
Seit längerem schon wundere ich mich über Frauen (es sind übrigens bei weitem nicht nur jüngere), die sich eine so unglaubliche Mühe mit ihrem körperlichen Aussehen machen. Die in nach zwei Stunden Training in der Umkleide noch mal eine Stunde für Haare machen und Schminken dranhängen. Die morgens freiwillig eine Stunde früher aufstehen, weil sie ohne entsprechendes „Styling“ nicht auf die Straße wollen. Die immer auf die leckersten Nachtische verzichten oder wenn nicht, dann wenigstens am nächsten Tag auf das Frühstück weglassen. So viel Mühe, so viel Selbstdisziplin – für was?
Nicht, dass das so neu wäre. Im Gegenteil, es kommt mir total alt vor. Geradezu ein Deja-vu. Auch schon bei meiner Mutter hat mich das immer gewundert. Sicher, sie machte damals, in den 1970ern, andere Sachen, sie schminkte sich weniger, dafür toupierte sie ihre Haare in einzelnen Strähnen, aber der Zeitaufwand war ähnlich immens. Und auch das Ergebnis – Minirock und Stöckelschuhe (damals in der Variante Platteau).
Meine Vorliebe für Jeans-Shirts-Boots-Kleidung hat sicher auch was mit Protest gegen diese Art von „Weiblichkeit“ zu tun, die meine Mutter repräsentierte, und die mir viel zu umständlich war. Nicht, dass das besonders originell von mir gewesen wäre. In den Achtzigern galten fast allen meiner Freundinnen die Frauen mit ordentlich frisierten Haaren als Spießerinnen. Die These der damaligen Feministinnen, dass Stöckel und mühsam hergerichtete Sexyness ein Ausdruck von Frauenunterdrückung wären, erschien uns höchst plausibel. Zumal es auch genau das war, was meine Mutter predigte: „Wer schön sein will, muss leiden“ – von wegen! Und ich behielt recht. Ihre Prophezeiung: „Wenn du so rumläufst, findest du nie einen Mann!“ ist ja nicht eingetroffen. Ich bin sogar der Meinung, dass ich bessere Männer gefunden habe, als einer Minirock-Antje je über den Weg gelaufen wären.
Aber jetzt machen sich die 16-jährigen Töchter meiner Freundinnen wieder genauso zurecht wie damals meine Mutter. Sie verbringen wieder Stunde um Stunde im Bad, statt vernünftige Dinge zu tun wie beispielsweise die Welt retten. Das war jetzt ein kleiner ironischer Schlenker, um deutlich zu machen, dass ich mir der ambivalenten Bedeutungen meiner eigenen Wahl bzw. der meiner Generation durchaus bewusst bin. Aber trotzdem frage ich mich: Warum nur?
Eine schöne Vokabel dazu fand ich in einem Buch, das ich gerade lese, „Top Girls“ von Angela McRobbie. Sie nennt das Phänomen „postfeministische Maskerade“. Ihre These ist, dass die Geschlechterstereotype, die der Feminismus so grundlegend durcheinander gebracht hat, sich heute wieder schlagkräftig Bahn brechen. McRobbies Analyse des Phänomens ist vorwiegend pessimistisch. Sie sieht darin eine besonders perfide Variante eines Backlash, der das Ziel hat, den Feminismus abzuwickeln und seine grundlegenden Errungenschaften wieder rückgängig zu machen. Das Perfide liege darin, dass feministische Ideen quasi augenzwinkernd aufgenommen und dann ad acta gelegt werden: Frauen von heute haben es ja (der Frauenbewegung sei Dank) nicht mehr nötig, sich sexy zu machen, weil sie ja längst eigenes Geld verdienen und alles dürfen und können. Umso deutlicher sagt ihre Weiblichkeits-Maskerade daher: Ich mache das freiwillig!
Die heutigen Inszenierungen von klischeehafter Weiblichkeit wären also, so McRobbie, nicht etwa eine Gegenposition zu dekonstruktivistischer Hinterfragung von Geschlechterrollen, sondern gerade ihre Affirmation. Nach dem Motto: Na klar ist das alles konstruiert und performed, also können wir doch umso dicker auftragen (im wahrsten Sinn des Wortes). Das würde zumindest erklären, warum „natürliche Weiblichkeit“ heute kein erstrebenswertes Ziel mehr ist, wie es noch zu Zeiten meiner Mutter teilweise war. Damals musste eine Frau sich zwar „zurechtmachen“, aber es durfte auch nicht allzu künstlich oder nuttig wirken. Heute sind der Selbst-Modellierung keinerlei Grenzen mehr gesetzt. Wir wissen ja, dass es Natürlichkeit eh nicht gibt.
Ist also die erneute Bereitschaft so vieler Frauen, sich unbequem zu kleiden und jede Menge Zeit aufzuwenden, nur um „sexy“ auszusehen (das schreibe ich in Anführungszeichen, weil ich das Wort eigentlich unpassend finde, denn schon viele Männer haben mir versichert, sie fänden das gar nicht sonderlich erotisch, aber mir fällt grade kein besseres ein) – ist dieser Aufwand also nur eine gemeine Mainstream-Strategie zur Unterbutterung feministischer Errungenschaften?
