
Dies ist Teil 2 der Reihe „Letz Talk about Schwangerwerdenkönnen“
Menschen kommen auf die Welt, indem sie als kleine hilflose überlebensunfähige Wesen aus dem Körper einer schwangeren Frau* herausrutschen. Das bedeutet, dass Bedürftigkeit und das Angewiesensein auf die Hilfe anderer eine conditio humana ist, also eine Grundbedingung des Menschseins. Es bedeutet auch, dass es in menschlichen Gesellschaftlichen Regelungsbedarf gibt für den Fall, dass eine Schwangerschaft eintritt. Geregelt werden muss insbesondere, wie die Verantwortung für diesen Neuankömmling auf der Welt unter den Erwachsenen verteilt wird.
Die Tatsache, dass manche Menschen schwanger werden können und andere nicht bedeutet, dass Frauen* und Männer* einen unterschiedlichen Zugang zu diesem Thema haben. Zwar besteht zwischen ihnen noch eine Gleichheit, was die Zeugung eines Kindes betrifft – das ist nämlich einem Menschen allein nicht möglich, es braucht zwei dafür. Aber nicht alle Menschen haben dann gleichermaßen die Möglichkeit, dieses gezeugte Zellhäuflein auch wachsen zu lassen und zu gebären.
Wenn wir uns mal für einen Moment vorstellen, es gäbe überhaupt keine kulturellen Regeln in diesem Bereich, keine sozialen Beziehungsnormen und verbindliche Abmachungen, dann hätten Männer* aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit keinerlei Möglichkeit, eine Elternschaft zu planen – denn sie wüssten ja nie, ob die Frau*, mit der zusammen sie ein Kind gezeugt haben, auch neun Monate später noch irgendwo in der Nähe ist oder etwas mit ihnen zu tun haben möchte. Frauen* hingegen wären, falls sie schwanger werden, mit der Verantwortung für das Kind völlig auf sich gestellt – denn sie könnten ja nie wissen, ob der Mann*, mit dem sie zusammen das Kind gezeugt haben, neun Monate später noch da ist oder etwas mit ihnen oder mit dem Kind zu tun haben möchte, und sie könnten das auch von keinem anderen Menschen wissen.
Der einzige Mensch, der bei der Geburt eines Kindes mit hundertprozentiger Sicherheit anwesend ist – ohne dass es dafür irgend einer sozialen Regelung bedarf – ist die Mutter, denn aus ihrem Körper heraus kommt das Kind auf die Welt. Die Mutter kann sich nicht dafür entscheiden, bei der Geburt ihres Kindes nicht dabei zu sein. Die Anwesenheit jeder anderen Person hingegen (des biologischen Vaters, eines sozialen Vaters, einer Hebamme, einer Ärztin oder eines Arztes, von wem auch immer) ist entweder kontingent, also „zufällig“ in dem Sinne, dass diese Person auch nicht anwesend sein könnte, oder eben sozial vermittelt, also durch gesellschaftliche Regeln gewährleistet.
Der kulturelle Regelungsbedarf dreht sich also im Kern um zwei Grundthemen: die Frage, welche Unterstützung eine schwangere Frau* durch die Allgemeinheit erfährt, und die Frage, welche „Rechte“ die Allgemeinheit, die Männer* oder bestimmte andere Menschen in Bezug auf das Kind haben, das im Körper einer Schwangeren heranwächst – unter Umständen auch gegen ihren Willen. Im Detail müssen zum Beispiel für folgende Fragen Antworten gefunden werden:
Gibt es für Menschen, die schwanger sind und/oder rund um die Geburt eine Unterstützung? Was für eine? Wer kommt für diese Unterstützung auf, die Allgemeinheit oder bestimmte andere Menschen? Müssen die Schwangeren irgendwelche Bedingungen erfüllen, um in den Genuss solcher Unterstützung zu kommen? Welche? Oder müssen die Schwangeren selbst sehen, wo sie bleiben und wie sie zurechtkommen?
Wird von Menschen, die ein Kind gebären, erwartet, dass sie sich anschließend um das Neugeborene kümmern? Wie lange? Oder gibt es andere, die dafür ebenfalls zuständig sind? Wer ist das und unter welchen Bedingungen? Wie wird sichergestellt, dass die Betreffenden ihrer Verpflichtung auch nachkommen?
Können Menschen, die schwanger sind, entscheiden, ob sie das Kind austragen möchten oder nicht? Wer bestimmt darüber, was mit neugeborenen Kindern geschieht? Was davon fällt in den Entscheidungsbereich derjenigen, die das Kind geboren hat? Was davon fällt in den Entscheidungsbereich der Allgemeinheit oder bestimmter anderer Menschen? Welcher anderen Menschen? Werden für all das von der Gesellschaft Bedingungen gestellt, stehen dafür Ressourcen zur Verfügung? Wer entscheidet darüber konkret?
Das Problem bei all diesen Fragen ist, dass ihre Beantwortung jeweils unterschiedliche Folgen – Vorteile oder Nachteile – für Frauen* und Männer* hat. Beschließt eine Gesellschaft zum Beispiel, Schwangeren eine Art „Verdienstausfall“ zu zahlen (weil sie eine Zeitlang nicht in gleicher Weise wie Nichtschwangere selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können) oder eine gute, von der Allgemeinheit finanzierte Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, dann werden Männer* nie in den Genuss dieser Vorteile kommen, weil sie ja von vornherein wissen, dass sie nicht schwanger werden können. Beschließt eine Gesellschaft hingegen restriktive Regeln für den Vorgang der Schwangerschaft (zum Beispiel ein Abtreibungsverbot), dann müssen Frauen* damit rechnen, davon betroffen zu sein, nämlich in dem Fall, dass sie schwanger werden, Männer* können aber sicher sein, dass sie niemals davon betroffen sind.
