Hier Teil 2 meiner Notizen zum IAFFE-Kongress in Berlin: Über die Keynote von Joan Tronto über die globalen Aspekte von Care. Tronto ist Professorin an der University of Minnesota und eine Pionierin der feministischen Forschung zum Thema Care. Dabei besonders interessant für mich, weil sie dabei ökonomische und politische Fäden zusammenbringt (ihr jüngstes Buch heißt zum Beispiel „Caring Democracy“ und ich habe es unverzeihlicherweise noch nicht gelesen).
In ihrer Keynote stellte sie die Frage, die hier im Blog auch schon vorkam, nämlich: Wer macht die unbeliebten Arbeiten? Dabei zog sie eine Linie von der Kolonialisierung zur heutigen Care-Arbeits-Migration. Erstmal in Zahlen: 300 Millionen „zählbare“ globale Care Workers gibt es weltweit, dabei sind aber noch nicht mitgezählt Flüchtlinge, die teilweise ebenfalls Care Arbeit leisten (aber eben nicht speziell zu diesem Zweck migriert sind), sowie inländische Care-Migrant_innen, wenn also zum Beispiel Care Workers aus ländlichen Bereichen Chinas in chinesische Städte gehen.
Zur Theorie: Tronto verfolgte die Wurzeln der heutigen Care Thematik zu den Anfängen der Moderne zurück, erstmal zu „Utopia“ von Thomas Morus. In seinem Entwurf für eine egalitäre, utopische Gesellschaft beantwortete er die Frage, wer denn dort die unbeliebten Arbeiten macht, mit: Sklaven. Aber die Sklaven kämen eben ja freiwillig nach Utopia, weil in ihren Herkunftsländern so schlechte Lebensbedingungen wären, dass es ihnen selbst als Sklaven in Utopia noch besser gehe als zuhause. Ring some bells!
Zweite Wurzel: Der westliche Diskurs über Arbeitsteilung. Die Kolonialisierung wurde häufig damit gerechtfertigt, dass der Westen den „Wilden“ die Zivilisation bringe. Gleichzeitig waren westliche Ökonomen der Ansicht, eine fortgeschrittene Arbeitsteilung sei ein Zeichen für Zivilisation (Adam Smith’s famous pin factory, vor allem aber vertrat Durkheim diese Auffassung). Und natürlich ist es eine tolle Arbeitsteilung, wenn die die einen Bücher schreiben und die anderen den Dreck wegputzen. „Zivilisatorischer Fortschritt“ und die Auslagerung von Care-Arbeit an „tieferstehende“ Menschen haben also eine logische gemeinsame Wurzel in einer verqueren westlichen Vorstellung von Ökonomie. Somit ist die Versklavung anderer Menschen auch eigentlich keine Verirrung der europäischen Moderne, sondern hängt mit ihr logisch zusammen.
Die heute übliche Rede von den „Globalen Care Ketten“ kritisierte Tronto ein bisschen, weil dabei oft die Vorstellung mitschwinge, dass der „richtige“ Platz einer Mutter bei ihren Kindern sei – das ist natürlich auch das Argument, mit dem sich am Mainstreamdiskurs am besten anschließen lässt. Aber der entscheidende Punkt ist natürlich nicht die Frage, wo der „richtige“ Ort einer Frau ist, sondern wo der Ort ist, an dem sie selbst sein möchte. Ein Kriterium, so Tronto, sei es, zu untersuchen, ob Menschen freiwillig und in Kenntnis aller Umstände migrieren, oder ob sie dazu gezwungen sind. Und zwar nicht nur gezwungen durch Armut und politische Umstände, sondern es müsste auch untersucht werden, wer in den betreffenden Familien eigentlich die Entscheidung trifft, ob eine Frau ins Ausland geht (zum Beispiel eine Tochter).
Und, wie eine Teilnehmerin aus Uganda anfügte, ob die Vermittlungsagenturen mit offenen Karten spielen. Viele junge Leute würden aus Afrika mit falschen Versprechungen abgeworben, aber wenn ihnen dann klar wird, dass sie in Europa nicht das vorfinden, was sie erhofft hatten, könnten sie oft nicht mehr zurück, weil sie all ihren Besitz verkauft und Beziehungen abgebrochen hätten.
Aber auch für die „Importeure“ von Care-Arbeit in Europa und USA sieht Tronto Gefahr: „Was wird aus Kindern, die in dem Bewusstsein aufwachsen, dass sie ein Recht darauf haben, von anderen versorgt zu haben?“ Sie gewöhnen sich daran, dass es eine „minderwertige“ Sorte von Menschen gibt, die nur teilweise politische und soziale Rechte haben, was die demokratische Grundbasis zerstört.
Neben der Antwort „Sklaven“ hat die westliche Philosophie freilich noch zwei andere Antworten auf die Frage gegeben, wer denn die unbeliebten Arbeiten tun soll, nämlich „Technologie“ (John Stuart Mill) oder „Vergesellschaften und Industrialisieren“ (Engels, aber auch z.B. Angela Davis). Beide Antworten erfreuen sich bis heute unter Linken recht großer Beliebtheit. Joan Tronto fragt was anderes: Ist Effizienz wirklich der richtige Maßstab, um Care Arbeit zu organisieren?
Sie fordert stattdessen eine demokratische Care-Politik, was bedeutet: Zuständigkeiten für Care-Arbeit zuweisen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Menschen diesen Verantwortlichkeiten auch nachkommen können. Sie meine damit nicht eine vollständige Gleichverteilung (sondern? Ich vermute: Eine sinnvolle, da könnte ich mit leben). Kurzfristige politische Ziele könnten sein: Arbeitsrechte für Care-Arbeiterinnen installieren, keine Formen von „teilweiser“ Citizenship dulden, neue Arten entwickeln, um ökonomischen Gewinn und Wohlstand zu definieren.
Ich fand den Vortrag sehr gut, würde allerdings anmerken, dass das System der „Abwälzung“ der Care Arbeit auf „Andere“ deutlich älter ist als der Kolonialismus. Sklaverei gab es ja auch schon in der Antike, und auch im Mittelalter haben nicht alle Leute ihre Dreck selber weggeputzt. Just saying…

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