Manchmal bin ich einfach frustriert, weil es die „gläserne Decke“ irgendwie wirklich gibt, und ich meine nicht die, die Frauen an einem Aufstieg ins Top-Management behindert, sondern die, die es auf seltsame Weise unmöglich zu machen scheint, dass die Ideen von Frauen in den Köpfen von Männern ankommen.
Aktueller Anlass für meinen Frust ist das Büchlein „Die Befreiung der Schweiz“, in dem zwei Autoren auf handlichen 115 Seiten die Hintergründe der Grundeinkommensidee erklären, als flankierende Maßnahme zu einer derzeit in der Schweiz laufenden Volksinitiative für ein Grundeinkommen.
Mein Frust geht – mal wieder – um die Frage, wie die Care- und Fürsorgearbeit in dem Projekt unterkommt. Auf den ersten Blick scheinen Fortschritte gemacht zu sein. Das Thema wird nicht, wie früher, völlig ignoriert, sondern explizit angesprochen. Es gibt zum Beispiel ein Interview mit Ina Praetorius (die ebenso wie ich schon 2004 eine der Autorinnen des Grundeinkommens-Textes www.gutesleben.org war). Sie spricht das Problem, das viele Feministinnen mit der Idee haben, klar an:
Es besteht die Gefahr, dass die Leute, die heute unsichtbar und ohne Wertschätzung Care-Arbeit leisten, mit dem Grundeinkommen „abgespeist“ werden. Das könnte längerfristig bedeuten, dass Frauen das Notwendige einfach weiter machen, während Männer ihr Grundeinkommen mit Freiheit verbinden. (S. 36)
Aber das war‘s dann auch schon. Der Rest des Textes ignoriert diese Problematik wie eh und je. Schön, dass wir mal drüber geredet haben?
Worum es geht: Der Zugang der Frauen zur Erwerbsarbeit ist ja erst vor kurzem erkämpft worden. Bis heute ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Punkto (bezahlter) Erwerbsarbeit und (unbezahlter) Haus- und Fürsorgearbeit eklatant. Ein Grundeinkommen – und ich bin eine dezidierte Anhängerin der Idee – könnte den Effekt haben, dass diese Spaltung weiter besteht oder sogar zementiert wird. Denn ein Grundeinkommen würde ja lediglich einen Einkommens-Sockel darstellen, das Existenzminimum. Und wenn wir es einfach so laufen lassen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass am Ende vorwiegend Männer gut Geld verdienen, weil sie nämlich trotz Grundeinkommen einer einkommensträchtigen Erwerbsarbeit nachgehen, während vorwiegend Frauen sich mit dem Sockel begnügen und die erwerbsarbeitsfreie Zeit verwenden, um für Kinder, Kranke und Alte zu sorgen.
Genau dies ist einer der Gründe, warum maßgebliche feministische Denkerinnen die Idee eines Grundeinkommens nicht unterstützen. Frigga Haug zum Beispiel hat gerade wieder in einem Vortrag die von vielen Männern in der Grundeinkommensbewegung verbreitete Illusion kritisiert, uns würde eh (durch Produktivitätssteigerung) die Arbeit ausgehen, unter anderem mit diesem Argument:
Aber wenn der Diskurs jetzt weitergeht, rutscht es wieder zurück in die Lohnarbeit wegen der Kritik an der Arbeitspflicht, die als Nötigung empfunden und eben durchs Grundeinkommen abgeschafft sein muss. Aber die Arbeitspflicht existiert ja bei Reproduktions-, Pflege oder Sorgearbeit ohnehin immer. Sie kommt ja aus der Sache selbst, sozusagen aus den bedürftigen anderen Wesen. Dazu braucht man niemanden zu verpflichten. Da schreien die Aufgaben einen an wie bei Frau Holle, wo die Apfelbäume rufen: schüttle uns, die Äpfel sind schon lange reif; oder das Brot im Ofen schreit: zieh uns heraus, wir sind schon längst gebacken. Von den wirklich schreienden kleinen und großen Menschen will ich hier gar nicht reden. Das versteht sich von selbst.
Frigga Haug hat vollkommen recht: Es ist einfach nicht wahr, dass das Grundeinkommen aufgrund der Produktivitätssteigerung einfach der nächste logische Schritt in der Entwicklung des Kapitalismus ist, wie manchmal suggeriert wird. Die Verwirklichung der Grundeinkommensidee erfordert ein tiefes kulturelles Umdenken, das aus zwei Teilen besteht, die man nicht einzeln betrachten kann: die Idee, dass es normal ist, wenn Menschen etwas bekommen ohne etwas dafür zu leisten, UND die Idee, dass Menschen Verantwortung für ihre Umwelt übernehmen und das Notwendige tun, auch wenn niemand sie dazu zwingt oder dafür bezahlt.
