Seit ich blogge ist eine der häufigsten Fragen, die mir gestellt werden, woher ich denn die Zeit dafür nehme. Das finde ich interessant, weil ich subjektiv nämlich gar nicht den Eindruck habe, dass ich fürs Bloggen allzu viel Zeit aufwende. Objektiv, also wenn ich mir das Ergebnis anschaue (mehrere Posts pro Woche), kann ich es aber natürlich nicht leugnen: Ja, ich wende viel Zeit dafür auf.
Als ordentliche Jungfrau, die ich bin, führe ich immer Buch über meine Aktivitäten und kann daher bilanzieren, dass ich seit Mai 2010 (vorher habe ich das Bloggen nicht ernst genug genommen, um ihm einen ordentlichen Platz in meinem Zeitmanagement zuzuweisen) bis Ende des Jahres gut 100 Stunden reine Zeit mit Bloggen verbracht habe. Also mit dem Schreiben und Posten als solchem, das Nachdenken und im Kopf hin- und herwälzen von Ideen und Thesen ist da noch nicht mit eingerechnet. Auch nicht das Lesen und Recherchieren und mit Leuten Diskutieren, ohne das man ja nicht auf Ideen kommt. (Leider habe ich noch keine Möglichkeit gefunden, auch meine Gedanken nach verschiedenen Projekten auseinanderzudividieren, die gehen einfach durcheinander.)
Aufs Jahr hochgerechnet wären das jedenfalls immerhin so um die vier volle Arbeitswochen, ein ganzer Monat. Und das betrifft sogar nur meinen privaten Blog, nicht die Beiträge, die ich für andere Foren, wie zum Beispiel Beziehungsweise Weiterdenken, schreibe, ebenfalls unbezahlt.
Woher nehme ich eigentlich diese Zeit? Habe ich denn nichts anderes zu tun? Und warum habe ich den subjektiven Eindruck, dass sie mir gar nicht fehlt, die Zeit?
Es kommt nicht nur daher, dass mir das Bloggen mehr Spaß macht als zum Beispiel Rechnungen schreiben oder gebuchte Artikel über Themen, die mich nur so am Rande interessieren – also daher, dass die Zeit dabei schneller verfliegt, während sie sich bei anderen Tätigkeiten in die Länge zieht.
Ich glaube, der Grund ist ein anderer. Und zwar der, dass mein Bloggen sich nicht in erster Linie an ein Publikum richtet (wobei ich mich über Publikum natürlich gleichwohl freue), sondern klammheimlich zu meinem persönlichen Gedanken-Festhalt-Medium geworden ist. Klammheimlich, weil das von mir nicht beabsichtigt war, anfangs dachte ich, wow, hier kann ich publizieren, missionieren, so was in der Art. Aber inzwischen wird mir immer klarer, dass ich all diese Sachen hier gar nicht in erster Linie für euch schreibe, sondern für mich: Damit ich nicht vergesse, was ich mal gedacht habe und was mir wichtig ist.
Vor dem Bloggen hatte ich für sowas ja auch allerhand Tools. Karteikästen, vollgeschriebene Notizzettel, Exzerpte, bei denen mir es aber nie gelungen ist, sie später, also wenn es dann drauf ankam, wiederzufinden. Auch nicht, als man sie nicht mehr auf Papier, sondern im Computer hatte. Ich habe noch allerhand Ordner, analoge wie digitale, die voll sind mit solchen Sammlungen: Protokolle von Tagungen, Vortragsmitschriften, Gesprächsnotizen, Literaturlisten und so weiter. Alles in der Versenkung. Lauter wahrscheinlich wichtige Gedanken und Informationen, die aber nie zu einem richtigen Text geworden sind. Und die mir, schwach, wie mein Gedächtnis nun mal ist, größtenteils verloren gegangen sind. Die Zeit und Muße, mir diese Notizen alle mal wieder durchzulesen, finde ich nämlich nie.
Seit ich blogge, ist dieser Berg von ungehobenen Schätzen nicht mehr viel weiter gewachsen. Jetzt steht das nämlich alles im Internet. Da schreibe ich es rein, wenn mir eine Idee kommt. Wenn ich bei einer Veranstaltung was höre, das mir wichtig erscheint. Wenn ich ein Buch gelesen habe, das mich anregt. Wenn ich Zeitung lese und mich über was freue. Oder ärgere.
Natürlich muss ich den jeweiligen Gedanken dafür etwas polieren. Muss die Quelle verlinken, muss sehen, dass es halbwegs verständlich ist. Und nicht allzu extravagant und überspitzt. Man will sich ja nun auch nicht blamieren.
Aber dann – kann ich den Gedanken beruhigt auch wieder vergessen. Ich könnte ihn ja jederzeit wieder googeln. Was hab ich damals über Diskriminierung geschrieben? Wie war nochmal der Unterschied zwischen Biologie und Biologismus? Was verstehe ich eigentlich unter diesem F-Ding? Warum nochmal hat mir das neue Buch von Elisabeth Badinter nicht gefallen?
