Seit einiger Zeit läuft eine interessante Debatte über Eifersucht in Zeiten sozialer Netzwerke. Viel davon handelt direkt von der Liebe im klassischen Sinne, aber der Aspekt, der mich beschäftigt, ist der etwas breitere Blick auf Beziehungen allgemein. Denn die Öffentlichkeit unserer Beziehungsstrukturen ist, so glaube ich, eine ziemliche Herausforderung und möglicherweise „gefährlicher“ als die Verfügbarkeit von Daten allgemein. „Gefährlich“ allerdings in einem produktiven Sinne – nämlich so, dass es uns dazu zwingt, unsere sozialen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu verändern. Zu verbessern, wie ich meine.
Wir sind alle ziemlich komplexe Persönlichkeiten mit einer wechselhaften Geschichte, was normalerweise dazu führt, dass wir in sehr vielfältigen, unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Beziehungsnetzen zuhause sind: Die Eltern, Geschwister und Cousinen, die alten Schulkameraden, die Arbeitskolleginnen und Kunden, die Leute aus diversen politischen Projekten, die näher und ferner stehenden Bekannten, die Nachbarinnen, die im Laufe des Lebens angesammelten Freundinnen und Freunde. Sie alle kennen uns tendenziell aus einer bestimmten Rolle, in jeder dieser Beziehungsnetze sind wir selten als ganze Person präsent, sondern es ist jeweils ein bestimmter Aspekt unserer Persönlichkeit gefragt.
Und da kann es zuweilen zu interessanten Irritationen kommen, wenn die jetzt auf Facebook alle miteinander zu tun haben. Wenn ich also Informationen von mir nicht mehr selbst filtere je nach „Szene“, an die sie gerichtet sind, sondern wenn plötzlich alle alles mitbekommen. Wenn die Gleichstellungsbeauftragte, die mich schon öfter zu Vorträgen eingeladen hat, erfährt, dass ich Anarchistin bin. Wenn mein politisch konservativer Onkel anfängt, sich mit meinen feministischen Freundinnen zu streiten. Wenn meine politischen „linken“ Gesinnungsgenossen damit konfrontiert werden, dass ich mit anderen ernsthaft über Gott diskutiere. Oder wenn die Lesben, die mich als radikale Feministin kannten (und womöglich dachten, ich wäre auch lesbisch) plötzlich wissen, dass ich mit einem Mann verheiratet bin.
Schon all das ist eine ziemliche Herausforderung, und höchst produktiv, wenn auch zuweilen anstrengend. Es kommt dabei auch zu regelrechten Eifersüchteleien: Meine Eltern, die sich beschweren, dass sie ja „nur noch über Facebook“ etwas von mir mitbekommen – und das heißt eben auch: Ich erzähle ihnen Dinge aus meinem Leben nicht mehr exklusiv, sondern poste sie sichtbar für viele – für Hinz und Kunz also. Wenn die einen Freunde mitkriegen, dass ich die anderen zum Abendessen eingeladen habe, sie aber nicht (das Beispiel ist von Katrin Göring-Eckardt). Wenn eine Mit-Redakteurin aus einem Online-Forum sagt: „Ich hoffe, von deiner Reise wirst du dann nicht nur facebooken und twittern, sondern auch für uns etwas schreiben.“ – Eifersucht reloaded.
Das heißt, es geht hier nicht mehr bloß darum, die aktuellen Liebesbeziehungen und diverse Ex in einer gemeinsamen Timeline zu haben. Sondern die Transparenz von Beziehungsstrukturen bringt ein umfassenderes Ende der Heuchelei mit sich. Wenn wir nur diejenigen Informationen teilen, die wir mit wirklich allen Menschen, zu denen wir in einer Beziehung stehen, teilen wollen, dann wäre es ziemlich langweilig. Es stünde auf kaum einer Pinnwand etwas Interessantes drauf. Ich glaube, dass das – und nicht Zeitmangel oder Angst vor Datenmissbrauch – der eigentliche Grund ist, warum so viele entweder so gut wie gar nichts posten (mehr Frauen als Männer) oder aber nur langweiligen „professionellen“ Kram (mehr Männer als Frauen). Viele Menschen haben wahrscheinlich genau vor diesem Kuddelmuddel Angst – und sind daher erstmal zurückhaltend.
