Nochmal: Wie entstand das Patriarchat?

Seit Friedrich Engels uns das in den Kopf gesetzt hat, geistert die Idee durch die linke europäische Ideengeschichte, dass die Ursache allen Übels (Patriarchat, Kapitalismus, you name it) die Familie sei. Die britische Journalistin Angela Saini widerspricht. Nicht Familienstrukturen standen am Anfang des Patriarchats, sondern Staaten. Hier meine Besprechung ihres Buches „Die Patriarchen“, auf Deutsch bei Hanser erschienen!

Pazifismus ist nicht das Gegenteil von Militarismus, es ist etwas anderes.

Pazifismus ist nicht das Gegenteil von Militarismus, es ist etwas anderes. Der Grundfehler unserer Kultur ist vielleicht der, dass wir wirklich „etwas anderes als“ und „das Gegenteil von“ nicht auseinanderhalten können. Bei den Geschlechtern ist es ja auch so. Nur so lässt sich zum Beispiel erklären, dass der Titel von Simone de Beauvoirs Buch „Das zweite Geschlecht“ im Deutschen mit „Das andere Geschlecht“ übersetzt werde konnte, was eine ziemliche Verfälschung ist. Aber es gibt noch eine Million andere Beispiele für diesen Fehler. Die Verwechslung von „anders als“ und „das Gegenteil von“ geht auf Aristoteles zurück, meint Andrea Günter in ihrem aktuellen Buch Geschlechterdifferenz und Philosophie, das ich hier rezensiert habe. Denn Aristoteles hat nicht nur die Geschlechter binär konstruiert, er hat diesen Dualismus auch noch zur Metaphysik der Welt erklärt (besser gesagt: das war der eigentliche Zweck der Übung – ihm ging es nicht um die Geschlechterdifferenz, ihm ging es um ein Prinzip der Welt) Und das hat unser Denken

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Gab es in der Steinzeit schon Frauen und Männer?

Heute sah ich diese interessante Arte-Dokumentation mit dem etwas merkwürdigen Titel „Geschlechterkonflikt – Frauenbilder der Geschichte“: Sehr empfehlenswert, schaut sie euch dieser Tage an, sie ist nur noch bis zum 5. April in der Mediathek verfügbar! Es geht dabei um neue archäologische Erkenntnisse über die Geschlechterverhältnisse in der Steinzeit und im Neolithikum. Im 19. Jahrhundert haben ja bekanntlich bürgerliche männliche Forscher aus Europa mehr oder weniger alle Funde aus früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden (Höhlenmalereien, Grabbeigaben, Figurinen und so weiter) durch die Brille ihrer eigenen normativen Geschlechterordnung interpretiert. Ein Skelett mit Waffe im Grab musste männlich sein, weil Frauen tragen ja keine Waffen. Feministische Kritikerinnen haben schon seit den 1970er Jahren diesen unwissenschaftlichen Blick kritisiert, und inzwischen lässt auch wissenschaftlich beweisen, dass die Wahrheit ganz anders aussah: Die Person in dem prächtigen Wikingergrab war eine Frau, viele Höhlenmalereien stammen von Frauen und so weiter. Generell scheint in der Steinzeit „Geschlechteregalität“ geherrscht zu haben: Frauen und Männer haben dasselbe gegessen, wurden in

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Gender bei den Yoruba. Noch ein paar Überlegungen.

Im Nachklapp zu meinem aktuellen Text im 10 nach 8-Blog auf Zeit-Online über die Frage „Gibt es überhaupt Männer und Frauen?“ hat es noch einige Nachfragen und Anmerkungen zu dem darin angeführten Beispiel der präkolonialen Kultur der Yoruba in Nigeria gegeben. So wurde darauf hingewiesen, dass die Thesen von Oyèrónké Oyèwùmí keineswegs unumstritten sind. Bei Twitter wies mich jemand auf diesen Text von Tola Olu Pearce hin, auf Facebook jemand auf diesen Einwand von Bibi Bakare-Yusuf. Letztere argumentiert vor allem damit, dass die Abwesenheit der Kategorie „Gender“ auf der sprachlichen, also symbolischen Ebene nicht bedeutet, dass Frauen nicht benachteiligt und diskriminiert werden. Das ist bestimmt richtig, allerdings meine ich, dass diese Kritik die Thesen von Oyèwùmí auch nicht so recht trifft – zumindest nicht, soweit ich das nach diesem Abstract beurteilen kann. Jedenfalls leugnet Oyèwùmí gar nicht, dass obinrin eine sozial niedrige Stellung haben, das steht explizit in ihrem Buch. Und sie behauptet auch nicht, dass es bei den Yoruba

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Die einen haben einen Uterus, die anderen ein Gehirn

Hier gibt es einen interessanten Artikel des Historikers Philipp Sarasin zum Thema 250 Jahre Sexualität. Wie ich drüben auf piqd schon geschrieben habe, vertritt er die Ansicht, dass „Sexualität“ als Konzept erst vor rund 250 Jahren, nämlich mit Beginn der bürgerlichen Moderne, entstanden ist. Galt vorher der Geschlechtsakt in christlicher Tradition als etwas, von dem sich Menschen möglichst fernhalten sollten, als etwas tierisch-problematisches, das nur zum Zweck der Fortpflanzung in Kauf zu nehmen sei, bekam „die Sexualität“, wie das Phänomen nun genannt wurde, ab dem späten 18. Jahrhundert eine gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung zuerkannt. Diese Entwicklung diente allerdings nicht nur zur Befreiung von kirchlichen Zwängen, sondern auch zur Zementierung von Geschlechterstereotypen, insofern Erotik, Lust und Sextrieb als etwas galten, wodurch sich Frauen und Männer wesentlich unterscheiden. Im 20. Jahrhundert dann rückte Sexualität, ausgehend von Freud, noch weiter ins Zentrum des Menschseins vor, bis sie dann schließlich sogar zum Dreh- und Angelpunkt menschlicher Befreiung und Freiheit wurde. Heute widerum könnte das Zeitalter der

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Frausein ist nicht binär oder: Wir sind hoffentlich alle Enbies!

