Zum allgegenwärtigen Gesprächsthema Vorhaut-Beschneidungen hätte ich noch ein hübsches Fundstück beizusteuern, das ich am Freitag im Stift Melk gesehen habe: Es ist eines von 16 Altarbildern eines Flügelaltars von Jörg Breu dem Älteren aus dem Jahr 1502 und zeigt die Beschneidung von Jesus. Besonders nett finde ich, wie der kleine Racker mit einem roten Apfel abgelenkt wird.
Ansonsten habe ich mich diesbezüglich ja schon in unserem Podcast „Besondere Umstände“ um Kopf und Kragen geredet. Meine These, dass es nicht funktioniert, per Gesetz etwas festzulegen, das nicht vorher schon von einer sehr großen Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird, hat sich inzwischen nochmal bestätigt. Demnächst wird es in Deutschland wahrscheinlich ein Gesetz geben, das Beschneidungen aus religiösen Gründen ausdrücklich erlaubt.
Ich möchte an dieser Stelle noch etwas hinzufügen an die Adresse der Atheist_innen, deren entrüstete Tweets und Kommentare ich im Zuge dieser Debatte mit immer größerer Verwunderung lese. Und zwar wundere ich mich über den Absolutheitsanspruch, ja, die Arroganz, mit der sie ihre Ablehnung der religiösen Beschneidung argumentativ vertreten (beziehungsweise nicht vertreten). Ich kann hier keinerlei Bemühen erkennen, die eigene Sicht der Dinge argumentativ plausibel zu machen – und zwar nicht nur vor denen, die sowieso derselben Ansicht sind, sondern den „Andersgläubigen“ gegenüber.
Wie ich im Podcast schon gesagt habe, teile ich inhaltlich die atheistische Position weitgehend. Ich finde – soweit ich das überhaupt beurteilen kann, aufgrund von Gesprächen, die ich darüber mit Männern geführt habe – auch, dass die Vorhautbeschneidung an kleinen Kindern ohne medizinischen Anlass problematisch ist. Als religiöse Feministin habe ich sogar noch einen weiteren Kritikpunkt vorzubringen, nämlich den, dass mit der Beschneidung immer auch Männlichkeit religiös konstruiert wird, und zwar teilweise auf eine Art und Weise, die ich kritisiere.
Kleiner Exkurs an dieser Stelle: Ich habe mir auch schon überlegt, ob das Bedürfnis nach äußerlich sichtbaren Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft vielleicht ein speziell männliches Bedürfnis sein könnte, denn es ist aus meiner Sicht durchaus erklärungsbedürftig, warum die abrahamitischen Religionen sich für den „Bund mit Gott“ ausgerechnet ein körperliches Zeichen ausgesucht haben, das sich nur an Männerkörpern anbringen lässt und an Frauenkörpern nicht. Noch etwas wilder spekulierend weitergedacht könnte man das sogar in einen Zusammenhang mit der sich verbreitenden Praxis muslimischer Frauen bringen, ein Kopftuch zu tragen. Ist dieser Trend vielleicht gar nicht die Bekräftigung einer Geschlechter-Trennung, wie man oberflächlich vermuten könnte, sondern ganz im Gegenteil ein Hinweis auf eine Veremanzipierung der Musliminnen? Nämlich insofern sich dieses Bedürfnis des „Zeichen Tragens“, der demonstrativen Religionszugehörigkeit, nun auch unter Frauen ausbreitet?
Aber zurück zu meinem Thema, dem atheistischen Diskurs oder vielmehr dessen Verweigerung. Denn die Mehrheit der atheistischen Beiträge war, soweit ich es wahrgenommen habe, von einer krassen Unfähigkeit geprägt, auch nur irgendeinen Weg der Vermittlung der eigenen Ansicht zu suchen. Das Bild, das sie von heutiger Religiosität zeichnen, ist derart holzschnittartig und vereinfachend, dass sich kein religiöser Mensch ernsthaft davon angesprochen fühlen kann. Es gibt praktisch keinen Versuch, auf die Argumente und Bedürfnisse der Gegenseite einzugehen oder die eigenen Ansichten so zu begründen, dass dadurch irgendjemand zum Nachdenken angeregt werden könnte.
Stattdessen wird auf „Wahrheiten“ und „wissenschaftliche Tatsachen“ rekurriert, die angeblich nicht diskutabel sind – woraus sich dann logisch die Forderung aufbaut, diese mit Hilfe des starken Armes des Gesetzes durchzudrücken.
Nun, der Versuch ist gescheitert. Und nicht nur in Deutschland, und nicht nur in Sachen Beschneidung. Gerade las ich in der Zeitung, dass in Großbritannien ein Gesetz geplant ist, das die Rechte von Arbeitnehmer_innen, bei der Arbeit religiöse Symbole zu tragen, ausdrücklich schützt.
Ich glaube, die Atheist_innen leben derzeit ziemlich in einer (Berliner?) Filterbubble, was dazu führt, dass sie die gesellschaftliche Relevanz ihrer Weltanschauung grandios überschätzen. Sie versuchen, einen Machtkampf gegen die „Religiösen“ zu führen und deren Befindlichkeiten aus dem öffentlichen Raum konsequent zu verdrängen, übersehen aber, dass sie bei diesem Machtkampf aller Wahrscheinlichkeit nach unterliegen werden. Denn Recht haben nutzt überhaupt nichts, wenn die anderen – und in diesem Fall sehr viele anderen, nämlich die Mehrheit – die Sache anders sieht. Eine politische Ansicht lässt sich nicht „beweisen“, man muss dafür werben. Es gibt im Bereich des Politischen nicht „wahr“ und „falsch“, sondern nur „mehrheitsfähig“ oder „nicht mehrheitsfähig“.
Und so hat der atheistische Ruf danach, dass der Staat und der Gesetzgeber religiöse Befindlichkeiten in öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr berücksichtigen soll, lediglich dazu führt, dass religiöse Befindlichkeiten erst recht sichergestellt und gesetzlich verankert werden. Ende der Debatte.
Da ich keine Angst vor Religionen habe, weil ich weiß, dass religiöse Menschen keine fanatischen Dummköpfe auf dem Stand eines mittelalterlichen Denkens sind, könnte mir diese absehbare Niederlage des atheistischen Kampfes für den Laizismus erstmal egal sein. Aber ich finde es dennoch bedauerlich, weil ich die atheistische Rationalität nämlich eigentlich schätze, ebenso wie die Bereitschaft, angebliche unverrückbare Wahrheiten zu hinterfragen und zu kritisieren. Ich wünsche mir, dass sie einen ernstzunehmenden Anteil am öffentlichen Diskurs hat. Auch weil in der Auseinandersetzung mit den fundamentalistischen Anteilen und Trends innerhalb der Religionen, die freiheitlich gesonnene Menschen wie ich innerhalb ihrer eigenen Glaubensgemeinschaften ja ständig führen (müssen), ein bisschen Rückenstärkung aus dieser Ecke schon ganz gut wäre.
Wirklich schade, dass da wenig Brauchbares kommt.

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