
Ohne die Religion wäre die Welt besser dran!“ war die These, über die vergangenen Donnerstag in Berlin diskutiert worden ist. Ich war von den Veranstaltern von www.disput-berlin.de dazu eingeladen worden, und – ausgestattet mit bezahltem Zugticket und Hotelzimmer – war ich tatsächlich auch neugierig. Der Disput mit Atheisten interessiert mich, war ja auch hier im Blog schon manchmal Thema.
Leider schlug die Lust an der Zuspitzung auch diesmal wieder oft in flache Scherze oder billige Polemik um (wobei sich vor allem die beiden katholischen Männer negativ hervortaten), und über weite Strecken wurde aneinander vorbei geredet. Was auch daran lag, dass das Thema gar nicht so recht klar war. Was genau ist mit „Religion“ gemeint? Geht es um religiöse Institutionen mit Machtanspruch? Oder geht es um die Frage, ob Gott existiert oder nicht? Oder um persönliche Frömmigkeit bzw. „Aberglauben“? Um die Finanzierung kirchlicher Arbeit aus allgemeinen Steuermitteln?
Das wurde alles miteinander vermengt, es sind aber doch völlig verschiedene Themen. Je länger desto mehr kommt mir die sowieso die Gegenüberstellung von „Atheisten“ versus „Gläubige“ künstlich vor. Eher schon verläuft die Grenze da, wo Wolfgang Huber sie in der Diskussion sah: Zwischen fundamentalistischer und toleranter Weltanschauung, wobei es beides eben sowohl in der Variante „religiös“ als auch in der Variante „atheistisch“ gibt.
Aber auch diese Linie ist eigentlich nicht wirklich fruchtbar, um darüber zu diskutieren, weil Fundamentalismus ja gerade darin besteht, dass er vernünftige Diskussionen nicht zulässt.Fundamentalistische Weltsichten behaupten eine allgemeine Wahrheit unabhängig von jeder Notwendigkeit der Vermittlung (weshalb sie auch meiner Ansicht nach gerade nicht radikal sind, sondern einfach nur dumm).
Wenn es darum geht, sinnvolle Konfliktlinien innerhalb eines solchen Diskurses auszumachen, dann würde ich sie in erster Linie zwischen solchen Menschen sehen, die interessiert an den Argumenten Andersdenkender sind, weil sie die Hoffnung haben, dadurch selbst bereichert zu werden, und solchen, denen es in Diskussionen in erster Linie darum geht, Recht zu behalten und zu „gewinnen“.
Letzteres war leider in Berlin auf beiden Seiten die vorherrschende Haltung, was aber natürlich auch an den Vorgaben und dem Setting lag. Aber für den Fall, dass es jemanden interessiert, hier die Gründe dafür, warum mich die atheistischen Positionen nicht überzeugt haben:
* Das immer wieder vorgebrachte Argument, im Namen von Religionen seien totalitäre Machtsysteme errichtet worden, überzeugt mich nicht, weil im Namen des Atheismus ebenso totalitäre Machtsysteme errichtet worden sind (Stalin und Mao, zum Beispiel). Offensichtlich ist nicht die Tatsache des Religonenbezugs die Ursache für solche Entwicklungen, sondern etwas anderes. Und das Problem dabei ist: Wenn man meint, die Ursache in „der Religion“ gefunden zu haben, gibt es eigentlich keinen Anlass mehr, nach den wirklichen Ursachen zu suchen.
* Der Streit über die Frage, ob Gott existiert oder einfach ein Objekt von Aberglauben ist, langweilt mich, weil es bei Religion, jedenfalls so wie ich sie verstehe, nicht darum geht, die Existenz Gottes zu behaupten, sondern darum, sie zu wünschen. (Vgl. dazu meine Rezension von Luisa Muraros „Gott der Frauen“). Die rationalistische Überzeugung, wonach alles, was sich nicht beweisen (oder falsifizieren) lässt, irrelevant sei, halte ich für ziemlich realitätsfremd.
* Die Forderung, Religion soll Privatsache sein, überzeugt mich nicht, weil eine Weltanschauung ja keine Folklore ist, sondern notwendigerweise Auswirkungen auf das eigene In der Welt-Sein hat. Das Private ist politisch, remember?
* Insofern war natürlich auch schon die Ausgangsthese merkwürdig. Welchen Sinn hat es, darüber zu räsonnieren, ob die Welt ohne Religion besser dran wäre, wenn eine Welt ohne Religion überhaupt keine praktikable Handlungsoption ist? Wir können zum Beispiel darüber diskutieren, ob die Welt ohne Atomkraftwerke oder ohne Armeen besser dran wäre, weil es – wenigstens theoretisch – möglich wäre, im Fall eines „Nein“ Atomkraftwerke oder Armeen abzuschaffen. Religion hingegen lässt sich nicht abschaffen, jedenfalls nicht im Rahmen der üblichen politischen Instrumentarien. Keine denkbare Instanz kann „entscheiden“, dass es keine Religionen mehr geben soll. Also wäre es doch sinnvoller, darüber nachzudenken, wie eine Gesellschaft mit Religion umgeht.
* Die Unterscheidung zwischen „privater“ Religion und „institutioneller“ Religion war noch mit der interessanteste Punkt, der diskutiert worden ist. Allerdings ist hierbei das Thema nicht eigentlich die Religion, sondern vielmehr die Institutionalisierung und die Frage, welche Vor- und Nachteile es hat, wenn Ideen und Lebenseinstellungen in feste Regularien gegossen werden. (Dieselben Argumente kann man zum Beispiel für und gegen die Institutionalisierung des Feminismus vorbringen).
* Die Vorstellung, Religion sei eine historisch überholte Weltsicht (nach dem Motto: Früher mag sie ihren Sinn gehabt haben, heute sind wir aber drüber weg), überzeugt mich nicht, weil ich dieses fortschrittgläubige Weltbild nicht teile, wonach wir uns von finsteren Dummheitszeiten immer weiter einem hellen, aufgeklärten Zeitalter annähern. Außerdem klingt hier immer eine westliche Überheblichkeit gegen andere Kulturen mit.
Soweit die wesentlichen Punkte, die mir im Anschluss durch den Kopf gingen. Das ist übrigens keine prinzipielle Entscheidung über den Atheismus. Wäre ich Atheistin gewesen, hätten mich ziemlich sicher die Auftritte der Verteidiger der Religion an diesem Abend ebensowenig überzeugt.
Was Disput Berlin betrifft: Da sollen weitere Veranstaltungen folgen. „Die Ehe ist tot“ wird wohl die nächste These lauten, danach kommt „Stichwort Internet. Die repräsentative Demokratie hat ihre Schuldigkeit getan“.


Was meinst du?