Die Pariser Kommune (1871) ist vor allem für ihr Scheitern bekannt geworden, für die militärischen Auseinandersetzungen, die Barrikaden und natürlich das Blutbad, als französische Regierungstruppen Zehntausende innerhalb von einer Woche niedergemetzelt haben.
Mir hat das schon bei der Arbeit an meiner Diss missfallen, wo ich mich mit der Kommune beschäftigte, weil zwei der vier Frauen, deren politische Ideen ich dabei untersuchte, Aktivistinnen der Kommune waren, nämlich Elisabeth Dmitrieff und André Léo. Es war ziemlich mühsam, hinter all den Schilderungen von Schlachten zu den politischen Ideen durchzudringen, die die Kommunard_innen bewegten, und erst recht zu denen, die sich mit dem Geschlechterverhältnis beschäftigten.
Deshalb habe ich sehr gerne das neue Buch „Communal Luxury: The Political Imaginary of the Paris Commune“ von Kristin Ross gelesen, in dem sie die Kommune einbettet in einen breiteren Diskurs über das gute Leben, über Visionen von einer gerechten und freien Gesellschaft (auch wenn sie sich leider nicht mit den Ideen von Frauen beschäftigt, sondern sich sehr auf die männlichen Protagonisten beschränkt).
Sie beginnt ihre Erzählung bei der Vorgeschichte der Kommune, wo sich in revolutionären Klubs und sozialistischen Gruppen bereits die Ideen, die dann in der Kommune umzusetzen versucht wurden, vorbereiteten, und sie schildert, welche Nachwirkungen die Kommune für die politische Ideengeschichte hatte, wobei sie sich – aus meiner Sicht etwas willkürlich – auf drei Männer konzentriert, nämlich William Morris, Elisée Reclus und Peter Kropotkin.
Aber es ist sehr lehrreich, welche Themen und Impulse sich rund um das politisch-kulturelle Projekt „Kommune“ herausdestillieren lassen, und vor allem wie aktuell und nach wie vor zentral sie sind: politische Verfassung, Bildung, Kunst und Arbeit.
Universelle Republik
In politischer Hinsicht vertrat die Kommune die Idee einer „Universellen Republik“, also eine konsequente Ablehnung jeglicher nationalistischer Politik. Die Kommune verstand sich als international, Ausländer hatten in ihr wichtige politische Ämter (Frauen hingegen blieben weiterhin ausgeschlossen).
Kristin Ross untersucht den Unterschied zwischen einer „universal republic“ und dem „republikanischen Universalismus“ (gegen den die Kommune aufbegehrte): Ein Republikanismus, der sich als universell versteht, stülpt anderen die eigenen Maßstäbe über und verlangt von den „Fremden“ Anpassung. Eine „universelle Republik“ hingegen akzeptiert Differenzen und findet politische Aushandlungsformen, an denen sich alle beteiligen können, ohne vorab schon Bekenntnisse irgendeiner Art ablegen zu müssen.
Diesen Punkt fand ich nicht nur interessant, weil er heute noch so aktuell ist, sondern auch, weil sich in den 140 Jahren seither etwas Wichtiges verändert hat: nämlich die nationalistische Einverleibung von Klassenkonflikten. Am Beispiel der Austeritätspolitik zeigt sich ja sehr gut, wie Konflikte, die eigentlich mit Klassenzugehörigkeit, mit Reichtum und feudaler Elitenbildung zu tun haben, von den Regierenden zu nationalen Konflikten erklärt werden (Deutsche gegen Griechen). Ein Meilenstein war dabei natürlich der Erste Weltkrieg, wo die sozialistischen Parteien keine gute Figur machten, der anschließende Sieg des Bolschewismus in Russland, was dazu führte, dass die „Systemfrage“ zu einer Frage zwischen Ländern wurde, und dann schließlich der National-Sozialismus.
