Mit einer Frage von Benni auf Formspring begann vor ein paar Tagen dieses Gespräch über Gott und die Welt, das dann in philosophischen Überlegungen zu Immanenz und Transzendenz mündete. Ich finde es interessant genug, um hier sortiert auch im Blog dokumentiert zu werden. Vielleicht möchten sich ja andere auch noch daran beteiligen…
Benni: Stimmt es, dass Du „Gott“ und „Gutes Leben für Alle“ synonym verwendest? Hab das irgendwo gelesen von Dir. Vielleicht in diesem e-mail-Wechsel?
Antje: Hm, ja, schon. Aber nicht im Sinne einer Definition. Eher mache ich die Erfahrung, dass man es tatsächlich oft synonym verwenden kann. Je nach Kontext, mit wem man spricht. Also Leute, denen „Gott“ nichts sagt, die will ich nicht missionieren, sondern umschreibe, was ich meine, mit „gutes Leben für alle“. Was genau das ist, muss natürlich unbestimmt bleiben, man kann es ebenso wenig fassen, wie „Gott“. Und andersrum: Leuten, die „Gott“ so verwenden, dass es dem „guten Leben für alle“ widerspricht, denen widerspreche ich, dass es das dann wohl nicht sein kann.
Benni: Dann ist „Gott“ für Dich was komplett Immanentes? Ist das so wie bei Spinoza? Also Gott als in der Welt allgegenwärtige „Substanz“ und nicht als etwas außerhalb der Welt stehendes? Weil sonst würde das ja nicht zusammengehen, oder?
Antje: Nein, nicht immanent. (Spinoza kenn ich nicht.) Eher geht es darum, eine Beziehung zwischen immanent und transzendent zu beschreiben. Gott/das „gute Leben für alle“ ist durchaus transzendent im Sinne von nicht verfügbar, nicht kontrollierbar, nicht herstellbar, nicht beweisbar. Aber man kann sich zu ihm in Beziehung setzen, sich daran orientieren (auch wenn er/es nicht existiert im Sinne von „Beweisbarkeit“), herbeisehnen, darauf hin arbeiten usw. Interessanter Weise sind ja die Einwände dieselben: „Gott gibt es nicht“ „Das gute Leben für alle gibt es nicht“. Ist mir egal, weil ich trotzdem so tue als ob, gewissermaßen 🙂 Was findest du an Spinoza interessant?
Benni: Die radikale Immanenz seiner Weltsicht (obwohl religiös formuliert). Und seine Sprache, die von der Mathematik (Axiom, Satz, Beweis, …) inspiriert ist und gleichzeitig inhaltlich aber jeden Formalismus hinter sich lässt – das spricht einen Computer-Nerd mit geisteswissenschaftlichem Interesse wie mich natürlich an. Und schließlich, dass er den berühmteren Zeitgenossen Descartes aber so was von alt aussehen lässt, insbesondere was dessen Dualismus angeht. Er ist sozusagen der Beweis, dass der schon immer falsch war, nicht erst von heute aus betrachtet. Außerdem wird er von zeitgenössischen postoperaistischen Philosophen gerne als Basis ihrer Erzählungen genutzt, das hat mich auf die Spur gebracht.
Wieso glaubst Du, dass die Möglichkeit eines guten Lebens für alle nicht beweisbar sei? Zumindest für die materielle Seite ist das ja anhand verfügbarer Güter relativ einfach möglich.
Antje: Ja klar. Aber das gute Leben hat ja nicht nur eine materielle Seite. Es bringt auch nichts, zu versuchen, es zu „beweisen“, viel interessanter ist an einer Praxis zu arbeiten, wie man ihm näher kommt bzw. sich an dieser Idee im Alltag orientieren kann. Leute, die angeblich genau wissen, wie das gute Leben aussieht und wie es allgemein implementiert werden kann, sind mir genauso suspekt wie diejenigen, die angeblich genau wissen, was Gott will.
Benni: Ja klar. „Beweisen“ ist das falsche Wort. Für mich ist es halt einfach nur plausibel aus den Daten ableitbar. Das ist doch schon was anderes als „glauben“. Schwächt das nicht das Streben nach dem guten Leben, wenn man es als bloßen „Glauben“ betrachtet?
