Gestern war ich bei der Frankfurter Buchmesse und hörte einen Talk mit Jakob Augstein über die Frage, ob und wie Blogs den Journalismus verändern.
Kurz zusammengefasst seine These: Gar nicht sehr, denn die klassischen Medien bestimmen weiterhin den Diskurs, und das kann angesichts ihrer Professionalität, ihrer finanziellen Ressourcen und ihrer Reichweite auch gar nicht anders sein. Unterm Strich seien Blogs und Internetdiskussionen eigentlich nur Resonanzverstärker für die Themen, die von den großen Zeitungen gesetzt werden, letzten Endes nützen sie diesen höchstens zur Verbesserung ihrer Qualität und dienen damit dem weiteren Ausbau ihres Machtvorsprungs.
Verbloggen möchte ich aber nicht so sehr dieses Thema, sondern vielmehr das starke Gefühl von Fremdheit, das ich bei dieser Veranstaltung empfand. Der spontane Impuls entsprang dabei sicherlich dem Umstand, dass Augstein von Habitus und Körpersprache her ziemlich exakt jenen Typus von Männlichkeit verkörpert, den ich vor einigen Jahren schon am Beispiel von Frank Schirrmacher analysiert habe. Dieser Gestus einer inszenierten „Virilität“ ist etwas, das mir immer seltsamer erscheint, je länger ich weiß, dass er mit mir – einer Frau – aber auch gar nichts zu tun hat.
Dieses starke Erleben von „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ formuliere ich dabei ausdrücklich nicht stellvertretend für andere Frauen, und ich will betonen, dass ich es in der Begegnung mit vielen Männern auch überhaupt nicht habe. Aber ich bin sicher, dass die Tatsache, dass ich eine Frau bin, und Augstein ein Mann, dabei nicht unerheblich ist.
Es bekam gestern jedoch über den Habitus hinaus noch eine inhaltliche Erweiterung. Während ich zuhörte, ging mir permanent durch den Kopf: „Ich verstehe, was er sagt, und ich glaube sogar, dass er recht hat, aber es hat für mich persönlich keinerlei Bedeutung.“
Relevanz zum Beispiel bemaß Augstein ausschließlich nach Kriterien der Macht, bis dahin, dass er „dezentralen“ Debatten, wie sie zum Beispiel in Blogs geführt werden, die Qualität, ein öffentlicher Diskurs zu sein, gänzlich absprach. Öffentliche Diskurse, so formulierte er es, könnten nur „zentral“ stattfinden, dies sei seit der antiken „Agora“ so: Worüber nicht wirklich alle sprechen, das verbleibe sozusagen im Privaten, selbst wenn es, wie im Internet, öffentlich zugänglich ist. Woraus dann natürlich zutreffenderweise folgt, dass wirklich öffentliche Debatten allein und ausschließlich von solchen Medien geführt werden, die aufgrund ihrer Machtposition Themen so pushen können, dass letztendlich alle darüber reden.
Eine Rolle spielt bei meiner Distanz zu dieser Art Denken sicherlich die Auseinandersetzung mit dem Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, denn derzeit höre ich den Begriff „Macht“ immer auf diesem Hintergrund. Das heißt nicht, dass Augsteins Analyse nicht zutreffend wäre, das ist sie in der Tat, wenn man – wie er – in der griechischen Polis den Ursprung dessen sieht, was „Politik“ ist. Aber ich, eine Frau, kann diesen Ursprung nicht akzeptieren, denn er ist ja gleichbedeutend mit dem Ausschluss von meinesgleichen aus eben dieser Politik.
Ich weiß hingegen – unter anderem Dank dem Feminismus – dass Relevanz für die Allgemeinheit und Relevanz für mich selbst nicht einfach zwei verschiedene Dinge sind, die sich analog zur Unterscheidung von „Privat“ und „Öffentlich“ verhalten (der Tod meiner Großmutter ist für mich „privat“ relevant, aber nicht für die Allgemeinheit). Vielmehr weiß ich – weil ich es in vielerlei Hinsicht erlebt habe – dass die Bedeutung, die ich persönlich den Dingen beimesse, einen realen Einfluss in der Welt hat, auch wenn dieser nicht spektakulär in Erscheinung tritt.
„Wenn ich mein Verhältnis zur Welt verändere, verändert sich die Welt“, hat Chiara Zamboni das einmal formuliert. Die Veränderung, die zum Beispiel durch eine neue Idee, eine neue Erkenntnis, eine neue Bedeutung, die im Gespräch zwischen wenigen gefunden wird, entsteht, ist ganz radikal und ganz unscheinbar zugleich. Das Neue kommt nicht mit Pauken und Trompeten in die Welt, es wird meist von den Vielen, vom Mainstream, eine ganze Weile lang übersehen. Aber dennoch ist es da und nicht mehr aus der Welt zu schaffen: Dadurch, dass jetzt denkbar ist, was vorher noch undenkbar war, ist alles grundlegend anders geworden.
Vielleicht versuche ich es an einem Beispiel zu verdeutlichen: In dem Moment, wo ich einen Begriff von weiblicher Freiheit gefunden hatte (ermöglicht durch das Denken und das Engagement anderer Frauen, von denen ich lernte), war die Welt nicht mehr dieselbe. Die Welt war zwar noch immer geprägt von patriarchalen Strukturen, aber sie hatten mich nicht mehr in gleicher Weise im Griff: Ich hatte einen anderen Maßstab gefunden, an dem ich mich orientieren konnte, und das hatte ganz unmittelbare und reale Konsequenzen auf mein Leben, auf das, was ich tat, auf die Beziehungen, die ich einging, und auf diejenigen, die ich löste. Damit war es nicht mehr nur von privater Bedeutung, sondern auch von Bedeutung für die Welt.
Revolutionen vollziehen sich nicht so, wie die Männer es sich in ihren bisherigen politischen Theorien ausgemalt haben: Dass mit einem großen, heroischen Bruch die alten Könige vom Thron gestoßen werden und andere die Macht übernehmen – dass zum Beispiel, um beim Thema des gestrigen Talks zu bleiben, die Blogger den traditionellen Zeitungen auf spektakuläre Weise die Diskursmacht entreißen. Diana Sartori hat diesen Irrtum (dem übrigens auch Frauen aufsitzen können) in einem Video sehr schön beschrieben.
Man kann natürlich in den Randdiskursen (die übrigens nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal vorwiegend im Internet stattfinden, aber doch dadurch eine andere Dynamik und potenzielle Reichweite bekommen) lediglich einen Resonanzboden für den auf Macht basierenden Diskurs sehen. Man kann es aber auch andersherum wenden: Auch wenn das Neue, das an den Rändern und im „Pseudoprivaten“ entsteht, zunächst unspektakulär wirkt, so entfaltet es doch Wirkung und prägt die Realität. Und irgendwann können sich dann auch die Mainstreamdiskurse diesem Neuen nicht länger verschließen – in Wirklichkeit sind sie der Resonanzboden, der dann in großen Lettern hinausruft, was in Wirklichkeit schon längst bekannt ist.

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