Angesichts der jüngsten Debatten rund um das Thema Prostitution habe ich mal fünf Punkte aufgeschrieben, die mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen und mir bei den Diskussionen fehlen. Sie beziehen sich ausschließlich auf die freiwillige Prostitution, also nicht auf Zwangsprostitution und Menschenhandel, was ein völlig anderes (und, nebenbei, wichtigeres) Thema ist.
Aber bei der Ablehnung von Zwangsprostitution und Menschenhandel sind sich ja alle einig. Uneinigkeit besteht im Hinblick auf die Einschätzung von freiwilliger Prostitution. Doch Freiwilligkeit allein ist noch kein Beweis für die Okayheit einer Handlung, es sei denn, man würde sich völlig einer neoliberalen Logik des „anything goes, Hauptsache es lässt sich damit Geld verdienen“ verschreiben. Freiwilligkeit ist nicht das Ende der Diskussion über Prostitution, sondern höchstens ihr Anfang. Denn alles, was nicht freiwillig geschieht, ist sowieso indiskutabel. Hier also meine 50 Cent.
1. Prostitution ist keine Naturerscheinung, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt
Von der Prostitution wird gerne behauptet, sie sei das „älteste Gewerbe der Welt“, was so viel bedeutet wie: Gab es immer und wird es immer geben. Aber mal ganz abgesehen davon, dass das historisch fraglich ist (Wissenschaftlerinnen wie Christina von Braun zum Beispiel argumentieren überzeugend, dass sich ihr Entstehen präzise bestimmen lässt, außerdem gibt es Gesellschaften, die Prostitution nicht kennen), ist es kein Argument dafür, dass das immer so bleiben muss. Genauso könnte man Sklaverei oder Zweigeschlechtlichkeit als Naturerscheinungen beschreiben. Wir als Menschen sind es, die darüber verhandeln und entscheiden, wie wir den Tausch von Sex gegen Geld/Materielles bewerten und handhaben möchten, eine ominöse „Natur der Sache“ hilft uns dabei nicht weiter.
2. Prostitution ist eine Möglichkeit, Einkommen zu erzielen
Prostitution ist, vor allem für Frauen, in erster Linie eine Möglichkeit, ein relativ gutes Einkommen zu erzielen, das sie anders nicht oder nur schwer erzielen können. Sie ist eine Alternative zum sonstigen Arbeitsmarkt, zur Versorgerehe, zu informeller Arbeit. Diese Möglichkeiten haben allesamt Nachteile: Für den Arbeitsmarkt braucht man Qualifikationen und Bescheinigungen, die nicht alle vorweisen können. Versorgerehe macht abhängig von einem Mann. Informelle Arbeit ist meist prekär und sehr schlecht bezahlt. Alle Maßnahmen, die rund um das Thema Prostitution vorgeschlagen und diskutiert werden, müssen deshalb die Frage nach realistischen Einkommensmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen, sozialer Absicherung etc. ins Zentrum stellen.
3. Gesetzliche Verbote von Prostitution beschneiden die Handlungsoptionen von Frauen
Gesetzliche Verbote und Regulierungen erschweren oder verunmöglichen es Frauen, durch Prostitution Einkommen zu erzielen und beschneiden damit ihre Handlungsoptionen. Das ist meiner Ansicht nach der entscheidende Grund, warum solche Regulierungen abzulehnen sind. Frauen (und Männer), die sich dazu entschließen, Sex gegen Einkommen zu tauschen, werden in der Regel einen guten Grund dafür haben. Offensichtlich ist das für sie die beste Option, die sie angesichts der Realität, in der sie leben, wählen können. Wenn ihnen diese Option genommen wird, sei es durch Verbote, durch fehlenden Schutz, durch fehlende Infrastruktur, müssen sie logischerweise zur zweitbesten Lösung greifen, haben also konkrete Nachteile. Deshalb ist dieser Weg falsch.
4. Prostitution gründet auf einer fragwürdigen Vorstellung von Sex
Dennoch: Das Phänomen „Prostitution“ ist nur denkbar in einer Kultur, in der Sex nicht die beiderseitige Lust aufeinander zur Voraussetzung hat, sondern einseitig denkbar ist. Es muss also als akzeptabel gelten, wenn jemand, der Sex haben will, die eigene Lust mit jemandem befriedigt, der_die keinen Sex haben will – denn eine Frau, die Sex gegen Geld eintauscht, hat ja selbst auf diesen Sex keine Lust, sondern tut es, um Geld zu verdienen. Es ist natürlich prinzipiell möglich, dass wir als Gesellschaft Sex als eine solchermaßen einseitige Handlung verstehen wollen. Ich bin aber damit nicht einverstanden, weil ich hier zahlreiche Verwobenheiten mit patriarchalen Strukturen sehe, vor allem mit der Vorstellung, dass es beim Sex auf das Begehren der Frau nicht ankomme, sondern nur auf ihre formale Einwilligung – das ist ein Argument, das von vielen Männern auch bei Diskussionen um Vergewaltigung oder sexuelle Belästigung regelmäßig vorgebracht wird. Über diese Abkopplung von Sex und (weiblichem) Begehren möchte ich eine politische und kulturelle Debatte führen. Wegen der Argumente aus Punkt 3 kann die sich aber nicht an der Frage von Gesetzen und Regulierungen aufhängen.
5. Prostitution ist keine „normale Arbeit“
Deshalb bin ich auch dagegen, den Tausch von Sex gegen Geld als „normale Arbeit“ zu labeln. „Normale Arbeit“, also der Tausch von Arbeit gegen Geld, beruht auf einem System der Arbeitsteilung. Der Käufer von Arbeitsleistungen hat entsprechend auch einen Anspruch auf einen äquivalenten Tausch. Wenn also die erbrachte Dienstleistung oder das bezahlte Produkt Mängel aufweist, kann es zurückgegeben werden. All das ist vertraglich geregelt, und es gibt Dritte, die in Konflikten darüber entscheiden. Sicher ist es prinzipiell möglich, auch Sex in diesem Sinn als Ware oder als Dienstleistung verstehen. Aber ich will das nicht. Genauso wie ich der Ansicht bin, dass Sex nicht zu den „Pflichten einer Ehefrau“ gehört (auch Ehefrauen sind dem ja normalerweise freiwillig nachgekommen). Der Tausch von „Sex gegen Geld“ ist aber eigentlich nichts anderes als die kapitalistische Variante von „Sex gegen Ehesicherheit“. Ganz abgesehen davon, dass die „Normalisierung“ von Sex zu einer banalen Dienstleistung sich vermutlich auch auf die Preise niederschlägt: Wenn Sex nichts anderes ist als eine Massage oder eine Fußpflege, gibt es doch eigentlich keinen Grund, warum eine „Sexarbeiterin“ mehr verdienen sollte als ein Masseur oder eine Fußpflegerin, oder? Damit wäre aber Punkt 2 früher oder später obsolet.
(Foto: Alain Bachellier/Flickr.com)


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