Worauf es ankommt ist, hier gut zu „jonglieren“, mit der neuen Sichtbarkeit zu experimentieren und herauszufinden, wie man am besten damit umgeht. Ein Beispiel aus meiner Timeline: Ich hatte ein Rezept gepostet und einer meiner Freunde (ein alter, guter Freund) hat das ruppig-spöttisch-ätzend kommentiert. Ich kenne diesen Ton an ihm, eine andere Freundin von mir war aber pikiert und kritisierte das als „typisch besserwisserischen Männerkommentar“. Andere schalteten sich ein, die Diskussion drohte zu eskalieren, und ich löschte den Thread. Bei dieser Episode ist mir klar geworden, dass Diskussionen in dem privat-öffentlichen Bereich sozialer Netzwerke nach einer anderen Logik ablaufen, als im rein öffentlichen Bereich, zum Beispiel im Blog. Hier waren (aus Unkenntnis) verschiedene Fehler gemacht worden. Der eine hatte nicht bedacht, dass ein Facebook-Kommentar öffentlich sichtbar ist und Außenstehende ja nicht wissen können, in welchem Ton wir uns normalerweise unterhalten. Die andere hatte nicht bedacht, dass hier ja nicht irgendein Fremder kommentierte, sondern einer meiner Freunde – und dass sie mit ihrer routiniert-feministischen Kritik nicht nur ihn angriff, sondern auch mich.
Die neuen Fertigkeiten, die soziale Netzwerke erfordern, beziehen sich also nicht nur darauf, was wir selbst von uns preisgeben. Vor allem müssen wir lernen, angemessen mit dem umzugehen, was andere von sich preisgeben. Wir brauchen letztlich Vertrauen in die Person, mit der wir „befreundet“ sind – nämlich das Vertrauen darauf, dass ihre vielen unterschiedlichen Facetten wohl schon irgendwie zusammenpassen, auch wenn wir das grade nicht kapieren. Und dass es interessant für mich sein kann, jene anderen Facetten aus ihrem Leben kennen zu lernen, ohne dass ich damit gleich eifersüchtig werde, weil es nicht genau das ist, was mir bisher an dieser Person wichtig war.
Altpatriarchale Denker wie Frank Schirrmacher haben dazu keine andere Idee, als den leidigen Gegensatz von privat und öffentlich wieder aus der Mottenkiste zu holen und im sozialen Netz zu reproduzieren. Er rät dazu, sich bei Facebook seine Freunde „professionell“ auszusuchen, also nicht nach der Frage: „Mit wem will ich ein Bier trinken gehen?“ Sondern nach der Frage: „Wer interessiert sich für die gleichen Dinge wie ich und von wem bekomme ich Informationen, die interessant sind?“
Aber genau das verkennt die Chancen und Potenziale, die die sozialen Netzwerke für eine positive Veränderung unserer Kultur haben, die ja schon viel zu lange eine Kultur der Eifersüchtelei und der Heuchelei ist. Die Stärke dieser Vernetzungen ist nicht, dass sie ein weiteres Tool zum strategischen und interessegeleiteten Umgang mit anderen Menschen bereitstellen. Sondern dass sie im Gegenteil – tendenziell, hoffentlich – ein weiterer Sargnagel dieser zweckgerichteten Instrumentalisierung von Kontakten sind. Das Ende der Heuchelei. (Die feministische Politik der Beziehungen ist ein anderer, schon älterer Sargnagel dafür).
Ein Facebook-Account, in dem keine Leute sind, die ich auch unabhängig vom Internet kenne, niemand, den ich von früher kenne oder mit der ich öfter mal ein Bier trinke, ist langweilig. Meine „professionellen“ Kontakte auf Facebook müssen ganz einfach damit leben, dass ich ein ganzer Mensch bin, der noch viel mehr will und tut, als sie bei mir nützlich finden oder von mir erwarten. Und meine „privaten“ Kontakte müssen andererseits damit leben, dass ich – und also auch unsere Beziehung – eine öffentliche Komponente haben. Dass ich sie teilweise sichtbar für „Fremde“ mache. Und dass es für mich einfacher ist, einen Link auf Facebook zu posten als einigen Handverlesenen per Mail zuzuschicken.
Das Private ist politisch – nie war ein alter Slogan so handgreiflich wie heute. Und das Politische ist – immer auch – privat. Sonst ist es nämlich nur ein Luftballon.



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