Antje: Für mich ist Gott auch plausibel aus den Daten ableitbar :)) – kleiner Scherz… „Glauben“ (im biblischen Sinn) ist ja auch nicht glauben im Sinne von vermuten, annehmen, mutmaßen (als Gegenteil von Wissen), sondern heißt eigentlich (wörtliche Bedeutung von „pistis“ in Griechisch) „vertrauen“. So gesehen ist Glauben keine Schwächung (das wäre er nur verglichen mit dem stärkeren „Wissen“), sondern eine Stärkung (verglichen mit Hoffnungslosigkeit, Pessimismus, Zweifeln): Es gibt zwar Unwägbarkeiten und ich habe in der Tat keine Garantie, dass es klappt, aber ich vertraue darauf, dass es gehen kann. Aus den verschiedensten Gründen (eigene Erfahrungen, Erzählungen von anderen etc.)
Benni: Ok, ich brauch erst mal einen Schritt zurück: Was genau ist denn das „Gute Leben für Alle“ für Dich? Ich würde darunter das alte „Jeder nach ihren Bedürfnissen, jede nach ihren Fähigkeiten“ verstehen. Du auch?
Antje: Ich finde es schwierig, da eine Definition zu finden. Für mich ist „gutes Leben für alle“ eher so was wie ein Kriterium zur Beurteilung einer Situation, einer Idee, eines Vorschlags: Dient dies oder das dazu, das gute Leben für alle zu befördern oder nicht? Wenn es abstrakt, also vom Kontext losgelöst definiert wird, kann jede „Maßnahme“ auch für andere Zwecke instrumentalisiert werden. Auch was jemandes Bedürfnis ist und was jemandes Fähigkeiten sind steht ja nicht abstrakt fest, sondern muss jeweils in einer Situation verhandelt werden. Mir würde es schon reichen, wenn wir uns darauf verständigen könnten, dass das „gute Leben für alle“ der Maßstab sein soll und nicht irgendwas anderes, so wie meistens. Und zwar eben wirklich, und nicht instrumentell…
Benni: Und Du glaubst nicht, dass „Gutes Leben“ hauptsächlich etwas mit Erfüllung von Bedürfnissen und Einsetzen von Fähigkeiten zu tun hat? Womit denn sonst noch so?
Antje: Damit sicher auch. Noch wichtiger sind aber gelingende Beziehungen. These: Ein einzelner Mensch im Paradies hat kein gutes Leben (hab ich auch aus der Bibel, aber nicht nur daher :)) Jetzt könnte man Beziehungen natürlich unter „Bedürfnisse“ subsumieren, aber der springende Punkt ist, dass die Figur des „Anderen“ dabei nicht expliziert ist. Gutes Leben ist Bezogenheit, und vor allem die Fähigkeit/Möglichkeit, sich auf Anderes zu beziehen. Das Andere ist vielleicht auch ein Synonym für Gott.
Benni: „Schwächung“ meinte ich in Bezug auf das transzendente Moment. Mit der Immanenz haben wir alle zu tun, Transzendenz ist aber keine gemeinsame menschliche Basis. Glaubst Du nicht, dass das eine Schwächung für das Anliegen des Guten Lebens Aller ist?
Antje: Ich denke schon, dass Transzendenz eine gemeinsame menschliche Basis ist, aber nicht alle machen sich das klar. Die Vorstellung, wir wären ganz auf die Immanenz (also letztlich auf uns selbst und das, was schon da ist) angewiesen, finde ich beängstigend. Es entspricht auch nicht meinen Erfahrungen.
Benni: Mit „dem Anderen“ kann ich glaube ich deswegen wenig anfangen, weil das für mich impliziert, der Mensch sei erst mal da und dann käme diese(s|r) „Andere“ dazu. „Mensch“ heißt aber für mich immer schon Bezogenheit und Gesellschaftichkeit.
Antje: Bezogenheit und Gesellschaftlichkeit sind aber nicht automatisch auch Bezogenheit auf das ANDERE. Es gibt auch Gesellschaften, die auf Gleichheit, Übereinstimmung, Normen, Konventionen usw. bauen. (bzw. jede Bezogenheit/Gesellschaftlichkeit hat vermutlich Anteile von beidem). Dieser Aspekt der Offenheit für bzw. Interessiertheit an der Andersheit der anderen (und nicht an ihrer Uns-Ähnlichkeit bzw. Uns-Gleichheit) ist es, den ich betonen will. Die anderen sind für uns eben auch immer ein Stück weit „transzendent“, d.h. unverständlich, fremd, irritierend, falsch, doof und es gehört Übung dazu, damit gut leben und umgehen zu können. Aber es ist eine Vorraussetzung für gutes Leben für alle…
Benni: Für mich beinhaltet die Gesellschaftlichkeit des Menschen immer beides zusammen: Bezogenheit aufeinander als Gleiche (weil Menschen) und als Verschiedene (weil _unterschiedliche_ Menschen). Dann meint „Das Andere“ nur den zweiten Teil?
