In Deutschland gab es mal ein Elterngeld Erziehungsgeld: 300 Euro im Monat für jedes Kind, egal ob die Eltern reich oder arm waren, egal, welchen Beruf sie ausübten, und das zwei Jahre lang. (Ergänzung: Es gab allerdings eine familiäre Obergrenze beim laufenden Monatseinkommen).
Eine gute Idee, denn Kinder kosten Geld, und vor allem brauchen Kinder Zeit, man muss sich um sie kümmern. Das Geld nahm da ein wenig den Druck raus, ein wenig, denn 300 Euro sind ja nicht gerade viel. Aber das Elterngeld würdigte immerhin die Erziehungsleistung von Müttern (und gegebenenfalls Vätern), und zwar unabhängig von ihrem „Marktwert“ als Arbeitkräfte, unabhängig von ihrer Employability, wie es heute heißt.
Dann kam die Idee auf, noch ein anderes Elterngeld einzuführen: Nämlich der Mutter oder dem Vater, die oder der vorher erwerbstätig war und wegen des Kindes für bis zu zwölf Monate das Arbeiten unterbricht, einen Prozentsatz des Lohnes zu ersetzen: 67 Prozent bisher (jetzt sollen es 65 Prozent werden), maximal jedoch 1800 Euro, mindestens aber 300 Euro.
Dieses neue Elterngeld folgt einer ganz anderen Logik als das alte: Es wird nicht mehr pro Kind bezahlt, wobei jedes Kind, unabhängig von der sozialen Herkunft, gleich viel wert ist, sondern es ist abhängig von der Erwerbstätigkeit der Mutter oder des Vaters: Je mehr Geld sie verdienen, desto mehr ist dem Staat (also uns allen) auch ihre Kindererziehungsarbeit wert.
Das wurde nun auch als feministische Errungenschaft gefeiert: Schließlich sind es vor allem die Mütter, die wegen der Kinder ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Dieser Umstand sollte den Frauen nun weniger zum Nachteil gereichen als vorher. Außerdem wurden noch die so genannten Vätermonate eingeführt, das heißt, wenn auch der Vater sich bereit erklärt, mindestens zwei Monate die Erwerbsarbeit zu unterbrechen, wird die Gesamtlaufzeit des Elterngeldes auf 14 Monate verlängert.
Doch trotz dieser frauenpolitischen Begleitmusik war schon dieses Elterngeld unsozial, und zwar deshalb, weil es nicht zusätzlich eingeführt wurde (worüber man durchaus hätte diskutieren können), sondern weil es zu Lasten der Armen refinanziert wurde, durch die Verkürzung des „alten“ Elterngeldes von zwei auf nur noch ein Jahr für alle. Es war also bereits eine Umverteilung von unten nach oben – arme Mütter bekamen nun weniger Geld vom Staat, reiche mehr. Arbeitslose Eltern haben zudem auch nicht die Möglichkeit, die Gesamtzeit auf 14 Monate zu erhöhen. (Frage: Stimmt das so? Gerade bekam ich eine DM, dass auch Arbeitslose 14 Monaten Elterngeld bekommen können – wer es genau weiß, bitte in die Kommentare schreiben, Danke!) So hat das neue Elterngeld unterm Strich dazu beigetragen, die soziale Schere in Deutschland, den Abstand von Reich und Arm zu vergrößern.
Und jetzt soll Hartz-IV-Empfängerinnen das Elterngeld komplett gestrichen werden. War das neue Elterngeld noch eine Kombination beider Logiken, so hat nun die neue Logik die Oberhand gewonnen: Kinderbetreuung ist nicht mehr eine unterstützenswerte Sache an sich, sondern ihr ökonomischer Wert, also das, was der konkreten Familie von der Allgemeinheit dazu beigesteuert wird, ist direkt an die Erwerbsarbeit gekoppelt: Je besser jemand verdient, desto mehr gibt es auch.
Interessant ist dabei die Argumentation von Familienministerin Kristina Schröder: Sie erklärt nämlich das Elterngeld für Hartz-IV-Empfängerinnen (also das alte Elterngeld) für „systemwidrig“ – denn mit Hartz IV sollen alle Bedarfe abgedeckt sein. Hartz IV deckt aber lediglich die Bedarfe des Lebensunterhaltes. Erziehungsarbeit ist hier also gerade nicht einkalkuliert. Und Elterngeld hat – auch in der neuen Variante – nicht den Sinn, den Bedarf an Lebensunterhalt zu sichern, sonst bräuchte eine Familie mit zwei gut verdienenden Elternteilen, von denen eines die Erwerbsarbeit reduziert, ja keines. Es geht beim Elterngeld eben gerade nicht um den Bedarf an Lebensmitteln, Kleidung und Wohnung, sondern es geht darum, dass die Erziehungsleistung finanziell gewürdigt wird. Warum aber soll die Erziehungsleistung einer Rechtsanwältin von der Allgemeinheit teilweise finanziert werden, die einer Arbeitslosen aber nicht?
Das Interessante an diesem Thema ist also nicht unbedingt die Frage nach der absoluten Höhe des Betrags – auch wenn natürlich Hartz IV wenig Geld ist, und hatten wir erst nicht kürzlich eine große Debatte über das Armutsrisiko Kind? Aber es geht genau nicht darum, wie viel eine Familie zum Leben braucht, sondern es geht darum, ob Erziehungsarbeit ökonomisch anerkannt wird. Und genau hier ist der Systemwechsel bedeutsam. Wie definieren wir als Gesellschaft unsere Verantwortung für Kinder? Beteiligen wir uns an den Kosten der Erziehungsarbeit von Müttern (und gegebenenfalls Vätern)? Oder geht es lediglich darum, ihnen einen Verdienstausfall zu ersetzen?