Das bedeutet, dass das Konzept der „Gleichheit“ für Regelungen in diesem Bereich nicht funktioniert, weil eben Männer* und Frauen* aufgrund ihrer körperlichen Unterschiede nicht gleichermaßen von solchen Regelungen betroffen sein können.
Die „Lösung“, die nun die patriarchale Kultur für diese Herausforderung erdacht hat, war die Erfindung der „heterosexuellen Matrix“. Die Idee ist gewissermaßen, dass die körperliche Differenz innerhalb der menschlichen Spezies in Bezug auf die Fortpflanzung – und damit das „Problem“, dass es in Bezug auf Schwangerschaftsregelungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu Interessenkonflikten zwischen den männlichen* und weiblichen* Individuen kommt – nivelliert wird, indem nicht in Individuen, sondern in heterosexuellen Paaren gedacht wird. Man „bindet“ sozusagen immer einen Menschen, der schwanger werden kann, und einen anderen, der nicht schwanger werden kann, zusammen: Die kleinste gesellschaftliche Einheit ist dann nicht mehr der einzelne Mensch, sondern das Frau-Mann-Paar. Damit muss die Gesellschaft als Ganze sich nicht mehr um die lästige Differenz zwischen „Gebärenden“ und „Nichtgebärenden“ kümmern. Von jeder Regel ist ja jedes Paar gleichermaßen betroffen, eventuelle Konflikte sind dann bitte intern auszutragen und „Privatsache“.
Die gesamte westlich-patriarchale Konstruktion von Geschlecht ist darauf ausgerichtet, dieses System zu stabilisieren. „Legitime“ Kinder dürfen nur innerhalb eines heterosexuellen Ehepaares entstehen – daher das Verbot der außerehelichen Sexualität. Um die Nachteile, die den Männern* aus diesem Arrangement im Vergleich zum ungeregelten Zustand entstehen (denn sie müssen ja jetzt die Last und Mühe und den Umstand des Kinderkriegens und die Sorge um die Neugeborenen mittragen, obwohl sie selbst gar nicht schwanger werden und das Problem also „eigentlich“ gar nicht hätten) entsteht die sehr starke symbolische Figur des „Vaters“, die mit gesellschaftlicher Macht und Privilegien ausgestattet wird – vor allem Macht über „ihre“ jeweiligen „Ehefrauen“ und die Kinder, die diese gebären.
Die Nachteile, die den Frauen* wiederum aus diesem Arrangement entstehen (die Aufgabe ihrer Autonomie und persönlichen Eigenständigkeit) wird mit dem Verweis auf eine angebliche weibliche „Natur“ oder eine göttliche „Schöpfungsordnung“ legitimiert und durch frühkindliche Konditionierung hin zur „Selbstaufopferung“ und zur Ausbildung angeblicher „mütterlicher Instinkte“ abgesichert.
Aber weil das noch nicht reicht, entsteht ein ausgefeiltes Rechts-, Glaubens- und Wissenschaftssystem, das diese zweigeschlechtliche Ordnung festschreibt und es nahezu unmöglich macht, etwas anderes auch nur in Betracht zu ziehen. Die heterosexuelle Matrix durchzieht die Beziehungen zwischen Männern* und Frauen* auf einer sehr grundsätzlichen Ebene, auch in Bereichen, die mit dem Schwangerwerden und Gebären gar nichts zu tun haben (wie zum Beispiel bei der Frage, wer fürs Kochen oder Fensterputzen zuständig ist). Wo man auch hinschaut, ist unser Denken und unsere kulturelle Struktur von Pseudo-„Ehepaaren“ durchzogen, die klar geschlechtlich konnotiert sind – Körper und Geist, Gefühl und Verstand, Bauch und Kopf, Privat und Öffentlich….
Also: Alles, was wir über Frauen und Männer sagen, ist eine soziale Konstruktion, und nicht nur das – die patriarchale Konstruktion der Geschlechterdifferenz in Form von heterosexuellen „Ehepaaren“ prägt nicht nur das Verhältnis von Frauen und Männern, sondern das gesamte Denken und die gesamte Kulturproduktion. Aber es ist wichtig, zu sehen, dass diese Konstruktionen eben nicht in einem luftleeren Raum und willkürlich entstanden sind, sondern dass sie von ihrem Ursprung her eine Herausforderung bearbeiten, die sich für menschliche Gesellschaften aufgrund der biologischen Beschaffenheit ihrer Spezies tatsächlich stellt.
Oder anders gesagt: Wenn wir die heterosexuelle Matrix untergraben wollen, wenn wir das Modell des Mann-Frau-Paares durch etwas anderes, besseres ersetzen möchten – durch freie Individualität, durch andere Vorstellungen von Familie, durch vielfältigere Beziehungskonstellationen – dann wird das meiner Ansicht nach nur gelingen, wenn wir die oben gestellten Fragen zum Umgang mit Schwangeren und Neugeborenen bewusst stellen und andere, bessere Regelungen finden. Dafür brauchen wird Denkmodelle, die die Tatsache, dass es eine körperliche Differenz zwischen Frauen* und Männern* im Bezug auf Schwangerschaft und Geburt gibt, nicht umschiffen oder kleinreden, sondern sie realistisch ins Auge fassen.

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