In letzter Zeit lese oder höre ich öfter, dass Personen sich bezüglich ihrer Geschlechtsidentität als „jenseits der binären Geschlechterordnung“ (als „Nonbinär“ oder kürzer „Enbies“ für „NB“) bezeichnen. Das ist natürlich eine prima Sache, der ich applaudiere. Aber was ich nicht akzeptiere ist, wenn der Eindruck erweckt wird, dass sie deshalb keine Frauen mehr wären. Ich meine: Es ist natürlich möglich, dass eine Person, die „nichtbinär“ ist, ein anderes Geschlecht hat als das weibliche, sie kann ja auch männlich oder eichhörnchen oder frostschnee sein oder auch nichts oder auch alles davon. Aber genauso gut ist es möglich, dass sie eine Frau ist. Denn das eine – ob man binär ist oder nicht – hat mit dem anderen – ob man eine Frau ist oder nicht – nichts zu tun.  Freies Frausein bewegt sich selbstverständlich außerhalb binärer Geschlechterkonstruktionen. Sogar weiter außerhalb als das allermeiste, was ich bisher von queerfeministischer Theorie gehört habe. Viele Queerfeminist_innen vertreten zum Beispiel ein Bild von Geschlechterdifferenz, wonach Weiblich und

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Frauen, Dudes und andere Geschlechter

Kürzlich hatte ich einen kurzen Austausch mit einer Person, nennen wir sie hier X, die ich zunächst aufgrund ihres Ausehens und ihres Namens für eine Frau hielt. Ich hatte einen Vortrag von ihr gehört, wir hatten uns danach kurz unterhalten, ich hatte ein paar kritische Anmerkungen dazu. Ein paar Wochen später schrieb sie mir eine Mail, die sich auf dieses Gespräch bezog, ich antwortete ihr. Dabei übersah ich, dass sie im „Kleingedruckten“ (in der Signatur) darauf hinwies, dass sie sich außerhalb der binären Geschlechterordnung verortet. Deshalb benutzte ich versehentlich die weibliche Anrede „Liebe X“. Sie antwortete und wies mich auf den Fehler hin. Ich entschuldigte mich. So weit, so banal. Bis ich allerdings bemerkte, dass ich zusammen mit der Infomation, dass X keine Frau ist, auch das Interesse an dem politischen Austausch mit X verloren hatte. Xs Ansichten zu dem betreffenden Thema, die ich nicht teile, hatten mich interessiert, weil ich glaubte, eine Frau würde diese Ansichten vertreten, und das

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Ciswissenschaft und Transpolitik

Diese Woche war ich bei einem Kongress über Transsexualität und hörte zwei Professoren, die (in Bezug auf Beheimatung im bestehenden System) so dermaßen Cis waren, dass es fast schon einer Karikatur ähnelt. Kurzfassung: Die Wissenschaft hat nun festgestellt, dass Transsexualität normal ist. Normal nicht etwa deshalb, weil wir in politischen Auseinandersetzungen eine Kultur hervorgebracht hätten, die sich von den Zumutungen traditioneller Geschlechterkonzepte befreit hat. Nein, normal, weil Transsexualität nun (offenbar) die höchstmöglichen Weihen erhalten hat, die die bestehende symbolische Ordnung zu vergeben hat: Ihre Entstehung ist naturwissenschaftlich herzuleiten, man kann also experimentell-biologisch beweisen, dass es sie gibt. Die Betroffenen „bilden sich das nicht nur ein“. Tadaa! Der erste Professor begann bei den Genen und dem Testosteron, das der Körper bei xy-Menschen im Embryonenstadium ausschüttet und bei xx-Menschen nicht. Dieses Testosteron bewirke eine Maskulinisierung des Embryos, allerdings auf komplexen Wegen und in unterschiedlichen Abschnitten, sodass es durchaus vorkomme, dass zwar der Körper maskulinisiert sei, nicht jedoch das Gehirn. Voilà Transsexualität. Als xx-Mensch und Feministin

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Über den Zusammenhang von Geschlecht und Biologie

Wenn über den Zusammenhang von Geschlecht und Biologie gesprochen wird, liegt der Fokus meist auf der Frage, was überhaupt „Geschlecht“ sei. Mir drängt sich seit einiger Zeit verstärkt die Frage auf, was überhaupt „Biologie“ in diesem Zusammenhang sein soll. Wovon ist eigentlich die Rede, wenn es um das „biologische Geschlecht“ geht? Es sind ja drei unterschiedliche Aspekte des Körperlichen, die dabei eine Rolle spielen: die Gene, der Phänotyp (also das äußerliche Erscheinungsbild) und die mögliche Position in Bezug auf die Fortpflanzung, also ob jemand schwanger werden kann oder nicht. Für die meisten historisch gewachsenen Kulturen der Geschlechterdifferenz ist dieser letzte Aspekt maßgeblich. Dass nicht alle Menschen schwanger werden können, macht es erforderlich, Verfahrensweisen zu entwickeln, wie mit dieser Ungleichheit konkret umgegangen wird: Wer für Menschen sorgt, die aufgrund von Schwangerschaften oder Geburten besondere Bedürfnisse haben, welche Rechte und Pflichten Gebärende gegenüber ihren Kindern haben, welche Rechte und Pflichten Nicht-Gebärende gegenüber Kindern oder Schwangeren haben. Das alles lässt sich auf eine

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