
Über einen Hinweis im Blog von Bisexualität.org kam ich auf einen interessanten Blogpost von Anatol Stefanowitsch auf Scilogs über neuere Ergebnisse empirischer Studien zum Thema Geschlecht und Sprache.
Insbesondere die Behauptung, weibliche Formen zu benutzen sei nicht notwendig, weil die männliche Form im Deutschen beide Geschlechter meinen würde, also in Wahrheit geschlechtsneutral sei (im Fachjargon: generisches Maskulinum) wurde in diesen Studien klar widerlegt. Ebenso widerlegt wurde der immer wieder vorgebrachte Einwand gegen weibliche Endungen, wonach diese angeblich die Verständlichkeit von Texten beeinträchtigen.
Die vorgestellten Studien zeigen, dass beides nicht stimmt: Wird das generische Maskulinum benutzt, also zum Beispiel von „den Sozialarbeitern“ gesprochen, stellen sich die meisten Menschen auch unweigerlich Männer vor und keine Frauen. Andererseits hatten die Probandinnen und Probanden keine Verständlichkeitsprobleme mit Texten in inklusiver Sprache. Stefanowitsch resümiert das alles gut, wenn er schreibt:
Mit anderen Worten: Geschlechtergerechte Sprache hat keinen negativen Einfluss auf die Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten. Wohl aber hat sie einen Einfluss auf die Einbildung männlicher Leser.
Es lohnt sich unbedingt, den Blogpost in Gänze durchzulesen. Ebensfalls interessant ist ein älterer Blogpost von Stefanowitsch, in dem er sich allgemeiner mit diskriminierender Sprache beschäftigt.
Widersprechen möchte ich ihm jedoch an dem Punkt, wo er in Frage stellt, ob die geschlechtliche Unterscheidung von Personen in der Sprache überhaupt sinnvoll ist:
Es gibt sicher einige wenige Situationen, in denen es eine Rolle spielt, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist (für viele Menschen spielt das bei der Partnerwahl eine Rolle und für Versicherungen ist es aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartung interessant). Aber objektiv betrachtet sind diese Situationen insgesamt recht selten. Es ist unsere Sprache, die uns einredet, es handle sich um einen wichtigen, alles durchdringenden Unterschied, und es ist unsere Sprache, die uns dazu zwingt, diesen Unterschied stets und ständig zu erwähnen, auch dort, wo er absolut nichts zur Sache tut.
Das sehe ich anders. Die Geschlechterdifferenz durchzieht unsere Kultur auf eine ganz grundlegende Weise, wie wir seit de Beauvoirs Analyse in „Das andere Geschlecht“ wissen. Mir fällt kein einziges Thema ein, in dem sie keine Rolle spielt, von der Politik über Stadtplanung bis zur Mathematik. Es ist also kein Defekt der Sprache, dass sie mit dem Bezeichnen von Geschlechtern so einen Murks macht, sondern dieser sprachliche Murks bildet nur den realen Murks ab, mit dem wir es an diesem Punkt zu tun haben. Das Problem lässt sich daher auch nicht auf einer sprachlichen Ebene allein lösen. Die Sprache zu verändern, ist lediglich EIN wichtiger Punkt, an dem man dabei ansetzen kann. Aber nicht als Lösung, sondern um uns für die Realität zu sensibilisieren. Ich habe neulich schonmal darüber gebloggt, warum es zum Beispiel nichts hilft, einfach schematisch die männlichen Personenbezeichnungen mit weiblichen zu ergänzen.
Aber ich finde auch ein anderes Vorgehen interessant, das zum Beispiel die Bundesgeschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband, in einem Vortrag anwendet: Nämlich die strikt männliche Form zu benutzen, sie aber mit weiblichen Bildern zu konterkarieren – also von „dem Politiker“ zu sprechen und dabei Folien von einer Frau zu zeigen. Auf diese Weise erzwingt sie die gedankliche Anstrengung, die empirisch notwendig ist, um sich unter einem Maskulinum eine Frau vorzustellen. Frauen haben diese Stilmöglichkeit generell, denn sie können ja ihre eigene körperliche Erscheinung ins Spiel bringen, wenn sie sich selbst als „Mathematiker“ präsentieren. Alle SEHEN dann ja, dass da eine Frau steht, trotz männlicher Bezeichnung. Männer haben diese Möglichkeit allerdings nicht – es sei denn, sie sprächen von sich in einer weiblichen Form, also im generischen Femininum. Ich habe aber noch nie gesehen, dass einer das getan hat.
Jedenfalls denke ich, es ist eine Illusion, das Dilemma unserer Kultur, wonach das Männliche die Norm, das Weibliche aber die Abweichung darstellt, mit einer pauschalen sprachlichen Strategie lösen zu können. Was wir brauchen, das ist mehr Einfallsreichtum und vor allem Kreativität in konkreten Kontexten. Was in der einen Situation eine gute Strategie ist, kann in einer anderen Situation möglicherweise nicht funktionieren.
Denn dass Frauen „mitgemeint“ sein sollten, ist ja nur das eine. Ein viel schwerwiegenderes Problem ist meiner Ansicht nach in der Tat, dass es kein „generisches Femininum“ gibt, das heißt, dass Frauen beziehungsweise weibliche Bezeichnungen niemals für das Allgemeine stehen können. Das führt dazu, dass bestimmte Sachverhalte gar nicht ausgedrückt werden können, zum Beispiel ist es unmöglich, eine Frau aus einer gemischten Gruppe herauszuheben. So stellte die taz neulich „Die einzige Plattenladenbesitzerin“ Deutschlands vor – gemeint war ganz offensichtlich die einzige weibliche Plattenladenbesitzerin. Hier ist das generische Maskulinum keine Lösung, denn „Der einzige Plattenladenbesitzer“ hätte eine ganz andere inhaltliche Bedeutung – diese Formulierung bezeichnet einen Mann, der sich aus einer gemischten Gruppe hervorhebt.
Wie aber drücken wir es aus, wenn eine Frau besonders ist im Bezug auf eine gemischte Gruppe? Oder wenn ein Mann besonders ist, aber nur im Bezug auf andere Männer? Bisher geht das, rein sprachlich, überhaupt nicht.
Doch die Welt ändert sich. Die Notwendigkeit auch das generische Femininum denken zu können, wird immer wichtiger werden, wenn Frauen zunehmend öffentliche Positionen einnehmen. Der Sprache wird etwas dazu einfallen, ich bin mir ganz sicher.

Was meinst du?