In anderen Worten: Ist uns Erziehungsarbeit per se etwas wert, wollen wir die Menschen, die sie leisten, unterstützen? Oder ist uns nur die (marktförmige) Erwerbsarbeit etwas wert? Genau darin besteht der Systemwechsel, der jetzt definitiv vollzogen wird: Elterngeld ist kein Geld mehr, das die Erziehungsarbeit belohnt, sondern lediglich der Ersatz für entgangenen Erwerbsarbeitslohn.
Interessant sind übrigens auch die Summen, um die es hier geht. Laut Spiegel soll die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfängerinnen 400 Millionen Euro im Jahr bringen, das Senken des Prozentsatzes für den Einkommensersatz von 67 auf 65 Prozent soll weitere 200 Millionen bringen. Das heißt, es wäre relativ leicht, das „alte“ Elterngeld, wonach die Erziehung jedes Kind einen Mindestbetrag wert ist, beizubehalten: Man könnte zum Beispiel den Prozentsatz gleich auf 60 Prozent senken, oder man könnte den Maximalbezug für alle Eltern auf zwölf Monate begrenzen (inklusive Vätermonate, wenn man die behalten will), oder man könnte vor allem die Höchstgrenze auf 1500 Euro heruntersetzen (dann würde es wirklich nur die eher Reichen treffen). Den relativ gut Verdienenden, die dadurch auf einige hundert Euro verzichten müssten, würde das alles zwar schon weh tun, aber nur mäßig – jedenfalls sehr viel weniger, als den Hartz-IV-Empfängerinnen, die am wirtschaftlichen Existenzminimum leben.
Aber es geht bei diesen Sparvorhaben gar nicht darum, sozial ausgewogen Geld einzusparen. Es geht im Übrigen auch nicht um die Verteilung der Geschlechter bei der Erziehungsarbeit und um die damit verbundenen innerfamiliären Aushandlungsprozesse – wer da ernsthaft etwas verändern will, müsste zu allererst mal das Ehegattensplitting abschaffen, was ja außerdem noch den Charme hätte, dass mehr Steuergelder hereinkämen. Aber das alles sind ohnehin nur vorgeschobene Argumente. Das, worum es hier geht, ist die Durchsetzung einer neoliberalen Ideologie auch in diesem Bereich: die totale Anbindung der gesellschaftlichen Beteiligung nun eben auch in punkto Kindererziehungsarbeit an die Erwerbsarbeitslogik.
Das „neue“ Elterngeld ist, auch wenn es mit feministischen Girlanden umrankt wird, jedenfalls gerade nicht das, was feministische Kritikerinnen der Erwerbsarbeitslogik im Sinn haben, wenn sie seit den 1970er Jahren dafür eintreten, die Reproduktionsarbeit (die ja im Übrigen auch mehr umfasst als nur das Versorgen von Kindern im ersten Lebensjahr) in der Ökonomie angemessen zu berücksichtigen. Die Erwerbsarbeitsgesellschaft ist seit langem in der Krise, es wird keine Vollbeschäftigung mehr geben, und sie wäre aus tausendundeinem Grund auch nicht wünschenswert. Alle Sozialleistungen, die an die Erwerbsarbeit gekoppelt sind, sind tendenziell ungerecht und verschärfen die soziale Spaltung. Wir brauchen nicht mehr davon, sondern weniger.
Und keinesfalls wird der Tanz um dieses goldene Kalb der Erwerbsarbeit dadurch besser, dass man dabei „Frauenförderung“ ruft. Er wird dadurch nur noch ein bisschen zynischer.
P.S.:
Noch eine kleine Bemerkung zu dem Tweet von @kristinakoehler, den der Genderblog diskutiert: „Eine Familie in Hartz IV, 2 Kinder, erhält inkl. Elterngeld 1885 € vom Staat. Netto! Ist das gerecht gegenüber denen, die arbeiten?“ – Dieser Tweet zeigt das ganze Dilemma der Sache. 1885 Euro hört sich erstmal viel an, aber rechnen wir mal durch: Davon Miete bezahlen plus Nebenkosten plus Essen und Kleidung für vier Personen, plus Transport. Plus alles, was an Anschaffungen hinzukommt. Die kaputte Waschmaschine, die Zahnarztbehandlung usw. usw. Und solche Familien haben im Notfall dann keine Eltern, die sie fragen können (Geldgeschenke werden ebenfalls auf Hartz IV angerechnet), und sie haben auch nichts auf der hohen Kante liegen. Sie müssen genau damit auskommen, ohne Sicherheitsnetz.
Und: In Zukunft soll nach den Plänen der Regierung genau diese Familie mit nur noch 1585 Euro auskommen. Besser konnte man es nicht illustrieren. Und zur Frage der Gerechtigkeit: Ja, richtig, in vielen Branchen werden inzwischen nur noch Löhne bezahlt, die ebenso niedrig sind wie Hartz IV oder noch niedriger. Deshalb müssen die Betroffenen, obwohl sie arbeiten, noch „ergänzende Leistungen“ beziehen. Das ist natürlich ein Problem – und das Problem heißt eben Erwerbsarbeitsfixierung. Wie man darauf kommen kann, dass die Niedriglohn-Betroffenen etwas davon haben, wenn anderen Leuten Geld weggenommen wird, ist mir schleierhaft.
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Armut ist kein Naturgesetz
Feminists should think big. Über Feminismus und Neoliberalismus


Was meinst du?