Antje: Nein, die „Gleichheit“ gibt es natürlich auch und in politischen Strukturen ist sie wichtig, aber sie ist nur ein Modell, das heißt, sie kommt im wirklichen Leben nie vor (es gibt sie nicht, in konkreten Situationen haben wir es IMMER mit Ungleichheit zu tun). Ich würde eher zwischen zwei Varianten von „anderen“ unterscheiden: Das „andere“ bezogen auf mich (Beispiel: das Andere wird interpretiert im Hinblick darauf, wie es sich von mir unterscheidet, was ihm natürlich nicht gerecht wird – Beispiel „Frausein“ in Abgrenzung zum „Mannsein“ definieren oder Muslime über ihre Unterschiede zu Christen). Oder das „andere“ bezogen auf alles, auf das Noch-Nicht, auf die eigenständige, vom Vergleich zu mir unabhängige Differenz. In politischen Diskussionen wird das Andere meistens im ersteren Sinne verstanden. Das Konzept „Transzendenz“ hilft mir vielleicht, das „andere“ im zweiteren Sinn zu verstehen.
Benni: Ok, ich glaube, wir verstehen unter Transzendenz was ganz Unterschiedliches. Für mich ist das etwas, das außerhalb der Welt ist und deswegen meiner Erkenntnis und meinem Handeln nicht zugänglich, das unabhängig vom Menschen Wahrheit beansprucht.
Antje: Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass ich Immanenz bzw. Transzendenz nicht absolut definiere, sondern kontextbezogen. Ich stimme z.B. Luisa Muraro zu, die sagt, Gott sei kontingent. Also nur in einer bestimmten konkreten Situation da und relevant, nicht absolut. Von daher ist seine/ihre Transzendenz auch auf die jeweilige Situation bezogen, und in gewisser Weise könnte man sagen, ein Kind, das an den Weihnachtsmann glaubt und sich auf die von ihm gebrachten Geschenke freut, übt sich in Transzendenz ein. Nun kann man hingehen und sagen: Der Weihnachtsmann ist aber nur der verkleidete Papa, also – ätsch – immanent. Und das dann weiter treiben bis wohin auch immer und sich darüber streiten, ob man irgendwo an eine Grenze kommt, wo es dann „wirklich“ transzendent ist. Das interessiert mich eben nicht. Denn in einer konkreten Situation ist die Transzendenz so oder so eine Realität. Und der Witz ist, dass keine Situation denkbar ist, in der keine dieser „kontingenten Transzendenz“ vorhanden ist. Die Herausforderung besteht nicht darin, dass diese immer letzten Endes doch „immanent“ ist, was sein kann oder auch nicht sein kann, sondern dass man in der Lage ist, mit diesem „transzendenten Aspekt“ in jeder Situation etwas Vernünftiges und Sinnvolles anzufangen. Dafür ist es – in der Situation – vollkommen egal, ob irgendwann mal rauskommen wird, dass es doch immanent war oder nicht.
Warum genau ist Dir radikale Immanenz wichtig? Was hast Du gegen Transzendenz?
Benni: Ich glaube, wir verstehen da einfach was Unterschiedliches drunter. Deine Einstellung immer nach dem konkreten zu gucken, auf die menschlichen Beziehungen, fällt für mich durchaus unter radikale Immanenz. Das was für Dich schon Transzendenz ist, also alles was über das Jetzt hinaus weist, Hoffnung zum Beispiel, ist für mich noch nicht Transzendenz. Keine Ahnung, ob das irgendeiner „offiziellen“ Definition entspricht, ich habe es jedenfalls schon oft in dieser Form verwendet gesehen. Was dann noch übrig bleibt für Transzendenz ist eben alles was sich außerhalb der Welt abspielt, alles Spirituelle, Göttliche oder auch nur übermenschlich wahre. Jede Berufung auf Instanzen außerhalb menschlicher Beziehungen (oder der Naturgesetze). Dagegen hab ich etwas, weil das vom Miteinander ablenkt und von den konkreten Problemen. Meistens wird sowas strategisch eingesetzt um Herrschaftsansprüche durchzusetzen. Früher war es halt „Gottes Wille“, dass der eine Knecht sei und der andere Herr, heute ist es „der Weltmarkt“ zum Beispiel (wobei der Fall beim Weltmarkt komplizierter liegt als bei Gott, weil da die Transzendenz versteckt ist und quasi-natürlich auftritt).


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