Nicht erst seit dem berühmten Satz von Mary Daly „Wenn Gott männlich ist, dann ist das Männliche Gott“ ist das Geschlecht Gottes ein wichtiges Thema in der feministischen Theologie. Speziell der christlichen, denn im Unterschied zum Judentum und zum Islam ist der christliche Gott sozusagen ganz besonders männlich. Zum einen, weil Jesus als die Person, in der „Gott Mensch geworden ist“ ein Mann war, und zweitens, weil es im Christentum kein Bilderverbot gab, was bedeutet, dass Legionen von Künstlern Gott gemalt und in Stein gehauen haben, und zwar so gut wie immer in männlicher Gestalt.
Mein Theologiestudium liegt ja jetzt schon ein paar Jährchen zurück, und umso interessanter finde ich ein Buch zu lesen, in dem die Autorinnen der Frage nachgehen, was sich in den letzten Jahren – auch ausgelöst vom Gender-Trouble des Dekonstruktivismus – so in punkto Gott und Gender getan hat. Ich bin erst halb durch, aber ich das Buch enthält so viele kluge Gedanken, dass ich schon mal ein paar aufscheiben muss, um nicht alles wieder zu vergessen.
Helga Kuhlmann beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit der Frage „Wird Gott in Jesus Christus zum Mann?“. Die theologische Frage, die dahinter steckt, ist diejenige, ob das Geschlecht von Jesus sozusagen zufällig männlich war (nach dem Motto: Gott wollte Mensch werden, und da es die nur in den Varianten Mann und Frau gibt, musste er sich halt für eines entscheiden, er hätte genauso gut eine Frau werden können), oder ob Gott mit Absicht eine männliche Inkarnation gewählt hat, also eben nicht Mensch, sondern dezidiert Mann geworden ist.
Letzteres behaupten zum Beispiel diejenigen, die aus der Männlichkeit Jesu den Ausschluss der Frauen aus dem Priesteramt begründen (mit dem Argument, die Priester, die sozusagen stellvertretend für Christus das Abendmahl praktizieren, müssten diesem „ähnlich“ sein, und Männer seien ihm eben ähnlicher als Frauen). Diese Auffassung ist zwar auch heute noch verbreitet, aber natürlich nicht in der feministischen Theologie. Sie ist ja auch zu offensichtlich ein Deckmäntelchen, damit man sich nicht von alten patriarchalen Gewohnheiten trennen muss. Also sozusagen keiner echten Auseinandersetzung wert. (Oder höchstens ein Anlass, aus der Kirche auszutreten, was ja auch viele Frauen gemacht haben).
Die emanzipiert gebügelten Theologen von heute betonen natürlich, dass sie Gott keineswegs als männlich ansehen, benutzen aber dennoch weiter männliche Metaphern (Herr, Richter, König und so weiter) und sprechen von Gott immer als „er“ und nie als „sie“. Rein zufällig und bloß pragmatisch. Das ist die „Versuchung des Neutrums“, die glaubt, das Weibliche in männlichen Metaphern und männlicher Sprache mitmeinen zu können, was aber nicht funktioniert.
Neuerdings wird das noch weiter gedreht, wie Kuhlmann am Beispiel des Heidelberger Systematikers Wilfried Härle zeigt: Er verteidigt die männlichen Metaphern für Gott, weil dadurch eine größere Distanz zwischen Gott und den Menschen betont werde. Die Argumentation geht dann ungefähr so: Wenn wir alle Gottes Kinder sind, ist es besser, sich Gott als Vater vorzustellen, denn Mütter kümmern sich um einen, während Väter distanzierter sind und man sich auch ein bisschen vor ihnen fürchtet. So wie man es auch mit Gott tun soll. Diese Argumentation fällt natürlich in dem Moment in sich zusammen, wo Väter anfangen, sich anders zu verhalten als die patriarchalen Väter von früher. Die Metapher von „Gott als strengem Vater“ wäre demnach ein Auslaufmodell, das sich (hoffentlich) bald von selbst überholt, weil es keine patriarchalen, sondern nur noch fürsorgliche, quasi „mütterliche“ Väter gibt. Theologisch wäre dagegen einzuwenden, dass man hier mal über das Gottesbild diskutieren müsste. Ist es wirklich angemessen, sich Gott als distanziert, streng und ein bisschen zum Fürchten vorzustellen? Nö. Jedenfalls nicht angemessener, als sie sich als fürsorglich, helfend, schutzgebend vorzustellen.
