
Ich sitze im Zug nach Hamburg zum Kirchentag und vertreibe mir die Zeit damit, das Programm durchzusehen. Dafür gibt es diesmal auch eine App, was praktisch ist, da man nach Stichworten suchen kann.
Einfallslos, wie ich bin, beginne ich mit „feminis…“ und finde gerade mal drei Einträge: Ein Podium zum Thema „Mahlzeit“, eines zum Thema „Was ist gerecht in Sachen Geschlecht?“ und ein Workshop zum „Feminismus junger Frauen“. Das soll alles gewesen sein?
Ich versuche es noch einmal mit „weiblich“ und bekomme wieder drei Treffer, immerhin andere. Einer davon ist mein eigener Workshop zum Thema „Beziehungen unter Frauen“, dann gibt es noch ein Podium mit dem grauenvollen Titel „Weiblich, revolutionär, jung. Frauen verändern die Gesellschaft“ sowie ein Bibliodrama über Tamar.
Hm, ein bisschen mau für eine Großveranstaltung dieses Formats mit 1900 Mitwirkenden (davon, habs grob gezählt, ungefähr 700 Frauen, also 37 Prozent). Ich vermute mal sehr, dass es auch noch andere Veranstaltungen mit feministischem Anspruch gibt. Aber leider sind sie für mich nicht auffindbar.
Bei früheren Kirchentagen war das klarer. Da gab es jeweils eine feministisch-theologische Basisfakultät in der Messe und ein Frauenzentrum an einem anderen Ort in der Stadt, und an beiden Anlaufstellen konnte die feministisch anspruchsvolle Besucherin sicher sein, durchgängig ein entsprechendes Angebot zu finden.
Das Frauenzentrum gibt es diesmal nicht, es wurde durch ein „Zentrum Geschlechtergerechtigkeit“ ersetzt. Nicht, dass ich prinzipiell etwas gegen Geschlechtergerechtigkeit hätte, aber wenn sie Feminismus verdrängt, werde ich furiant. Ein genauer Blick auf das Programm bestätigt meine Vorbehalte. In diesem Zentrum scheint man pingeligen Wert darauf gelegt zu haben, dass es genauso viel um Männer wie um Frauen geht (was, Frauen haben die höchst erfolgreiche Veranstaltungsform „Frauenmahle“ erfunden? Ach, da brauchen wir nun aber auch ein Männermahl, sonst wäre es doch ungerecht!“).
Viele Veranstaltungen drehen sich um die Frage, was Geschlecht überhaupt sei, wie Geschlechter zueinander stünden und so weiter. Nicht, dass das total uninteressant wäre (ich selbst bin dort morgen früh auf einem Podium zum Thema „Wie wird Geschlecht geprägt?“), das kann man schon machen. Aber es ist eben etwas komplett anderes als feministische Theologie oder feministische Gesellschaftsanalyse.
Mich interessiert nicht das Verhältnis von Frauen und Männern und anderen Geschlechtern, sondern mich interessieren Ansätze, die von der weiblichen Freiheit ausgehend eine Veränderung der traditionell männlich dominierten und von patriarchalen Strukturen verseuchten Verhältnisse anstreben. Feminismus ist für mich kein „Thema“, sondern eine Grundhaltung bei der Bearbeitung aller nur denkbaren Themen.
Zum Beispiel also so was, wie im ersten oben erwähnten Treffer: die Auseinandersetzung mit dem Thema Essen/Abendmahl. Die findet statt in der feministisch-theologischen Basisfakultät auf der Messe, die diesmal aber leider nur einen Tag dauert. Nun ist das Thema Essen/Abendmahl zweifellos wichtig, aber was, wenn ich mich ausgerechnet dafür zufällig gar nicht interessiere? Oder wenn ich am Freitag und Samstag auch noch was besuchen möchte?
Dann bliebe mir nur übrig, mich auf gut Glück in irgendeine Veranstaltung zu begeben, die mir vom Thema her zusagt. Das ist aber für mich keine Option. Denn es gibt im Bereich der Christenheit bekanntlich eine große Vielfalt an Strömungen und Bewegungen, und darunter auch sehr sehr sehr viele, die die Erkenntnisse der feministischen Theologie vollkommen ignorieren.
Als großer Fan von Pluralität habe ich damit im Prinzip auch kein Problem. Ich will aber diesen Leuten und ihren Veranstaltungen aus dem Weg gehen können. Ich will nicht zufällig irgendwo hineingeraten, wo Gott permanent als „Herr“ bezeichnet wird oder man sich über die Bibel in gerechter Sprache lustig macht. Ich will sicher sein, dass Veranstaltungen, die ich besuche, ein Mindestmaß an feministischem Niveau haben. Und Label wie „feministisch“ oder „findet im Frauenzentrum“ statt, hatten bisher diese Funktion.
Wie gesagt, ich bin realistisch genug, zu akzeptieren, dass andere Christinnen und Christen andere Ansichten und Überzeugungen in punkto weibliche Freiheit haben als ich. Doch diesen geschwisterlichen Gleichmut bringe ich nur auf, wenn ich sie nicht allzu oft ertragen muss (über die Frage, inwiefern Toleranz und Pluralismus erfordern, dass man sich nicht dauernd begegnet, sondern sich bei Bedarf auch aus dem Weg gehen kann, denke ich momentan eh viel nach, Stichwort Filterbubble, da kommt wohl noch mal was nach).
In anderen Worten: Ich will wählen können, ob ich mich mit meinen antifeministischen oder unfeministischen Glaubensgeschwistern streiten will/muss oder ob ich an aktuellen feministischen Themen weiter nach vorne denken möchte. Und diese Wahl habe ich nur, wenn es ein Label gibt, das mir mitteilt: Hier kannst du sicher sein, keine patriarchalen Zumutungen ertragen zu müssen. Hier wird ein bestimmtes feministisches Grundwissen und Reflektionsniveau garantiert. Der Kirchentag gibt mir diese Möglichkeit nicht, weil er das Frauenzentrum und das Label „feministisch“ gestrichen hat. Und deshalb ist sein Programm für mich ganz überwiegend uninteressant.
PS: Lehre für feministische Veranstaltungen beim nächsten Kirchentag: Unbedingt das Wort „feministisch“ in den Ausschreibungstext reinschreiben, damit diese Veranstaltungen von der App gefiltert werden.

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