Zu den aktuellen Diskussionen um ein Burka-Verbot möchte ich keinen umfassenden Blogpost schreiben, sondern nur auf einen Punkt hinweisen, der mir in den Debatten zu kurz kommt. Er betrifft eine Gefahr, die mit allen Versuchen, eine „richtige“ Meinung (in dem Fall die, dass es – wie ich finde – Ausdruck einer frauenfeindlichen Kultur ist, wenn Frauen ihre körperliche Erscheinung in der Öffentlichkeit unsichtbar machen) durch staatliche Verbote durchzusetzen.
Diese Gefahr besteht darin, zu glauben, dass es mit diesem Gesetz dann getan ist und dass es nicht mehr notwendig sei, über den Inhalt des Gesetzes (das Tragen der Burka in diesem Fall) zu verhandeln und zu diskutieren. Ich muss andere nicht mehr überzeugen, wenn es mir möglich ist, sie mit Hilfe der Polizei zu zwingen.
Luisa Muraro hat das in dem neuen Buch der Diotima-Philosophinnen „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ (zusammengefasst von Dorothee Markert) so gesagt: Politik kippt dann in Macht um, „wenn aufgehört wird, nach Vermittlungen zu suchen oder an besseren Vermittlungen zu arbeiten. Wer Machtmittel zur Verfügung hat, ist leichter verführbar, sich die Mühe zu ersparen, sich mit den jeweiligen anderen Beteiligten einer Situation in Beziehung zu setzen und nach Vermittlungen zu suchen, mit deren Hilfe die auftretenden Konflikte gelöst werden können oder auch Regeln zu finden, die dabei helfen können.“
Das Burkaverbot ist nur die Spitze des Eisberges. Das Problem besteht vielmehr darin, dass diese Haltung sehr weit verbreitet ist – und auf der Gegenseite dann einen kulturellen Relativismus hervorruft, der die Auseinandersetzung letztlich ebenfalls scheut. Jüngstes Beispiel ist die Auseinandersetzung zwischen Gentleman, der im Interview seine Freundschaft zu jamaikanischen Musikern verteidigt, die extrem homophobe Auffassungen vertreten, und Volker Beck, der in seiner Erwiderung darauf auf klare machtpolitische Gegenreaktionen setzt.
Auch hier sehe ich einen Fall von falschem Dualismus (wie übrigens in der Islam vs. Feminismus-Debatte schlechthin). Die Alternative ist nicht: Entweder Gesetze dagegen machen oder Verständnis zeigen. Sondern die eigentliche politische Frage ist: Wie können wir dieses Verhältnis so gestalten, dass sich wirklich eine nachhaltige Verbesserung im Sinne eines guten Lebens für alle entwickeln kann?
Das ist die Frage, an der sich auch jede Gesetzesinitiative messen lassen muss: Wird es dazu dienen, die Situation zu verbessern – oder vergrößert es die Gefahr, dass die anderen sich in ihrer Haltung erst recht verbarrikadieren? Der Sinn eines Gesetzes erweist sich nicht darin, dass sein Inhalt „richtig“ ist (im Sinne eines breiten gesellschaftlichen Konsenses), sondern daran, dass es den politischen Diskurs in eine sinnvolle Richtung bewegt.
Dies scheint mir im Falle des Burkaverbotes nicht so zu sein. Diese Verbote stehen ja in einem Zusammenhang mit zunehmendem antiislamischen Grundtenor in bestimmten Teilen der Bevölkerung. Sie verschärfen die Gräben zwischen „Kulturkämpfen“ auf beiden Seiten, und insofern richten sie einen Schaden an, der in keinem Verhältnis steht zu den wenigen Fällen, in denen sie greifen würden.
Jedenfalls gilt: Wenn wir den mehrheitspolitischen Konsens per Gesetz für alle verbindlich machen, müssen wir uns bewusst darüber sein, dass uns das nicht von der Notwendigkeit entbindet, den Inhalt dieser Gesetze immer wieder neu zu verhandeln, zu vermitteln, argumentativ zu begründen, in konkreten Situationen plausibel zu machen. Und wenn wir uns gegen ein Gesetz entscheiden, darf das nicht heißen, dass wir die Meinung der anderen kritiklos stehen lassen, dass wir ein desinteressiertes, relativistisches Nebeneinander pflegen, sondern damit einher gehen muss die Bereitschaft, in den konkreten Beziehungen Konflikte auszutragen.
Wegweisend für eine solche „Politik der Beziehungen“ finde ich dabei diese Unterscheidung von Luisa Muraro zwischen Relativität und Relativismus:
„Es ist äußerst notwendig, zwischen Relativismus und Relativität zu unterscheiden: Relativismus bedeutet, die Suche nach dem universalen Wahren und Richtigen aufzugeben, weil man glaubt, alle möglichen Antworten seien abhängig von Kulturen (oder Standpunkten oder Interessen), also historischer Natur und damit veränderbar, und keine könne sich als den anderen überlegen betrachten. Die Relativität hingegen, als Gedankengebäude und vor allem als geistige Einstellung, kann als ein unvorhergesehener Sieg über den Relativismus betrachtet werden. Dieser Sieg wird errungen und bildet sich heraus, indem man Vermittlungen sucht, um von dem einen zum anderen Standpunkt zu kommen. In der Praxis heißt das, Übersetzungen zu suchen zwischen dem, was ich in erster Person lebe, weiß, fühle in etwas, das der/die andere verstehen kann, weil es dem, was er oder sie weiß, fühlt, lebt ähnlich ist oder darauf eine Antwort bietet, indem ich zugehört habe, als er/sie versucht hat, mir die Bedeutung seiner/ihrer Erfahrungen zu erklären.“
Ein guter Artikel zum Thema auch von Felix Neumann: Die Burka der anderen.

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