Auch wenn an McRobbies These sicherlich vieles wahr ist (und die Verteidigerinnen der heutigen Porno-Ästhetik sollten ruhig mal in diese Richtung nachdenken), so hat das Ganze aus meiner Sicht auch noch eine andere Seite. Was dabei nämlich übersehen wird ist, dass unsere Kultur noch eine andere Traditionslinie für Weiblichkeit kennt: nämlich die „ungeschminkte“ Frau, diejenige, die genau das Gegenteil von sexy sein will. Quasi die westeuropäische Variante der muslimischen Kopftuchträgerin.
Dies wurde mir bei der Lektüre des neuen Buches von Dorothee Markert noch einmal klar, die in „Lebenslänglich besser“ die kulturellen Einflüsse des Pietismus herausstellt, also einer bestimmten Art christlicher Frömmigkeit, die in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert sehr einflussreich war. Pietistische Frauen (und auch Männer) widmeten sich ganz dem gottesfürchtigen Leben, und dazu gehörte, dass sie einfache und bequeme Kleidung trugen, sich nicht schminkten und alles taten, um keine erotischen Reize auszusenden.
Die andere Seite der „Hure“, die ihren Körper dem männlichen Begehren auf dem Präsentierteller serviert, war in unserer Kultur schon immer die „Heilige“, die ihren Körper möglichst versteckte. (Und, aber das an dieser Stelle nur nebenbei: Diese Geschichte ist meiner Ansicht nach eine wesentliche Ursache des derzeitigen Hasses auf die muslimische „Verhüllung“ des Frauenkörpers: ganz nach dem Motto, dass die größten Kritiker der Elche früher selber welche waren).
Diese andere Definition von „keuscher“ Weiblichkeit ist ebenso frauenfeindlich wie die „pornografische“ Weiblichkeit, sozusagen die andere Seite der Medaille. Sie ist, wie Markert sehr überzeugend nachzeichnet, auch keineswegs auf christlich-fundamentalistische Zirkel beschränkt, sondern fast nahtlos in Teile der sozialistischen und studentischen 68-er-Bewegungen hinübergewandert: Stichwort Maojacke. Auch in diesen Szenen war eine gute Frau eine, die ihre persönlichen, privaten, gar sexuellen Ambitionen für die „gute Sache“ zurückstellte, die ganz im Kampf der Bewegung aufging und all den „Frauenkram“ wie Schminke und Mode hinter sich ließ. Und, keine Frage: Insofern die Frauenbewegung der 1970er Jahre aus der Studentenbewegung hervorgegangen ist, blieb auch sie von diesen Gedanken nicht unberührt.
Die Lösung des Problems liegt, wie so oft, nicht in einem Entweder-Oder. Frauenkörper unsichtbar zu machen, weil man in der öffentlichen Sichbarkeit von Weiblichkeit eine Gefahr für die Revolution (oder den Glauben) wittert, ist ebenso falsch wie die postfeministische Illusion, man könne die Pornografizierung des öffentlichen Blicks auf den Frauenkörper dadurch aufheben, dass man sie sich selbst zu eigen macht. Gesucht ist ein dritter, ein wirklich „postpatriarchaler“ Weg.
Eine Richtung dafür gab mir eine Bemerkung, die die „Altfeministin“ Ursula Müller kürzlich machte. Sie sagte in unserem Vorgespräch zu einer Podiumsdiskussion, dass die heute so oft vermutete Unterstellung, die Frauenbewegung damals hätte den weiblichen Körper „entsexualisieren“ wollen, nicht stimmt. Sie hätten lila Latzhosen damals nämlich gerade „sexy“ gefunden. Wenn Frauen ihre BHs verbrannten, die Stöckelschuhe in die Ecke warfen und statt unbequemen Minis buntgemusterte wallende Gewänder anzogen, dann gerade nicht, um ihre Weiblichkeit zu „verstecken“, wie heute rückblickend viele vermuten. Sondern im Gegenteil: Sie haben damit ihre Weiblichkeit hervorgekehrt. Öffentlich gemacht. Allerdings eben eine Weiblichkeit, so wie sie sie wollten. Und nicht wie andere sie bereits definiert hatten.
Vielleicht ist die Lösung ja genau so einfach. Nicht zu fragen, ob Kopftuch oder Push-Up eine angemessene oder unangemessene Kleidung für eine Frau ist. Sondern zu fragen: Was finde ich schön? Will ich wirklich ein Kopftuch tragen? Lohnen sich die schmerzenden Füße nach einem Tag auf Stöckeln wirklich, und für was? Wie will ich meinen weiblichen Körper heute in der Öffentlichkeit präsentieren? Mich inszenieren? Welches Bild einer Frau möchte ich abgeben – jenseits dieser blöden Gegenüberstellungen, die mir patriarchale Dualismen dauernd andienen wollen?
Eine Frage, die, wie ich finde, nicht nur jede einzelne Frau für sich beantworten muss (das auch). Sondern eine Frage, die politische Relevanz hat. So wie alles Private.


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