Leider bekräftigt auch dieses Buch wieder den Eindruck, die Phantasie männlicher Grundeinkommensbefürworter könnte darin bestehen, dass Männer vor allem den ersten Teil und Frauen vor allem den zweiten Teil dieser Gleichung abdecken (was so natürlich niemand sagen würde, ist ja alles hübsch geschlechtsneutral formuliert). Aber wieder einmal wird die Care-Arbeit im Kapitel „freiwillige Arbeit“ untergebracht und auf eine Stufe gestellt mit zum Beispiel der Kunst. Aber Fürsorgearbeit ist keine „freiwillige“ Arbeit in dem Sinne, dass man sie tun kann oder auch nicht. Sondern sie ist notwendige Arbeit, gesellschaftlich ebenso wie in einer konkreten Situation (das schreiende Baby, das dreckige Klo). Notwendige, aber nicht im erwerbsmäßigen Sinne profitable Arbeit muss in der Ökonomie eine eigenständige Rolle spielen und darf nicht einfach unter „Wird durch ein Grundeinkommen möglich gemacht“ subsummiert werden.
Ein garantiertes Grundeinkommen ist also keineswegs „bedingungslos“ (wie es hingegen die Domain der Aktion www.bedingungslos.ch suggeriert), sondern es ist eben an die Bedingung gebunden, dass wir akzeptable Rahmenbedingungen schaffen, unter denen notwendige, aber nicht „profitable“ Arbeiten erledigt werden. Wer soll diese Arbeit in Zukunft tun und warum, wenn man niemanden mehr unter Androhung von Geldentzug dazu zwingen kann?
Diese Frage, wer denn die „Drecksarbeit“ machen wird, wird in dem Buch zwar gestellt, aber falsch beantwortet. Wieder einmal wird behauptet, es gäbe in einer Gesellschaft mit Grundeinkommen dafür drei Lösungen: Jeder macht sie für sich selbst, wir lassen sie Roboter machen oder wir bezahlen sie besser.
Es gibt aber – wie ich in diesem Blog schon einmal geschrieben habe – leider auch noch weitere Möglichkeiten: dass diese Arbeit gar nicht gemacht wird, oder dass sich einige Menschen dazu „freiwillig“ bereit erklären. Es ist sehr zu vermuten, dass das mehr Frauen als Männer sein werden (aber auch wenn es gleich verteilt wäre, wäre es keine Lösung).
Ich verstehe es einfach nicht: Ist es nicht möglich, auch in einem Büchlein, das das Grundeinkommen als Idee propagieren und unterstützen will, diese Problematik mal einzugestehen und darauf hinzuweisen, dass hier noch weiterer Handlungs- und Diskussionsbedarf besteht? Nicht, um die Grundeinkommensidee zu widerlegen oder zu schwächen. Ganz im Gegenteil: Um den aus guten Gründen skeptischen feministischen Denkerinnen zu signalisieren: Wir haben eure Einwände verstanden und greifen sie in unseren programmatischen Konzepten auf!
Dafür genügt es nicht, auch ein Interview mit einer postpatriarchalen Denkerin abzudrucken, wenn man deren Gedanken dann aber im Rest des Textes einfach ignoriert. Es ist dies ein eklatantes Beispiel für ein Phänomen, das ich leider ziemlich oft im Dialog zwischen Männern und Frauen beobachte: Die Frauen sagen etwas, die Männer nicken freundlich, versichern „Ja, Ja“, und gehen dann wieder zur Tagesordnung über, als wäre nichts gewesen.
Das ist es, was mich frustriert: Nicht, dass hier ein Dissens wäre, ein politischer Konflikt, denn den könnte man ja austragen. Sondern dass ein Dialog überhaupt gar nicht erst zustande kommt, weil das Thema die Männer offenbar nicht interessiert. Momentan bin ich wirklich ratlos, wie sich das ändern ließe.
Christian Müller, Daniel Straube. Die Befreiung der Schweiz. Über das bedingungslose Grundeinkommen, Limmat, Zürich 2012, , 15,90 Euro.
PS: Gerade hat auch Ina Praetorius nochmal was eigenes dazu gebloggt

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