieser Text erscheint in Graswurzelrevolution Nr. 367, März 2012)


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