Zu Zeiten der Pariser Kommune hingegen war die Arbeiterbewegung noch eindeutig international, die unteren Klassen (ob bäuerlich oder proletarisch) waren, wenn überhaupt, regional verankert, aber nicht speziell einer Nation verbunden. Was ich nicht wusste war, dass diese Zuordnung auch von Seiten der „Bourgeoisie“ so mit verankert wurde, weil viele bürgerliche Ideologen, die ja das „Nation-Building“ wesentlich betrieben, die Arbeiterinnen und Arbeiter gar nicht als Teil dieser Nation ansahen.
„Integrale Bildung“
Der zweite Punkt, der rund um die Kommune wichtig war, ist das Konzept einer „integralen Bildung“. Das Thema war auch schon in frühsozialistischen Bewegungen und auf den vorhergegangenen Kongressen der Ersten Internationale diskutiert worden. Bildungsreformen waren einer der wichtigsten Aktionen der Kommune (maßgeblich vorangetrieben von Frauen, über diesen Punkt radikalisierten und politisierten sich viele Lehrerinnen wie etwa auch Louise Michel).
In der Literatur darüber wird der Punkt meistens auf den Kampf gegen die konfessionellen Schulen reduziert. Aber es ging um viel mehr als darum, den kirchlichen Einfluss zurückzudrängen. Es ging um ganzheitliche Bildungskonzepte, die zum Beispiel auch die Trennung zwischen „Hand- und Kopfarbeit“ aufheben. Es ging also nicht nur darum, dafür zu sorgen, dass auch Kinder aus Arbeiterfamilien Zugang zu intellektueller Bildung bekamen, oder darum, Mädchen und Jungen dieselben Bildungschancen zu ermöglichen. Genauso wichtig war es, allen Kindern – auch denen mit bourgeoisem Familienhintergrund – eine praktische, handwerkliche Ausbildung zu geben.
Niemand sollte sozusagen nur mit dem Kopf oder nur mit den Händen arbeiten können, sondern „integrale“ Bildung bedeutete, diese Trennung aufzuheben, eben nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen, sondern aus der Überlegung heraus, dass Menschen vielfältige Begabungen haben und sich nicht nur auf einen Tätigkeitsbereich beschränken sollen, und dass praktisches Arbeiten und Nachdenken über die Arbeit zusammengehören, um sinnvolle Ideen entwickeln zu können.
Kunst im Alltag
Damit zusammen hängt auch eine Neubewertung von Kunst, die in der Kommune einerseits hoch geschätzt wurde, andererseits aber von ihrem Sockel gestoßen und den Nimbus des Elitären verlor. Die Idee war, Kunst im Alltag der Menschen zu installieren, einen Sinn für Schönheit zu pflegen, also die Trennung zwischen „hoher“ Kunst und Kunsthandwerk aufzulösen.
Natürlich sollte auch niemand sozusagen hauptberuflich Kunst machen, sondern es ging darum, die künstlerischen Adern aller zu pflegen und ihnen Ausdruck zu verleihen. Dabei stellte die Kommune künstlerische Schönheit dem sinnlosen Konsum entgegen, setzte sich also sowohl von angeberischer Verschwendung ab als auch von Enthaltsamkeit und Askese: gemeinschaftlicher Luxus war eben die Idee.
Lebensunterhalt und Arbeit trennen
Damit zusammen hing auch Vorstellungen vom Ende der Lohnarbeitslogik: Die bedingungslose Versorgung aller Menschen mit dem Lebensnotwendigen wurde in der Kommune unabhängig von der Erwerbsarbeit konzeptioniert. Die Organisation der Versorgung der Bevölkerung auf der einen und die Organisation der Arbeit in der Herstellung des Notwendigen auf der anderen Seite wurden tendenziell voneinander getrennt, was die Grundlage für weitergehende theoretische Überlegungen im Nachgang der Kommune war – und in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens ja bis heute diskutiert wird.
Auch hier war das nicht als isolierte sozialpolitische Maßnahme gedacht, sondern als eine grundlegende Neuordnung der Kultur, ich würde sagen: eine Neuordnung, die vom guten Leben für alle her denkt.
(PS. Dazu passend mein Blogpost „Weniger Marx, mehr André Léo“
Kristin Ross: Communal Luxury: The Political Imaginary of the Paris Commune, 21,89 (print), 17,58 (e-Book), 2015. Das Buch gibt es auch in Französisch.

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