(Kleiner Einschub: In demselben Band zeigt Gerlinde Baumann in ihrem Aufsatz „Ist der Gott des Alten Testaments männlich?“, dass Gott dort zwar als dezidiert „männlich“ geschildert wird, aber eher im Sinne von „königlich“. Sie stellt die kluge Überlegung an, dass die meisten Attribute von „herrschaftlich-königlicher Männlichkeit“ damals – wie übrigens auch heute – auf die meisten real-existierenden Männer gar nicht zutreffen).
Aber zurück zur Männlichkeit Jesu und was sie bedeutet. Helga Kuhlmann schlägt da eine dritte Denkrichtung vor (neben: Sie war Zufall und: Sie war Absicht), und zwar die Möglichkeit, dass sich in Jesus eine gegen den Strich gebügelte Männlichkeit zeigt. Jesus ist zwar unbestreitbar ein Mann, aber so wie er in den Evangelien geschildert wird, wird er nicht gerade als Paradebeispiel von „doing male gender“ geschildert. Sondern zum Beispiel als schutzbedürftiges Kind, als Weisheit (die weibliche Sophia), als Mitfühlender und so weiter. Kuhlmanns Argument ist, dass vor allem die „Leiblichkeit“ Jesu betont wird, und dass deshalb die Geschlechterdifferenz (er ist ein Mann und keine Frau) in der christlichen Systematik keine Rolle spielen sollte: Gott, so ihre Schlussfolgerung, wird in erster Linie Mensch und nicht Mann.
So sehr ich die Argumentation nachvollziehen kann und auch teile, so melden sich bei mir an dieser Stelle doch meine differenzfeministischen Fragezeichen. Denn die Männlichkeit Jesu bleibt dennoch eine Tatsache, auch wenn sie performanzmäßig unterlaufen wird und mir die Betonung von Jesu Menschlichkeit und Leiblichkeit durchaus Anknüpfungs- und Identifizierungsmöglichkeit gibt, auch wenn ich kein Mann, sondern eine Frau bin. Aber die Differenz ist damit ja längst nicht aufgehoben, denn wir beide – sowohl Jesus als auch ich – haben nach wie vor die ganze geschlechterdifferente Geschichte der vergangenen 4000 Jahre plus auf dem Buckel.
Mit anderen Worten: Ich werde mich mit Jesus niemals so identifizieren können, wie ein Mann es kann, da gebe ich dem Vatikan vollkommen Recht. Ich bin Jesus nicht in derselben Weise „ähnlich“, wie ein Mann es ist. Da ich aber natürlich die Schlussfolgerung des exklusiv männlichen Zugangs zum Priestertum (und den ganzen übrigen Rattenschwanz an Frauenfeindlichkeit, die das faktisch nach sich zog) nicht teilen kann, muss ich mir eine andere überlegen. Und zwar zunächst einmal die, dass die Männlichkeit Jesu für Frauen – und damit für das Christentum allgemein – ein PROBLEM bleibt, das sich nicht postgendermäßig auflösen lässt.
Nicht in dem Sinne, dass das Christentum deshalb für Frauen prinzipiell ungeeignet wäre. Auch nicht in dem Sinne, dass irgendjemand daran Schuld ist, denn ich sehe schon ein, dass Gott eben irgendetwas werden musste. Gott ist faktisch ein Mann geworden, was im Übrigen angesichts der patriarchalen Gesellschaftsstrukturen vor 2000 Jahren auch keineswegs Zufall war. Und damit müssen wir nun irgendwie zurechtkommen.
Dass an einem Problem niemand Schuld ist und dass man es nicht hätte verhindern können, bedeutet ja nicht, dass es kein Problem mehr wäre. Die Männlichkeit Jesu bleibt ein Problem, und diesem Problem muss man sich stellen, es lässt sich nicht de-konstruieren. Ich vermute, es lässt es sich auch nicht lösen. Möglicherweise könnte man das aber sogar zu einem Vorteil wenden im Vergleich zu den „geschlechtsneutraleren“ Varianten Judentum und Islam. Denn die Männlichkeit Jesu bleibt uns Christinnen ein ständiger Stachel im Fleisch und verhindert, dass wir uns in angeblich geschlechtsneutralen, faktisch aber eben doch männlich konnotierten Gottesmetaphern bequem einrichten.
Gerlinde Gerber, Silke Petersen, Wolfram Weiße (Hg): Unbeschreiblich weiblich? Neue Fragestellungen zur Geschlechterdifferenz in den Religionen. Berlin 2011.


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