Und das erspart mir ungeheuer viel Arbeit, denn wenn ich in irgendeinem späteren Zusammenhang einen früheren Gedanken von mir wieder aufrufen will, finde ich ihn nicht nur sofort, er ist auch schon mehr oder weniger schön ausformuliert und kann quasi mit copy and paste in das aktuelle Projekt importiert werde. Oder wenn mich jemand fragt, was ich von diesem oder jenem halte, muss ich keine langen E-Mails mehr schreiben. Ich schicke einfach den Link. Ziemlich zeitsparend, das.
Mich hat immer die Begründung fasziniert, mit der Hannah Arendt in dem berühmten Fernsehinterview auf die Frage von Günter Gaus antwortete, ob sie denn nicht an der Wirkung ihrer Schriften interessiert sei: Sie sagte, dass sie nicht wirken wolle, sondern verstehen. Und dass sie, wenn sie ein perfektes Gedächtnis hätte, wahrscheinlich keine einzige Zeile schreiben würde. Sie schreibe, um nicht zu vergessen, was sie einmal gedacht habe.
Ich finde auch, dass das der beste Grund dafür ist, sich der Mühe des Schreibens zu unterziehen. Einen Gedanken nicht nur im Kopf zu haben, sondern ihn zu verschriftlichen, zwingt nämlich dazu, ihn ordentlich zu denken. Ihn aus dem Bereich des Fühlens und Empfindens und Ahnens zu holen und ihn quasi „festzunageln“. Zumindest vorläufig.
Indem ich blogge, bringe ich mich ganz einfach dazu, das auch zu tun. Und das ist das Neue. Früher brachte ich diese Disziplin nämlich nur auf, wenn mich irgendjemand dafür bezahlte oder zumindest die Veröffentlichung übernahm. Und das war natürlich nur der Fall, wenn dieser Gedanke bereits von öffentlicher Relevanz war, wenn er auch andere interessierte und nicht nur mich selbst. Und zwar solche andere, die eine Position im Mediengeschäft hatten, also Redaktionen, Verlage und dergleichen. Um mich nicht zu blamieren, mussten das große, fertige, dauerhaft fixierbare Gedanken sein. Kein halbfertiges Zeugs, das sich am Ende vielleicht widerlegen ließe. Themen, die nicht sofort irgendwelche Abnehmer fanden, wurden von mir auch nicht tiefergehend verfolgt. Da hatte ich nämlich keine Zeit für.
Jetzt können es auch Gedankenfetzen, vorläufige Zwischenthesen, spontane Einfälle sein, die ordentlich ausformuliert werden. Sachen, die kein Medienthema sind, die vielleicht außer mir nur noch vier andere Leute auf der Welt interessant finden (zur Zeit!). Da ich ihnen im Blog immerhin eine minimale Struktur geben muss, kann ich sie nicht ganz im Ungefähren lassen. Und dann werde ich auch noch mit Kommentardiskussionen beschenkt! Andere Leute weisen mich auf Unausgegorenes hin, spiegeln mir das öffentliche Interesse an diesem Thema zurück, fügen Wissen und Informationen hinzu, die mir bisher nicht bekannt waren.
Das Lustige daran ist, dass sich das auch noch manchmal „verkauft“. Leute bezahlen Geld, um einen Text oder einen Vortrag von mir zu kriegen zu einem Thema, von dem sie im Blog gelesen haben. (Diesen Part habe ich in einem früheren Post schon mal beschrieben). Das Ergebnis ist, dass ich weniger Zeit aufwende für Themen, von denen andere Leute finden, dass sie wichtig sind, und mehr Zeit für Themen, von denen ich selber finde, dass sie wichtig sind. Und trotzdem weiter meine Miete bezahlen kann.
Natürlich gibt es auch Ideen, die so unausgegoren sind, dass sie noch nicht mal in einen Blog geschrieben werden können. Für die gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sie treiben mich noch eine Weile um und sind dann irgendwann ausgegoren genug, um der öffentlichen Debatte ausgesetzt zu werden. Oder ich vergesse sie im Laufe der Zeit, aber ich nehme an, dann waren sie auch nicht wirklich wichtig.
Lange Rede, kurzer Sinn: Der Grund dafür, warum ich das Bloggen nicht als zeitliche Belastung empfinde, ist einfach der, dass es keine verlorene Zeit ist. Keine zusätzliche Zeit. Bloggen ist keine PR-Aktion, nichts, was ich in erster Linie für ein imaginiertes Publikum betreibe, mit einem „Auftraggeber“ im Kopf sozusagen, sondern zu allererst für mich selbst. So wie das Lesen, das Diskutieren mit anderen, das Dinge Erleben.
Und wenn andere das interessant finden, wenn sie es mit ihrem eigenen Leben und ihren eigenen Ideen verknüpfen, dann ist das letztlich ein Nebeneffekt. Wenn auch natürlich ein sehr, sehr schöner.



Was meinst du?